Das Evolutionäre Prinzip

Eine neue Philosophie

von Reto Andrin Weber

Exposee

Genre: Philosophie

Zielgruppe: Philosophie-interessierte; fortgeschrittene Laien als auch Experten.

Kurze Zusammenfassung: Ich beschreibe die Beobachtung, dass alles, was wir wahrnehmen und beschreiben können, Muster sind. Ich zeige logische Gesetze auf, welchen alle Muster unterliegen. Diese Gesetze erlauben einen neuen Blick auf alte Fragen. So ist die Gottesfrage, die Frage nach der Wahrheit und die nach Gut und Böse lediglich eine Frage nach einem Muster. Und die neue Sicht bietet einen neuen Blickwinkel auf diese fundamentalen Fragen. Sie lässt uns zwei Welten verbinden, die ansonsten in der Philosophie (ausgenommen in der Psychoanalyse) nicht zusammen gedacht wurden: die irrationale Spiritualität mit dem Rationalen. Wir werden sehen, welche Weltanschauung eher die Zeit überdauern wird; beziehungsweise wie sie sich in Zukunft verändern müssen. Wir werden auch sehen, welche Kompromisse wir im Umgang mit unserer Sicht auf die Wahrheit eingehen müssen. Abgerundet wird das Ganze mit ein paar praktischen Lektionen. Denn die neu gewonnene Sicht bevorzugt einen pragmatischen und offenen Blick auf die Welt. Sie kann eine Grundlage für Annäherungen mit Andersdenkenden liefern, dem Leid einen Sinn abgewinnen, eine Metaphysik frei von Annahmen begründen, unterschiedliche Ethiken bewerten und noch vieles mehr. Im ganzen Buch versuche ich, so ehrlich wie möglich mit den Lesern umzugehen und meine Strategie hinter den Formulierungen offenzulegen. Mein Ansatz unterscheidet sich grundlegend von allem, was ich bisher gelesen habe, sodass es hoffentlich auch andere Denker faszinieren mag. Im ganzen Buch widerspiegelt sich mein innerer Kampf zwischen Atheismus und Christentum. Allerdings werden Vertreter beider Richtungen Anstoss nehmen an dem Buch. Die einen werden sagen, ich reduziere Gott auf eine eingebildete Idee und die anderen, dass ich Unwahrheiten befürworte und verbreite. Dies wird aber wohl immer so sein, wenn man etwas Neues macht. Der Inhalt in diesem Buch ist dicht, da ich langgezogene Bücher verabscheue. Diese verschwenden meine Zeit. Somit hoffe ich, dass ich Ihre nicht verschwende.

Widmung: Dieses Buch ist all denen gewidmet, die nie die Chance bekommen ein Buch zu schreiben. Nie die Gedanken unserer grossen Denker lesen. Nie Liebe erfahren. Nie Trauer erleben. Nie ihre Vision bringen. Nie Segen versprühen. Schande um all die Friedensnobelpreise, die nie vergeben werden. Schande um all die Erfindungen, die nie gemacht werden. Schande um all die Gedichte, die nie geschrieben werden.

Muster, ihre Gesetze

und wo sie anzutreffen sind

Einleitung

Eine Grosszahl von Denkern wollten schon eine neue Philosophie erfinden und glaubten es geschafft zu haben. Warum glaube ich also nochmals ein solches Buch verfassen zu müssen? Den Vertrauensvorschuss, den ich benötige, ist lächerlich gross. Die Erfolgswahrscheinlichkeit für ein erfolgreiches Buch verschwindend klein. Ist man allerdings überzeugt, man hätte etwas Grosses gefunden, ist es allerdings nahezu eine Pflicht, diese Idee weiterzuverfolgen. Ich recherchierte, ob die Idee neu ist. Ich diskutierte. Ich setzte mich mit der stärksten Version der Gegenargumente auseinander. Es folgt meist aufgeben und erkennen, dass die Idee nicht neu und/oder falsch ist. Doch hat eine Idee einmal all diese Stufen überstanden, so ist es nun genauso eine Pflicht, diese Idee zu Papier zu bringen. Möchte ich herausfinden, ob sie neu und gut ist, muss ich dies in einer möglichst überzeugenden Sprache tun, um den Leser zu fesseln. Es ist aber auch eine Pflicht, die Idee so klar wie möglich zu präsentieren; selbstbewusst, aber auch verletzlich, in dem Sinne, dass alle sie sehen sollen und sie zerreissen, wenn sie nicht stimmt.

Doch warum lesen? Es wird wohl immer ein Geheimnis sein, warum das erste Werk eines Autors je gelesen wurde. Es gab keinen Grund dazu. Gäbe es da nicht die selbstlose, die bereit sind, neue Bücher zu lesen. Obwohl sie wissen, dass der überwältigende Anteil der Arbeiten, die sie lesen werden, unbrauchbar sind. Doch genau diese Menschen sind der Katalysator für Fortschritt in der Gesellschaft. Sie sind es, die aus einem Word-Dokument ein Buch machen. Doch warum sollen es andere lesen?

Einerseits denke ich Nietzsche weiter. Nietzsche kommentiert in «Jenseits von Gut und Böse», dass die Wahrheit nur als Argument missbraucht wird, die eigene Sicht den anderen aufzuzwingen. Er präsentierte ein Weltbild, das den Fokus auf Macht legt und deutet somit an: «Was ist der Wert von etwas Gutem, wenn es die Zeit nicht übersteht.» Ich folge diesem Gedanken weiter und wir werden auf Dinge stossen, die vielleicht nicht wahr, aber doch gut oder zumindest nützlich sind. Ich bevorzuge die Weisheit gegenüber der Wahrheit. Doch schrecke nicht zurück. Ich argumentiere trotzdem klar und präzise. Meine Überlegungen sind stichhaltiger als so manche Philosophie, die unter dem Deckmantel der ‹Wahrheitsfindung› betrieben wird. Während Materialismus und Dualismus für mich Annahmen sind, die zu viel behaupten und zu wenig aussagen, werde ich eine Denkweise präsentieren, die mit beiden kombinierbar ist, aber auch konkret nützlich ist. Ich werde Konzeptionen zeigen, die meine Ansichten nachhaltig veränderten. Diese Herangehensweise erlaubt es, ohne die eigenen Überzeugungen über Bord werfen zu müssen, die Behauptungen der Gegenseite des eigenen Denkens zu übernehmen. Also erlaubt sie einem Jung-Erdler über Evolution nachzudenken, mit einer tolerierbaren Menge kognitiver Dissonanz. Gegenteilig lässt es beispielsweise Atheisten religiöse Wahrheiten wörtlicher für sich zu adaptieren. Und beide brauchen sich nicht zu ‹bekehren› zur Gegenseite.

Nebst dieser Denkweise, die, wie gesagt, Weisheit und nicht Wahrheit optimiert, präsentiere ich eine Theorie, die komplexe und unübersichtliche Prozesse in der Welt verstehbar macht. Sie hilft, Richtungen in der Entwicklung von Systemen zu identifizieren und zu beeinflussen. Wenn daher jemand interessiert ist, das eigene Leben, dasjenige der Familie, sein Quartier oder sein Land zu verstehen und auch zu verändern, bietet dieses Buch pragmatische Denkanstösse. Ich behaupte überheblich: Es bietet die wirksamste Art zur Veränderung, wodurch ermöglicht wird, grundlegend über Systeme nachzudenken.

Damit du weisst, wohin unsere Reise geht und du nicht vergisst, warum wir das jetzt machen, präsentiere ich hier den Inhalt des Buches.

Ein ontologisches Gesetz

Dies ist ein Buch für ambitionierte philosophische Laien, wie ich selbst einer bin. Ich erkläre daher die wichtigsten Begriffe, wann immer solche vorkommen. Es ist mir ein Anliegen, dass ich meine Idee so präzise wie nötig, aber auch so einfach wie möglich vermitteln kann. Ich versuche nicht mathematisch oder philosophisch zu definieren, sondern nachvollziehbar zu erklären. Denn definieren, distanziert sich von der natürlichen Sprache und behindert die Intuition. Die Intuition ist jedoch das wichtigste Instrument, um Information zu behalten und zu verarbeiten. Doch die Intuition ist auch immer unbequem. Worte und Ideen sind zweideutig und die Bedeutung wird niemals völlig klar sein. Wer mathematisch definiert, versucht eine klare Sprache zu erschaffen, die es kaum mehr verdient, Sprache genannt zu werden, sondern Kalkül. Denn nur abstrakte Dinge sind klar genug, dass sie definiert werden können. Die empirische Welt ist verschwommen. In jeder logischen Sprache (Mathematik und Logik) ist kein Platz für die Realität. Sie kann zwar über sich selbst sprechen, aber sobald die Mathematik ein auch noch so einfaches Konzept wie ‹zwei› auf die echte Welt beziehen will scheitert sie. Die Mathematik behauptet zum Beispiel: «1 = 1» Aber in der echten Welt ist ein Apfel nie genau gleich wie der andere Apfel. Daher sind zwei Äpfel nie gleich zwei Äpfel. Die Mathematik ist nur insofern interessant, als wir sehen, dass sich Dinge in der echten Welt so verhalten wie mathematische Dinge. Wir können zum Beispiel Äpfel zählen. Sobald wir aber den Bezug der Mathematik zur Realität verlieren, ist nutzlos und wertlos(1).

Ich flüchte hier also nicht in den Idealismus von Platon oder in die mathematische Sprache, um die Aussagen präzise und unumstösslich zu machen. Denn obwohl sie unumstösslich wären, wären sie jedoch auch irrelevant. Ich versuche mich viel mehr an einem Sprachspiel. Ich sehe dieses Buch und Sprache im Allgemeinen nicht als ein Werkzeug, die ‹Wahrheit› zu finden, sondern eine natürliche Art im Austausch mit der Welt zu stehen; um sie zu fassen und zu verändern. Ich versuche Gedanken in die Köpfe zu pflanzen, die dann selbst Samen tragen und sich vermehren sollen. Ob dieser Gedanke in einem metaphysischen Sinne wahr ist, wage ich nicht zu behaupten und ist für diese angestrebte Dynamik des Samen-Tragens auch irrelevant. Denn ob sich eine Idee verbreitet, hat nur beschränkt etwas mit dem Wahrheitsgrad der Idee zu tun. Aber ich versuche die Gedanken in den Köpfen der Leser so genau wie möglich zu formen. Daher ist es paradoxerweise immer wieder notwendig, Dinge genau zu erklären, ja sogar zu definieren. Doch das Ziel der Ausführungen ist ausschliesslich Einfluss auf die Gedanken der Leser zu nehmen. Dafür ist Mathematik und Logik wiederum nützlich. Doch ich verwende sie nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeug der Gedanken- und somit Welt-Manipulation. Die Mathematik ist also nur hier, damit die Intuition geschärft wird. Und falls es dir jetzt vor lauter Mathematik und Logik die Freude am Lesen vergangen ist, lies einfach weiter. Ganz so mathematisch, wie es vielleicht klingt, wird es dann doch nicht werden.

Somit können wir mit dem eigentlichen Thema beginnen. Der Auslöser für dieses Buch war meine Reise in die Philosophie und die damit verbundenen Gedanken. Es faltete sich eine Welt in meinem Kopf auf, von der ich weder gelesen noch gehört habe. Und diese Gedanken waren für mein persönliches Leben revolutionär und veränderten mein Verständnis auf die grossen Fragen des Lebens: «Gibt es einen Gott?» oder «Was ist Materie?». Aber auch grundlegender: «Was ist überhaupt?» oder besser gesagt: «Was kann als ‹seiend› erkannt werden?». Die ersten Fragen mag man noch als philosophisch uninteressierte Person legitim erachten, die letzten aber kaum. Doch waren es genau diese Fragen (in dieser Reihenfolge), die mein Weltbild auf den Kopf gestellt haben. Denn es ist verführend zu denken, es wäre klar, was etwas Existierendes von etwas nicht Existierendem unterscheidet. Präziser formuliert geht es bei uns Menschen nicht um die Frage nach dem sein, sondern: Was ist erkennen? Ich meine «erkennen»; das Fassen von etwas durch Sprache oder in Gedanken. Können wir Gott erkennen? Und wenn ja, inwiefern? Was würde das überhaupt bedeuten? Beginnen wir einfacher: Können wir dieses Buch erkennen? ‹Klar. Es ist direkt vor mir› behauptest du jetzt. Doch was, wenn du gerade träumst? Stichwort Descartes ‹Ich träume doch nicht von so einem langweiligen Thema. › Also gut. Ich musste mich dann aber auf eine Reise der Gedanken wagen. Ich überlegte mir: Was kann man alles erkennen? Es sind nicht nur physische Objekte wie der Stuhl, auf dem ich sitze. Ich erkenne auch, dass ich verheiratet bin, obwohl das nichts physisches ist. Ich erkenne meine Rolle in der Welt, meinen Beruf, meinen sozialen Status, mein Reichtum, mein Intellekt, meine Emotionen, meine Irrationalität. Ich erkenne vieles. Doch gibt es auch nicht-erkennbare Dinge? Dinge dies zwar existieren uns aber unzugänglich sind. In meinem Informatik-Studium bin ich über solche Dinge gestolpert und dies hat mich schockiert und fasziniert. Es gab tatsächlich (in diesem Beispiel) Zahlen, die nicht beschrieben werden können. Es wird nie ein Zahlensystem, eine künstliche Intelligenz geben, die diese Zahlen alle repräsentieren kann. Und davon gibt es sogar unendlich viele. Kleine Zahlen gibt es und grosse. Ich kann hier logischerweise keine nennen, denn dann hätte ich sie ja erkannt, aber wir wissen, dass es diese gibt. Ich versuchte diesem Gedanken zu folgen. Was kann man denn alles erkennen? Was ist diesen Dingen gemeinsam? Es ist nicht die Materie, denn mein Beruf ist nicht aus Materie. Es ist nicht die Sprache, denn die Gefühle waren schon vor der Sprache. So kam ich mangels Alternativen auf den Begriff des ‹Musters›.

Muster

Wenn ich ‹Muster› sage, schweben dir ganz unterschiedliche Dinge durch den Kopf. Unter Muster versteht man vielleicht etwas Schönes zum Zeichnen. Geometrische Figuren, die in irgendeiner Regelmässigkeit da liegen. Oder jemand kommt aus der intellektuellen Ecke und denkt sofort an Regelmässigkeiten in der Natur. Diese sprechen dann von einem Muster, wenn sie die Tatsache bemerken, dass alle Planeten nicht zufällig, sondern präzise in einer Ellipse um eine Sonne kreisen. Während die Planeten selbst recht zufällig im Raum stehen, so ist die Umlaufbahn der Planeten keineswegs zufällig. Diese ‹nicht-Zufälligkeit› meine ich, wenn ich von Mustern rede. Es gibt Dinge, die eine Einfachheit in sich tragen, sobald man sie mal erkannt hat. Betrachten wir beispielsweise ein Säugling. Seine Welt ist klein. Sie besteht hauptsächlich aus seiner Spielmatte, seinem Bett und seiner Mutter. Wenn die Mutter verschwindet, wankt die Welt des Säuglings. Er schreit und drückt mit all seinen Fähigkeiten die Abgrund-tiefe Verzweiflung aus. Wann die Mutter da ist und wann nicht, ist zufällig für einen Säugling und dadurch beängstigend und kann nicht verstanden werden. Es muss erst eine Vorstellung bekommen, dass die Mutter auch da ist, selbst wenn sie nicht gespürt oder gerochen wird. Eine abstrakte Vorstellung. Die für uns jedoch logisch und banal wirkt, es muss aber keineswegs zwangsläufig so sein. Diese Vorstellung der Kontinuität von Objekten wird irgendwann vom Kleinkind erschlossen. Es ist nicht mehr beunruhigt, wenn etwas in einem Kasten verschwindet. Das Verschwinden und Auftauchen der Mutter wurden auch wesentlich einfacher zu verstehen und somit auszuhalten. Es fand eine Vereinfachung für diese Situation, ein Muster. Diese Vereinfachung ist nicht intellektuell verstanden. Auch nicht in Bildern oder Sprache. Eher narrativ, also als eine Geschichte. Diese Geschichte davon, dass die Mutter zurückkommt, ist dann tröstend. Eine unübersichtliche Situation wurde übersichtlich gemacht. Es wurde ein Muster im Verhalten der Mutter erkannt: Sie kommt zurück. Das Muster existierte bereits, bevor das Kind, das erkannt hat. Aber erst als es erkannt wurde, bekam es die Fähigkeit zu beruhigen.

Hier noch etwas präziser, was ein Muster genau ist. Damit die Idee so klar wie möglich Gestalt in dir annimmt. Muster sind Dinge, die erkennbar sind, wie bereits gesagt. Und was ist alles erkennbar? Vieles, das über die Sinne wahrgenommen werden kann: ein Tisch, eine Person, der Himmel. Aber auch abstraktere Dinge: Verliebtheit, Freude, Trauer. Oder Ideen wie: Gerechtigkeit und Willkür. Auch noch abstraktere Dinge wie: die Zahl zwei, Wahrheit oder Frieden. Wie man an diesen letzten Beispielen sieht: Muster sind nicht nur Dinge, die man wahrnehmen kann. Man kann die Zahl zwei nicht wahrnehmen, aber erkennen. Sie kann nicht gefunden werden in der Welt. Nirgends auf der Welt ist die Zahl zwei und wenn man diese dann zerstört, gibt es das Konzept von Zweiheit nicht mehr.

Genauso sind Ideen wie ‹Gott› Muster. Unabhängig davon, ob Gott existiert oder nicht. Ohnehin ist Existenz ein schwieriges Wort, wenn man sich auf der Ebene von Mustern unterhält. Denn natürlich gibt es die Zahl zwei. Und zumindest in dem Sinne gibt es auch Gott. In dem ganzen Buch werde ich nie genauer auf die unterschiedlichen Weisen wie Muster existieren eingehen. Ich werde nur einfach über Muster sprechen. Und Sätze wie «Gott existiert nicht.» werden sinnlos. Ich werde unterschiedliche Muster betrachten: Der Gott der Bibel, die Götter der Griechen, Wahrheit und so weiter. Ich nehme aber nie Stellung auf welche Weise sie existieren. Denn es alles sind Muster.

Ein anderer Merksatz dafür, was ein Muster ist, könnte nebst «Muster sind alle erkennbaren Dinge» auch «Muster sind alle Dinge, die beschrieben werden können.» Die Worte ‹beschreibbar› und ‹erkennbar› sind ähnlich. Wobei mir erkennbar besser gefällt, da es nicht an Sprache gebunden ist. Der Säugling hat kaum eine Ahnung von Sprache. Und wenn doch, dann hat es sicherlich keine Sprache, die abstrakte Dinge wie «die Kontinuität der Mutter nach ihrem Verschwinden» beschreiben kann. Aber er hat dennoch die Kontinuität der Mutter erkannt. Heute denken wir aber meist in Sprache und es kann daher nützlich sein, Muster eben als «Alle Dinge, die beschreibbar sind.» zu definieren. Doch ich meine damit nicht, dass sie momentan beschrieben werden können, sondern sie besitzen die Fähigkeit beschrieben werden zu können. Wir können die Bestandteile eines Planeten, den wir noch nicht entdeckt haben, nicht beschreiben. Aber dennoch sind sie natürlich beschreibbar. Wir müssten einfach auf diesen Planeten kommen können. Und genauso ist es mit allen Mustern. Vielleicht muss die Wissenschaft, die Sprache oder der Mensch sich noch weiterentwickeln, um es beschreiben zu können, aber die Muster sind beschreibbar(2).

Nach diesen Definitionen von Mustern, könntest du auf den Gedanken kommen: «Sind nicht alle Dinge Muster?» Und dem müsste ich beinahe zustimmen. Es ist schwierig, ein Gegenbeispiel zu geben. Also ein Nicht-Muster. Denn sobald man dieses Nicht-Muster begriffen hätte, wäre es ja erkannt. Und wenn es erkannt wurde, ist es erkennbar und somit ein Muster. Es ist daher nicht trivial, Dinge aufzuzählen, für die es niemals ein Wort geben wird. In meiner Ausbildung als Informatiker stiess ich auf Nicht-Muster. Leider sonst in keinem Kontext. Wer sich da rein denken will, ermutige ich dazu, wenngleich es nicht besonders zielführend ist. Ich erwähne dieses Beispiel hier aber trotzdem. Nicht, dass mir jemand vorwerfen kann, ich hätte keine Gegenbeispiele. Der Fakt ist sogar, dass fast alles Nicht-Muster sind, aber wir erkennen sie nun mal per Definition nicht.

Nicht-berechenbare Zahlen sind, wie es der Name schon sagt, nicht berechenbar. Das interessante dabei ist, dass alle Zahlen, denen wir je begegnet sind, berechenbar sind (sonst wären wir ihnen nicht begegnet). Aber es gibt unendlich mal(3) mehr nicht-berechenbare Zahlen als berechenbare. Jede einzelne nicht-berechenbare Zahl ist ein Beispiel für ein Nicht-Muster(4).

Gibt es jedoch etwas Greifbareres, das kein Muster ist? Mathematisch gesehen (und ja, das ist nicht die Sprache, die alle verstehen) sind alle überabzählbaren Mengen gefüllt von ‹Nicht-Muster›. Da wir Menschen nur abzählbar viel Zeit haben, werden wir nie alle Elemente einer überabzählbaren Menge erkennen. Die Mathematik ist da auch eine spezielle Wissenschaft: Sie ist so abstrakt, dass sie über Dinge sprechen kann, die es nicht gibt. Hier sei angemerkt: Es ist eine nicht triviale Leistung, dass die Mathematik es geschafft hat, Dinge zu beschreiben, die zwar genau definiert sind, jedoch nicht aufgeschrieben werden können. Wenn man das hört, klingt das wie der Name Gottes für die Juden. Er darf nicht ausgesprochen werden (bzw. kann nicht.). Denn sobald man den Namen ausspricht, engt man Gott in dieses Konzept mit diesem Namen ein und verliert den wahren Gott damit. Doch ausser spirituelle Wahrheiten habe ich kein Beispiel gefunden für nicht-Muster. Es ist aber auch klar, dass es äusserst schwierig ist solche zu finden und dingfest zu machen. Doch genug von nicht-Mustern. Beschäftigen wir uns damit, wie Muster sich verhalten. Nach welchen Gesetzen verhalten sie sich? Und ja, die gibt es. Es gibt Gesetze, die alle Muster einhalten (müssen). Egal ob es der Tisch vor mir ist oder der Staat oder die Idee von Gott.

Ein Gesetz für Muster

Es gibt nun einige Beobachtungen über Muster, die es festzuhalten gilt. Diese Beobachtungen können in ihrer Wichtigkeit nicht überschätzt werden. Wenn du bis jetzt liest und denkst, ich hätte noch nichts ausgesagt. Mehr als eine einzige Begriffsdefinition war nicht zu finden. Dann lass dir das auf der Zunge zergehen. Es gibt Gesetze für Muster. Und alles was wir beschreiben können sind Muster. Diese Gesetze sind daher so relevant und mächtig wie kein anderes. Alles was ist, muss sich an diesen Gesetzen ausrichten. Natürlich könnte ein Purist behaupten wir sprechen da über eine sehr menschlich beschränkte Sicht. Wir sprechen nicht über alle Dinge, sondern nur über die von uns erkennbaren. Doch die sollen mir erst eine Philosophie zeigen, die auch nur annähernd einen solchen allgemeinen Anspruch hat, gekreuzt mit einer solchen praktischen Relevanz. Ich möchte keine Ideengebilde von Platon. Oder Unerreichbarkeit der Aussenwelt wie Descartes. Oder Materialvernarrtheit wie die letzten 100 Jahre. Oder auf die Spitze getriebener Nihilismus im Existenzialismus. Aber genug von den missglückten Versuchen unsere Existenz zu verstehen, sondern betrachten wir unsere Gesetze der Muster.

Überlebenstrieb von Muster

Muster sind nur wahrnehmbar, wenn sie über eine längere Zeit existieren. Existieren sie nicht, so kann man sie nicht wahrnehmen. Existieren sie aber und über eine lange Zeit, ist es unter Umständen sogar wert ein Wort für sie zu erfinden. Muster, die als solche erkennt werden, haben daher etwas gemeinsam: Sie manifestieren einen Überlebenstrieb. Also sie verhalten sich so als wollten sie überleben. Ich sage damit nicht, dass Muster einen Überlebenstrieb haben. Sondern, die Muster, die sich so verhalten als hätten sie einen solchen, sind dieselben Muster, welche die Zeit überdauern. Diese Feststellung schliesst eine ganze Zahl von Phänomenen ein: Evolution, Memes(5), Systeme(6), Sprache, um nur einige Idee zu nennen. Es benötigen allerdings nur Muster einen Überlebenstrieb, die selbst sterben können. Die Naturgesetze (als Muster betrachtet) manifestieren keinen Überlebenstrieb, weil sie auch ohne einen solchen die Zeit überdauern. Die DNS aber sehr wohl. Die kann ausgelöscht werden. Und es überdauert nur die DNS die Zeit, die sich so verhaltet, als hätte sie einen Überlebenstrieb. Ich hoffe, das leuchtet ein. Diese Beobachtung reduziert das Buch «The Selfish Gene» auf eine triviale Randbemerkung. Jedoch nicht nur das Gen ist so. Alles, was theoretisch verschwinden könnte. Zivilisationen: Es überleben nur die Zivilisationen, die sich so verhalten, als hätten sie einen Überlebenstrieb. Auch Menschen. Bei diesen spricht man dann tatsächlich von einem Überlebenstrieb. Auch Religionen. Es überleben nur die Religionen, die ein Überlebenstrieb manifestieren. Ich hoffe mein Punkt ist klar.

Beispiel Evolution

Der Überlebenstrieb einer Spezies wurde in der Evolutionstheorie elegant aufgenommen. Sie beschrieb es naturwissenschaftlich. Und daher nur wie es in der Natur funktioniert. Wir werden aber noch analysieren, dass der Prozess genereller ist als die Evolution und für fast alle Muster zutrifft. Dafür beschreibe ich als ersten Schritt den evolutionären Prozess(7). Mit diesem im Bewusstsein erschliesst sich der Rest einfacher.

Gene tragen ein Grossteil der Information in sich von dem was eine Spezies ausmacht. Die Gene bringen die Information von einer Generation zur nächsten, zusammen mit den Memes. Sie tragen dazu bei, ob ein Exemplar überleben wird oder nicht. Schlussendlich überleben die Gene, die denjenigen Lebewesen gehören, die überleben. Doch was benötigt es, damit so etwas wie Evolution geschehen kann? Der Informationsspeicher muss sich weiterentwickeln und wird daher in der Evolution aufmerksam betrachtet. (Kein Wunder, reduzieren Evolutionsbiologen gerne mal die ganze Evolution auf die Betrachtung der Gene.)

Zusätzlich benötigt es einen Richter. Jemand, der bestimmt: «Du darfst leben.» «Du nicht.» Bei der Evolution ist das die Umwelt. Die Information muss einen Einfluss auf das Urteil des Richters haben. Also die Gene beeinflussen wesentlich, wie sich ein Lebewesen verhält und wie es aussieht. Dieses Verhalten beeinflusst wiederum das Urteil des Richters. Wenn die Gene ein Lebewesen angepasster machen, dann überlebt es eher. Dazu kommt noch die Dynamik, dass sich der Richter auch verändert. Die Umwelt verändert sich beispielsweise. In einer Welt ohne Sauerstoff florieren andere Gene als bei einer mit Sauerstoff.

Die Information muss folglich in der Lage sein sich langsam anzupassen. Das ‹langsam› ist ein relevantes Detail, da nicht mehr von demselben Gen gesprochen werden kann, wenn es sich zu schlagartig verändert. Es muss in diesem Fall von einem neuen Gen gesprochen werden. Das sich langsam verändern garantiert auch, dass Errungenschaften nicht wieder verloren gehen. Die Änderungen können, müssen aber nicht, zielgerichtet sein. Bei der Evolution sind sie das nicht. Das Gen mutiert selbständig und der Richter entscheidet, dann welche Mutation überleben darf.

Nochmals auf abstrakter Ebene. Wir brauchen:

  1. Einen Informationsspeicher
  2. Einen Richter
  3. Information hat Einfluss auf Urteil von Richter
  4. Der Richter ändert sich stetig und nur selten schlagartig
  5. Information ändert sich stetig.

Ich halte es für sinnvoll, diese fünf Punkte etwas genauer zu betrachten. Sie sind ein wichtiger Kern meiner Argumentation. Wünschenswert wäre, wenn du eine Intuition für die Begriffe entwickelst und so die weiteren Punkte verstehst und wenn ich dies nicht erreiche, dann zumindest, dass du einen Ort hast dies nachzulesen.

Der Hauptgedanke ist, dass es nicht um Evolution und Gene bzw. Lebewesen gehen muss. Sondern Evolution ist einfach die logische Folge, wenn diese 5 Punkte erfüllt sind. Wo die Grenzen dieses Gesetzes sind, ist der Fantasie überlassen. Ich bin ein Informatiker und sehe, dass künstliche Intelligenz auf diesen Prinzipien aufgebaut sein muss. Aber auch andere Dinge. Sagen wir: die Prozesse in einer Firma. Sie sind irgendwo gespeichert. Der Richter ist die Geschäftsleitung, die bestimmen darf, ob der Prozess bestehen bleibt. Die Richtlinien ändern sich stetig und passen sich an die Gegebenheiten an. Und wenn sie das nicht tun, werden sie irgendwann nutzlos und die Geschäftsführung ersetzt sie. Dieses Beispiel hat nichts mit Genen zu tun und trotzdem verhält sich auch eine Richtlinie nach diesem Gesetz. Anstatt aber eine Unmenge von Beispielen aufzuzählen, gehe ich Punkt für Punkt durch.

Informationsspeicher

Dies ist das Herzstück des Ganzen. Was genau Information ist und was nicht, ist eine Frage, die an die Physik, Mathematik und Philosophie grenzt. Diese ganze Diskussion führe ich hier jedoch nicht. Information ist für mich etwas, das grössere Körper in einer bestimmten Weise beeinflusst. Also die Gene beeinflussen das Aussehen des Körpers, oder die Festplatte das Verhalten des Computers, oder die Gesetze das Verhalten der Menschen. Die Information muss dies nicht deterministisch steuern, sondern nur beeinflussen. Also die Tatsache, dass es Kriminelle gibt, zeigt nicht, dass Gesetze nicht Informationen sind, sondern nur, dass der Inhalt der Gesetze nicht immer befolgt wird. Ein Gesetz wäre nur dann keine Information, wenn sie von allen ignoriert wird. Nebst Gesetzen sind aber auch mündliche Traditionen Informationen. Sie sind zwar nicht an einem einzigen Ort gespeichert, aber sie beeinflussen das Verhalten von ganzen Generationen.

Ich befürchte der Unterschied von Muster und Information ist nicht klar: Information ist das, was es einem Muster erlaubt zu überdauern. Es stellt sicher, dass das Muster morgen noch ähnlich ist wie heute. Um hier noch etwas Verwirrung zu stiften. Die Information selbst ist offensichtlich auch nur ein Muster, aber es ist ein Muster, das andere Muster beeinflusst. Und es ist ein Muster, das über die Zeit ‹ähnlich› bleibt. Die Information ist ein kompakter Weg, grosse Muster stabil zu halten. Wenn wir eine stabile Information haben (z. B. DNS), dann haben wir auch stabile Makro-Phänomene (z. B. Menschen). Dieses Makro-Phänomen ist dann meist auch der Wirt der Information, also es beherbergt die Information. Es selbst ist dann auch ein Muster, aber keine Information. Und sowohl Wirt als auch Information kämpfen ums Überleben. Also wenn eine Information es schafft sich zu vermehren und sich anzupassen, dann wird sie überleben und mit ihr das grosse Muster (z. B. die Menschheit). Informationen manifestieren also einen Überlebensdrang. Also, wenn die Informationen im Wirt es erreichen, dass der Wirt überlebt; dann überlebt auch die Information. Das Schicksal von Information und Wirt ist so stark verstrickt, dass Bücher wie «The selfish gene» die Information als das Agierende beschreiben. Doch aus unserer Sicht sind das alles einfach Muster mit unterschiedlichen Eigenschaften.

Richter

Informationen sind jedoch nie im luftleeren Raum. Sie sind immer in einer Umgebung. Diese Umgebung kann nicht alle Informationen gleichzeitig tolerieren. Vor allem, weil Informationen immer einen Wirt haben, brauchen sie Platz und Ressourcen. Es können nicht alle denkbaren Programme gleichzeitig auf einem Computer laufen, dafür gibt es nicht genügend Speicherplatz. Oder es können nicht alle jemals existierenden Spezies gleichzeitig leben, da es zu wenig Futter für alle gibt. Oder es können nicht alle Religionen gleichzeitig in einem Menschen vereint sein. Dafür hat er nicht die kognitive und emotionale Kraft.

Doch wer entscheidet, welche Information überleben darf? Diese Institution nenne ich ‹Richter›. Denn sie entscheidet. Es ist nicht die Antwort darauf, wer es macht, sondern eine Begriffsdefinition. Wer dieser Richter ist, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Doch einzig schon, die Tatsache, dass Informationen einen Wirt haben in einer endlichen Welt, ist schon ausreichend dafür, dass ein Richter entstehen muss, wie oben beschrieben. Denn wenn nicht alle gleichzeitig existieren können, dann werden einige sterben und der Mechanismus, der dies macht, nenne ich Richter.

Aber hier ein paar Beispiele von Richtern: Bei der DNS ist der Wirt ein Lebewesen und der Richter die Umwelt. Bei einem Computerprogramm ist der Wirt die Festplatte und der Richter der Administrator des Computers. Oder bei Religionen ist der Wirt der Mensch und der Richter auch der Mensch, aber auch die Gesellschaft.

Der Richter muss also keineswegs ein bewusster Akteur sein. Denn die Umwelt bringt ihre Lebewesen um, ohne nachzudenken. Der Richter kann aber auch bewusst sein. So zum Beispiel der Administrator eines Computers: Dieser entscheidet bewusst, welche Programme er installieren will, welche nicht und welche er löschen will.

Das Urteil des Richters muss auch keineswegs rational oder ‹sinnvoll› sein. Wobei man etwas philosophisch behaupten kann: Das Urteil des Richters ist der Sinn des Systems. Jedenfalls entscheidet sich allein über das Urteil des Administrators, was ein ‹gutes› Programm ist. Ich greife aber vor. Rational und sinnvoll verhalten kann sich allein die Information. Denn sie kann mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen (Logik, Gewalt, Teamwork usw.) ihr Überleben sichern. Denn Rationalität misst sich an der Fähigkeit, dem Richter Stand zu halten. Sich also gegen diese (Un-)Willkür effektiv zu behaupten, nennen wir: ‹Sich rational zu verhalten›.

Einfluss von Information auf Urteil

Damit der evolutionäre Prozess stattfinden kann, muss die Information einen Einfluss auf das Urteil des Richters haben. Oder anders formuliert: Wenn die Information es schafft, Einfluss auf das Urteil des Richters zu nehmen, dann sind die Informationen, die das geschickt anstellen, überlebensfähiger. Und wie wir bereits gesehen haben, ist dies in all unseren Beispielen der Fall. Das Gen hat einen Einfluss auf die Geschwindigkeit, Stärke und Intelligenz des Wirts und somit auch auf dessen Überlebenschancen. Ein nützliches, schönes, günstiges und nicht nerviges Programm hat eine höhere Chance nicht deinstalliert zu werden. Eine Religion, welche die Gesellschaft vereint und Halt gibt, hat auch grössere Überlebenschancen.

Das ist immer nur ein Einfluss und keine Garantie. Menschen deinstallieren auch gute Programme oder Tiere sterben, weil sie Pech hatten. Doch meist reicht dieser kleine Einfluss schon aus, um eine Information über lange Zeit zu stabilisieren. Denn auch wenn jemand mal ein gutes Programm deinstalliert, obwohl es gut ist, dann wird es von anderen weiterverwendet. Obwohl, das Programm nur einen kleinen Einfluss auf den Benutzer hat, so reicht dieser doch aus, dass es über die ganze Welt verteilt, immer Benutzer gibt, die das Programm verwenden.

Richter ändert sich meist stetig

Der Richter ändert sich die ganze Zeit. Dies ist nicht ein Problem, sondern gerade der Fakt, der es erlaubt, dass sich Dinge weiterentwickeln. Das wird erreicht durch ein relatives Bewertungssystem und kein absolutes. Es bleiben nicht die Programme auf einem Computer installiert, die doppelt so schnell zu schreiben erlauben wie die Schreibmaschine, sondern das Programm, dass es erlaubt, am schnellsten zu schreiben. Dadurch wird die Messlatte mit jedem neuen besten Programm erhöht. Dadurch erhöht sich der Druck für andere Programme, sich weiterzuentwickeln. Der Vorteil dieser Art Richter ist auch, dass es immer solche gibt, die überleben. Denn eines ist immer am besten. Nicht gut, aber am besten.

Die Evolution ist einfach analysiert. In einer Welt ohne Fleischfresser ist Tarnung kaum relevant. Mit jedoch schon. Der Richter ‹Natur› entscheidet also immer relativ zu allem anderen. Ob ein Vogel überleben darf, liegt auch an der Vogelpopulation. Und der Menge an Futter. Und wenn auf einmal Menschen kommen und Strassen bauen, dann haben Vögel, die mithilfe von Autos Nüsse knacken, einen Vorteil.

Wir sehen also, dass sich das Urteil, ob ein Muster überleben darf, sich ändert. Und das Urteil bezieht sich immer auf die Vergangenheit. Also die Natur sagt nicht an einem Tag, dass die Tiere mit der besten Tarnung überleben und am nächsten die mit der schlechtesten Tarnung. Sondern das Urteil von heute hat immer etwas mit dem Urteil von gestern zu tun. Man kann sich vorstellen es gäbe weniger Fleischfresser und darum ist Tarnung etwas weniger wichtig. Genau gleich bei einem Computer. Wenn der Benutzer nur zufällig Programme installiert, wird sich die Qualität der Programme nicht verbessern. Sie verbessert sich nur, wenn er immer wieder ein schlechteres durch ein besseres ersetzt. Diese Beispiele zeigen, dass es irrelevant ist, ob die Veränderung zielgerichtet, wie beim Computer, oder zufällig wie bei der Evolution ist. Beim ersterem arbeiten Informatiker, um das Programm so gut wie möglich zu entwickeln und ein Administrator, der ein Ziel hat und die besten Programme dafür verwendet. Bei der Evolution arbeitet mit zufälligen Prozessen. Beide garantieren Fortschritt. Solange es ein Richter gibt, werden sich Arten anpassen und werden Programme besser werden. Es gibt keine Möglichkeit, dass das nicht passieren kann(8).

Information ändert sich stetig

Änderte sich die Information nicht, gäbe es keinen Fortschritt. Also, wenn sich die Gene, die Geschichten, die wir uns erzählen und unsere sozialen Strukturen nicht verändern, dann gibt es keinen Fortschritt. Dies ist nicht wertend zu verstehen, sondern rein deskriptiv. Es folgt aus dem oben beschriebenen. Weil sich der Richter bzw. das Urteil ändert, muss sich die Information ändern, ansonsten hält es dem Urteil nicht stand.

Doch wie verändert sich die Information? Wir haben schon beim Richter festgestellt, dass er sich meist stetig verändert. Stetig heisst: ‹heute› und ‹morgen› unterscheiden sich nicht stark. Dies ist eine intrinsische Eigenschaft von Mustern. Jedes Muster ändert sich nur stetig, denn wenn die Änderung zu stark ist, dann neigt man dazu zu sagen, das alte sei verschwunden und etwas Neues entstanden.

Beispiele

Was haben wir bis jetzt? Wir haben Gesetze erkannt. Gesetze, denen alle Muster dieser Welt unterliegen: ob Ethik, Gesellschaften, Organismen, Planeten, Universen, Götter, Religionen oder Ideen. Alle müssen diese Gesetze befolgen. Und wenn wir sehen, dass diese Gesetze alles um uns herum beherrschen, dann ist es offensichtlich, dass sie ‹wichtig› sind. Diese Gesetze werden auch erlauben, Denk-Ansätze zu kritisieren: Wir können anhand dieser Gesetze analysieren, ob ein politischer Vorschlag funktioniert. Denn dieses Werkzeug ist ignorant gegenüber dem, was klassisch gesehen ‹gut› und ‹schlecht› ist. Es kümmert sich nur darum, was ‹ist›. Doch hier greife ich etwas vor. Um das intuitive Verständnis von den Gesetzen und von Muster zu verbessern, betrachte ich jetzt kurz ein paar Beispiele.

Das erste Beispiel sind Memes, oder Ideen, wie sie früher genannt wurden. Ideen erfüllen all das. Sie sind im Gehirn gespeichert (1). Das Individuum entscheidet im Austausch mit der Gesellschaft, welche Idee man behaltet (2). Es entscheidet sich für ‹wahre› Aussagen. Oder für Aussagen, die sich gut anfühlen (3). Die Ideen formen dann die Interaktion mit der Welt (4). Die Ideen werden dauernd angepasst und wenn nicht sofort, dann sicher von Generation zu Generation. Denn es ist unmöglich, dass die nächste Generation genau dasselbe unter irgendeiner Idee versteht wie der Vorfahre (5). Das Interessante an diesem Beispiel ist, dass der Evolutionsbiologe Richard Dawkins das Wort ‹Meme› eingeführt hat, um zu beschreiben, dass Ideen und Vorstellungen ebenfalls der Evolution unterworfen sind und, dass daher Memes nicht wahr sein müssen. Dieser Begriff war nicht unumstritten und führte zu Diskussionen. Es wurden dann auch Begriffe wie Memeplex (Meme-Komplex) eingeführt, als eine Ansammlung sich stabilisierender Memes. Doch aus unserer jetzt gewonnen Sicht sind das alles einfach Muster, die ‹sind› oder eben ‹nicht sind›. Und wenn sie ‹sind›, dann sind sie denn obigen Gesetzen unterworfen. Auch die Memeplexe sind diesen Gesetzen unterworfen sowie das Buch ‹The Selfish Gene› selbst; in dem das alles beschrieben wird.

Und wenn wir gerade beim Thema sind, dann ist das ‹Selfish Gene› (=egoistische Gen) auch nichts als eine triviale Randbemerkung aus unseren Beobachtungen. Dawkins argumentierte in demselben Buch, dass sich Gene ‹egoistisch› verhalten und wir nur ‹Trittbrettfahrer› sind auf dem Erfolg der Gene. Doch dies ist aus unserer Sicht nicht vollständig zu. Nur die Gene, die sich diesen Gesetzen entsprechend verhalten, die Zeit überdauern, aber dies stimmt auch für andere Muster, die einen Interessenskonflikt mit einem Gen haben. So z. B. die Religion. Das frühe Christentum verhielt sich nicht den Genen entsprechend. Es verbreitete sich ungeachtet der Familien und der Regionen und es war selbst aufopfernd. Das heisst: Für frühe Christen war es besser zu sterben und dabei anderen die ‹gute Botschaft› weiterzugeben, als zu überleben und dies nicht zu tun. Gene haben Mechanismen eingebaut, die solche Wünsche unterdrücken. Man hat Todesangst und man fürchtet sich vor Folter und mehr. Starke Mechanismen, die jeden daran hindern sollten, so etwas zu tun. Doch auch die Ideen haben einen ‹Überlebenstrieb›, jedenfalls überdauern sie nur, wenn sie einen solchen ausleben. Damit sich eine Idee über lange Zeit stabilisiert, bietet es sich an mit den Genen zu kooperieren. So ist es bei wortwörtlichen Viren und auch bei viralen Ideen wie dem Christentum. Bei Viren integrieren wir mit der Zeit die Gene der Viren in unser eigenes Genmaterial und beim Christentum, waren irgendwann alle Christen und dadurch hörte auch spätestens die Verfolgung auf. Dann nutzte sie die genetische Kraft zum eigenen Vorteil. Man durfte niemanden heiraten, der nicht Christ ist. Wenn sich diese Idee durchsetzt und es genügend Christen gibt, dann kann die Genetik der Nicht-Christen da nichts ausrichten und muss sich anpassen_._ In diesem Fall ist die Genetik klar unterlegen.

Mir ist klar, dass ‹Christsein› und ‹Nicht-Christsein› nicht genetisch gespeichert ist, aber wenn wir schon in Metaphern wie ‹egoistisches Gen› sprechen, dann erträgt es auch ein solches Bild. Was ich ausdrücken will ist, dass der Fortpflanzungsdrang der Menschen sich dem Meme ‹Christentum› unterordnen muss. Und somit jede genetische Disposition, zum ‹Nicht-Christ› sein, benachteiligt ist. Wie es dann mit der Zeit doch kam, dass sich viele vom Glauben an Christus abwandten ist eine geschichtlich hochinteressante Frage, die wir auch noch am Rande behandeln werden. Sie sprengt aber den Rahmen dieses Beispiels.

Auch Gesellschaftsformen entsprechen dieser Regel. Bei denen ist der Prozess aber noch abstrakter. Aber versuchen wir es dennoch nachzuvollziehen. Sie haben eine Struktur, nämlich eine Verfassung und Regierung. Dies sind Informationsträger. Es gab auch schon Gesellschaftsformen ohne eine Verfassung. Diese fanden in den Traditionen, in den Köpfen des Volkes und auch der Regierung einen Informationsträger (1). Die Richter bei Gesellschaftsformen sind unterschiedlich. Alles, was ein System stürzen kann, ist ein solcher Richter. Also Hungersnöte und Naturkatastrophen. Andere Völker die Krieg gegen das eigene führen. Andere Gesellschaftsformen, die sich im eigenen Land einnisten (2). Die einen Gesellschaftsform haben es leichter als andere, die Zeit zu überstehen. Die Zeit zu überstehen heisst, dem Todesurteil des Richters zu entkommen (3). Gesellschaften beeinflussen einander auch gegenseitig. So hätte wahrscheinlich vor zweitausend Jahren keine Verfassungsdemokratie überleben können und heute haben es Diktaturen schwierig. Weil die politische Landschaft sich so geändert hat, braucht es heute andere Qualitäten, um zu bestehen (4). Der letzte Punkt ist auch einfach, denn dass sich Gesellschaften ändern, ist ja offensichtlich. Verfassungen werden geändert. Revolutionen geschehen (5).

Die vorherige Bemerkung mit Demokratie und Diktatur ist mir hier wichtig herauszuarbeiten. Ich bemerke oft einen Idealismus in politischen Diskussionen: ‹Es sollten die fähigsten Menschen an der Spitze sein und nicht die beliebtesten. › Dieser Anspruch existiert seit Plato bis heute. Solche Ideen scheinen intuitiv, aber sie ignorieren die ganze Logik, die hier am Werk ist. Den Personen, die so etwas wünschen ist klar, dass dies nicht ohne Anstrengung zu erreichen ist, aber dennoch isolieren sie gerne einzelne Aspekte aus dem Ganzen raus und kritisieren das. Oder wenn sie das nicht tun, dann höre ich auch oft: «Es braucht einen Systemwechsel.» Ja, schön und gut, aber es ist äusserst schwierig ein System zu entwerfen, das stabiler und besser ist als das aktuelle. Das letzte Jahrhundert war geprägt von ‹Systemwechseln› und das kostete Millionen Menschenleben und die meisten Revolutionen gingen wieder unter. Etliche Millionen Menschen waren also nicht einmal ein Opfer für eine bessere Welt, sondern sind unnötig und ohne Sinn eingesperrt, gefoltert worden und sind schliesslich gestorben. Aus diesen Überlegungen ist es offensichtlich, dass Veränderung in komplexen Systemen via Revolutionen äusserst riskant sind und vorzugsweise Minirevolutionen oder Reformen zielführend sind. Z. B. die Bürgerrechtsbewegung in den USA. Es scheint, als wäre dies eine echte Revolution gewesen, doch das war sie nichet im selben Sinne wie die kommunistische Revolution. Die Bürgerrechtsbewegung wollte die afroamerikanische Bevölkerung in das bestehende System integrieren und nicht das bestehende System zerstören. Dies ist ein entscheidender Unterschied.

Mir ist klar, dass Revolutionen auch Veränderung zum besseren bewirken können. Ich behaupte aber, dass es nie vorauszusehen war, ob die Revolution ihr Ziel erreicht. Und fast immer verursachte es unermessliches Leid. Gefolgt vom Untergang der Revolution und eine Rückkehr zu dem, was zuvor war. Nur waren danach alle ärmer und traumatisiert. Man bedenke: Erst der 1. Weltkrieg beendete die Monarchie und nicht die Französische Revolution. Es benötigte Jahrhunderte von Krieg und Leid und nur die besten Ideen überstehen das und setzen sich dann doch durch.

Als Abschluss hier noch ein paar Beispiele und eine kurze Inspiration, was sonst noch alles sich nach diesem evolutionären Prozess entwickelt. Sprache, Zahlungsverkehr, Technologien, Religionen, Firmenstrukturen, Macht und Reichtum, du und ich.

Gibt es einen Stillstand?

Das evolutionäre Prinzip ist ein in sich abgeschlossenes Prinzip. Also, wenn die Bedingungen gegeben sind (die 5 Punkte) dann passiert es. Wir denken jetzt darüber nach, was genau passiert, wenn diese Punkten erfüllt, sind(9).

Solange es eine Möglichkeit gibt, seine Überlebenschancen zu verbessern und diese über den Informationsspeicher zu persistieren, so ist das immer vorteilhaft. Mit ‹vorteilhaft› meine ich: Etwas, das es schafft, dies zu tun, hat höhere Überlebenschancen und wird über die Zeit dominieren. Eine wichtige Frage stellt sich als nächstes: Wie ‹persistiert› man die Information in einer sich ändernder Welt? Man kann es kopieren und weitergeben. Z. B. bei Genen durch das Produzieren neuer Nachkommen. Bei Religionen durch evangelisieren und erziehen. Bei Programmen durch Verbreiten über Downloadportale und so weiter. Es ist dabei ganz entscheidend zu sehen, dass Muster weitervererbt werden. Und wenn es mehrere Kopien gibt, gibt es mehrere Möglichkeiten zu überleben. Wenn ein Muster also stirbt, sich aber schnell vermehrt, dann ist es trotzdem stabil. Kurzlebige Tiere sind hierfür ein Beispiel. Jeder einzelne DNS-Strang überlebt nur kurz, aber das Muster dieser Art von DNS (die Spezies) ist äusserst stabil über die Zeit. Kann es aber auch eine Überlebenschance geben für ein Muster, das sich nicht vermehrt? Dies ist nur bei praktisch unzerstörbaren Mustern möglich. Wie bei den Naturgesetzen oder bei den mathematischen Gesetzen. (Die Erkenntnis von den Gesetzen hingegen muss verbreitet werden um zu überleben). Bei sich vermehrenden Mustern ist ein verlorenes Exemplar nicht so schlimm, doch als einziger Vertreter eines Musters steht immer alles auf dem Spiel.

Die Leitfrage in diesem Abschnitt ist, ob der evolutionäre Prozess zum Stillstand kommen kann. Aus der obigen Überlegung überleben vor allem Muster, die sich vermehren. Doch sollten alle dieser Nachkommen gleich sein? Dies hängt davon ab, ob alles gleichzeitig gemacht werden kann. Also sagen wir, die Natur ändert sich auf solch eine Art, dass jetzt vor allem kleine Tiere überleben. Zuvor hatten Grosse einen Vorteil. Niemand wusste, dass diese Änderung kommt. Eine Spezies (DNS-Muster) die es schafft kleine und grosse Exemplare zu produzieren überlebt eher. Es ist also erstrebenswert, möglichst grosse Diversität anzubieten. Aber nicht so gross, dass man einander zerfleischt. Folglich gibt es immer eine diverse Anzahl von Exemplaren. Ansonsten würden, wenn sich die Umstände ändern (der Richter ändert sich), die nicht diversen aussterben. Dies ist auch der Trumpf des Menschen. Er ist so divers wie kein anderes Lebewesen. Er kann sich in kürzester Zeit anpassen an äusserst widrige Lebensumstände. Keine einzelne Spezies kann in der Arktis, der Sahara, dem Dschungel und auf hoher See leben. Und dies, obwohl wohl keine Spezies eine so aufwändige Infrastruktur benötigt wie der Mensch.

Wir sind wieder einen Schritt näher an der Antwort. Denn als erstes brauchen wir viele Exemplare unseres Musters und zweitens brauchen wir viele unterschiedliche Versionen des Musters. Eine Folge daraus ist, dass diese vielen unterschiedlichen Exemplare jetzt im Konkurrenzkampf miteinander stehen. Sie kämpfen um ihre Existenz. Und so wiederholt sich das Spie: Das Muster, das den Überlebenstrieb am besten manifestiert, wird die Zeit überdauern. Dieser Konkurrenzkampf ist dann auch ein Richter. Vermehrung und Diversifizierung verursachen also eine Veränderung des Richters. Mit einer Veränderung des Richters ändert sich auch, was eine gute Überlebensstrategie ist. Während ohne Konkurrenz, das Beste für ein Tier ist, so viel zu Fressen und sich so stark zu vermehren, wie es kann. So ist mit Konkurrenz auf einmal Dominanz- oder Fluchtverhalten auch entscheidend, ansonsten stirbt es. Das Ganze stabilisiert sich irgendwann. Dann haben wir alle Dinge auf der Welt in einem Gleichgewicht. Aber der Richter der Welt ändert sich selbst in einem Gleichgewicht: Eiszeiten kommen und gehen, dadurch haben einige Muster es einfacher zu existieren als andere. Doch nehmen wir an, die Situation verändere sich nicht dramatisch: Wird es so immer Veränderung geben?

Man könnte denken, dass es sich auf ein Gleichgewicht einspielt. Dies kann beobachtet werden in der Natur, aber es können auch andere Dinge passieren. Mindestens zwei Dinge können eine ewige Veränderung verursachen:

Schere, Stein, Papier

Es wäre denkbar, dass das Muster Schere dominiert in der Gegenwart von Papier. Papier würde aber Stein dominieren. Nun folgt die Krux: Stein dominiert Schere. Daraus würde folgen: Es würde ein Muster gross werden, sagen wir Schere. In dessen Präsenz wird Papier verdrängt, jedoch Stein wäre begünstigt, nach einer Weile würde Stein dominieren und so weiter. Es entstünde ein ewiger Kreislauf. Mit etwas Abstand betrachtet, ist dann dieser Kreislauf selbst ein stabiles Muster. In der Natur leben Jäger und Beute in so einem Kreislauf: Gibt es keine Füchse, vermehren sich die Hasen. Somit haben es die Füchse einfacher Nahrung zu finden und vermehren sich und fressen dabei die Hasen. Die Folge daraus: Die Hasenpopulation sinkt. Somit verschwindet die Nahrungsquelle der Füchse und auch ihre Population sinkt. Dadurch können sich die Hasen wieder ungestörter vermehren. Und so weiter.

Instabilität

Es könnte ein Muster entstehen, das kurzfristig ausserordentlich dominant ist, sich jedoch nicht langfristig halten kann. Ein Virus, das sich wie wild verbreitet und danach ausstirbt. Diese Instabilitäten sind nicht zu vermeiden, solange das bereits existierende Muster Schwächen hat. Und wir haben gesehen, dass es immer Schwächen geben wird. Eine andere Instabilität ist spezifischer. Die Intelligenz ist der grösste Destabilisator in der Welt. Die Tatsache, dass wir Muster erkennen können und über diese nachdenken. Die intelligenten Muster sind in der Lage ungemein gezielt die Informationsspeicher zu lesen und auch zu schreiben. Die Intelligenz ist jedoch nicht in der Lage, chaotische Zustände vorauszusagen(10). Sie kann also den Informationsspeicher beeinflussen, umgeht jedoch zu einem gewissen Mass den evolutionären Prozess. Natürlich nicht wirklich. Auch die Intelligenz darf nur so lange bestehen, wie sie überlebt.

Instabilität ist aber die vielleicht wichtigste Bemerkung in unserem System. Wenn wir Muster betrachten, dann ist es unerlässlich zu verstehen, wann sie verschwinden und warum. Ein stabiles Muster verschwindet per Definition nicht, ansonsten wäre es nicht stabil. Potenzielle Instabilitäten vorauszusehen, ist also die vielleicht wichtigste Fähigkeit, die man erwerben kann. Und weil das wahrlich nicht immer möglich ist, ist das ein weiterer Grund, warum es keinen Stillstand geben kann.

Fazit

Solange es einen Richter gibt, der sich verändert, müssen die Beurteilten sich mit verändern. Solange sie den Richter beeinflussen, müssen sie sich auch verändern. Solange es eine Nische gibt, in der ein schnelllebiges disruptives Muster florieren kann, wird es sich verändern. Solange die Intelligenz die Informationsspeicher verändert, wird es Veränderung geben. Doch woher kommen eigentlich diese Muster?

Woher kommen Muster?

Hat die Entwicklung des Universums eine Richtung? Momentan glaubt man das habe sie. Ich will aber nicht meine Argumentation von den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig machen und mich vorzugsweise auf stabilere Einsichten stützen. Dennoch: Momentan geht man wohl davon aus, dass das Universum die Entropie erhöhen will. Und das asymptotische Ziel ist totale Entropie. Völliges Chaos ohne Muster und Struktur. Doch warum bringt das Universum Muster hervor, wenn es das Chaos anstrebt? Dies ist eine Meta-Frage in der Physik und ich denke meine Denkweise mit dem evolutionären Prozess bietet hier eine nützliche Blickweise.

Ein Muster kann nur existieren, wenn es sich dem Willen des Universums beugt und es den Regeln entspricht. So haben wir gezeigt, wie sich Muster verändern, wenn die 5 Punkte gegeben sind. Das Einzige, was es eigentlich zu zeigen gilt ist, warum entstehen die 5 Punkte? Den Rest haben wir bereits gezeigt. Hier kurz zur Repetition die 5 Punkte: 1. Einen Informationsspeicher existiert. 2. Einen Richter, der über die Existenz der Informationsspeicher entscheidet. 3. Information hat Einfluss auf das Urteil des Richters. 4. Der Richter ändert sich stetig und nur selten schlagartig 5. Die Information ändert sich stetig.

Einen Richter gibt es immer, solange das Universums existiert. Information hat immer einen Einfluss auf den Richter, solange die Information aus Bestandteilen des Universums besteht. Der Richter ändert sich, weil er richtet und die existierenden Muster den Richter beeinflussen. Information ändert sich stetig: Haben wir ausführlich oben besprochen. Eigentlich ist alles offensichtlich, ausser der Punkt 1.

Warum gibt es einen Informationsspeicher? Dies ist aus der heutigen Sicht der Forschung nicht geklärt. Wenn es jedoch einen gibt, dann beginnt der ganze evolutionäre Prozess und wir können damit all das Leid, den Krieg, die diverse Natur und vieles mehr damit erklären. Wir haben bis jetzt die Folgen genau betrachtet. Es bleibt die wichtige Frage: Woher kommt die Information? Ich beantworte sie nicht, da ich dieses Buch von zu Hause ausschreibe, ohne irgendwelche Recherchen zu betreiben und nur logische und auch intuitive Argumente formuliere. Ich sage aber: Egal was es ist, was das auslöst: Es braucht nur etwas und der ganze Prozess startet. Am plausibelsten ist jedoch die Erklärung: Nach Milliarden Jahren zufälliger Prozesse im Universum entstand durch Zufall die Bedingung, um den ersten Informationsspeicher zu bilden und den Rest kennen wir und ist auch durch den evolutionären Prozess grösstenteils erklärt.

Interpretation

Diese Einsicht erlaubt eine interessante Meta-Einsicht. Muster könne physikalisch gesehen nur die Entropie erhöhen. Also das Entstehen von Informationsspeicher mag wohl zufällig gewesen sein, aber was danach mit ihnen passiert nicht mehr. Sie müssen sich der Entropie entsprechend verhalten. Alles, was ein Muster macht, erhöht die Entropie mehr, als wenn es dies nicht täte. Die Pflanzen saugen die Energie auf und stellen im Endeffekt Wärme und Biomasse her. Tiere essen dann die Biomasse und verbrennen sie wortwörtlich und produzieren Wärme. Im Total wurde aus nützlicher Sonnenstrahlung nutzlose Wärme. Wir Menschen tun dasselbe, nur effizienter. Man könnte sagen: «Macht ist die Fähigkeit Wärme zu erzeugen.» oder auch: «Alles, was ein Muster macht, ist die Entropie mehr zu erhöhen, als wenn es nicht existierte.»

Dies sind Gedanken, die man tiefer erforschen könnte. Ein Muster, dass die Entropie nicht erhöht, kann sich wahrscheinlich nicht erhalten, denn all die Teile des evolutionären Prozesses benötigen Energie. Diese Einsicht verleitete mich zur Hypothese: «Die einzige Daseinsberechtigung für ein Muster ist, dass es die Entropie mehr erhöht, als wenn es nicht da ist.» Struktur würde in diesem Falle durch ein Übermass von Entropie erkauft werden. Ich iteriere hier noch einmal: Mit ‹mehr Entropie erschaffen› meine ich nicht nur Erdöl verbrennen, sondern auch das Verrotten von abgestorbenen Pflanzen oder unser Wärmehaushalt in Körper. Aber Erdöl verbrennen ist auch gemeint. Das Universum kreiert also Muster, damit es schneller zum Ziel kommt. Und zwar zu totalem, einheitlichen Chaos. Ohne Information oder nutzbarer Energie.

Anti-Umweltschutz?

Ist dies ein Appell mehr Öl zu verbrennen und weniger Umweltschutz zu betreiben, damit sich die Entropie erhöht? Dies wäre wesentlich zu kurz gedacht. Ich widerlege diesen Gedanken allein aus unserer Sicht der Muster. So sehr man diese Frage nach dem obigen Abschnitt bejahen wollte, wäre es nicht korrekt. Wir müssen sehen, dass es nicht nur um heute und morgen geht bei der Entropie des Universums, sondern um lange Zeitabstände. Damit wir als Menschheit noch lange existieren dürfen, müssen wir uns erhalten. Verbrauchen wir unsere endlichen Ressourcen noch bevor wir Alternativen haben oder verursachen eine für uns tödliche Katastrophe, so haben wir unsere Daseinsberechtigung verwirkt. Die Erde wird uns ausrotten und wir werden keine Wärme mehr produzieren. Das Ziel muss also ein verantwortungsbewusster Umgang mit den Ressourcen sein. Und wir werden es schaffen, auf dem Mond und Mars eine neue Heimat zu bauen. Damit erhöhen wir auch die Entropie dort. Und so weiter. Also, wenn meine Überlegung stimmt, dass ‹Muster› und damit meine ich jetzt in erster Linie ‹Menschen› nur existieren, um Wärme zu produzieren, dann müssen wir auch eine Strategie fahren, die dies über lange Zeit und einen grossen Raum ermöglicht.

Wahrhaft erneuerbar leben ist jedoch leider nur ein Märchen. Dies ist physikalisch unmöglich. Wir können nichts, ausser brauchbarer Energie unbrauchbar zu machen. Umgangssprachlich kann man es gerne verwenden. Man meint damit Energie, die sowieso da ist. Also Wind, Sonne und so weiter. Aber das ist auch eine Entropie-Erhöhung von uns. Es ist aber äusserst zentral, dass wir Ressourcen beginnen zu nutzen und diese auch einen Hauptteil unseres Energiehaushalts ausmachen, die in unserer Zeitrechnung stabil bleiben und wir unsere Umwelt vorhersehbar gestalten (behalten). Also rein pragmatisch gesehen zwingen uns die Gesetze der Muster sogenannt ‹nachhaltig› zu leben, denn wenn wir es nicht tun, werden wir uns selbst benachteiligen. Was jedoch auch denkbar ist, ist, dass wir erst nachhaltig leben, wenn es nicht mehr anders geht und wir damit grosses Leid über die Menschheit bringen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die Menschheit nicht aussterben wird wegen verantwortungslosem Verhalten. Wir werden es uns nur erschweren und mit Leid füllen.

Fazit?

Muster sind also unter Umständen zufällig entstanden, jedoch benötigen alle Muster Energie, um sich zu erhalten. Energie brauchen ist physikalisch dasselbe wie Entropie erhöhen. Muster können also nie ohne Energie auskommen. Auch scheint es so, dass die Muster, die mehr Energie benötigen, und sich das leisten können, ‹mächtig› genannt werden. Macht kann also, als die Fähigkeit Energie zu nutzen gesehen werden. Dies ist aber alles nur eine Folgerung daraus, dass die Entropie im Universum stetig zunehmen muss. Ist dies nicht korrekt, ist der letzte Abschnitt falsch(11).

Hypothese: Teleologie

Diese Beobachtungen lassen uns eine in Verruf geratene Philosophie auszugraben. Die Frage nach dem Sinn beziehungsweise nach dem Ziel. Früher war dies eine der grossen Fragen der Philosophie: Worin besteht das Ziel des Lebens? Wohin muss ich mich entwickeln, damit es gut ist? Was ist im Sinne des Erfinders? Diese alten Argumente klangen wie folgt: Der Sinn einer Uhr besteht darin, die Zeit anzuzeigen. Macht sie das nicht, hat sie ihren Zweck verfehlt. Macht sie es nicht präzise, hat sie ihn nicht optimal erfüllt. Genauso verhält es sich, laut diesen Philosophen, auch mit dem Menschen. Auch dieser erfüllt einen Sinn. Dies ist für einen Tugendethiker, das Tugendhafte leben. Für einen spirituellen eine Vereinigung mit dem Göttlichen. Da aber heute weder spirituelle Philosophien noch die Tugend hohe Werte sind, wird diese Frage irrelevant. Die Evolution hat dabei auch ihre Spuren hinterlassen. Sie nahm den Dingen ihren Sinn beziehungsweise ihr Ziel. Die Evolution stellt jede Sinn- und Zielfrage infrage. Doch ist genau diese unerlässlich. Wollen wir erschliessen, was gut und schlecht ist, dann geht das nur über solche Fragen.

Wozu existieren wir? Nur weil die Evolution jegliche Divinität aus dieser Frage reisst, bedeutet das nicht, dass es keine Antwort gibt. Wir sehnen uns nach einem übermenschlichen Sinn. Ein Sinn, der uns übersteigt. Und unser ontologisches Gesetz legt ein solcher Sinn nahe. Unser Sinn als Menschheit ist es zu existieren und sicherzustellen, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Dieser Sinn ist gerade für spirituelle Menschen zu banal. Aber zu existieren ist nicht banal. Das Universum brütet andauernd neue Herausforderungen aus. Und es gibt genug Lebewesen, die unseren Platz einnehmen wollen. Phänomene wie Spiritualität, empfundener Sinn, Zeitlosigkeit sind starke Motivatoren für genau dieses Ziel. Das Leben gibt uns diese tiefen Erlebnisse und versucht uns zu motivieren noch tiefer in die Mechanik und Struktur des Universums einzutauchen. Ob dies psychologisch/spirituell oder naturwissenschaftlich passiert, ist stark von der Persönlichkeit und der Erziehung abhängig. Verzagen wir aber einfach. Und sagen, es sei sinnlos. Dann haben alle diese tiefen und berührenden Erlebnisse ihr Ziel verfehlt. Denn sie wollen ihren Wirt motivieren, neue Wege zu gehen. Zum Beispiel, die Diversität in der eigenen In-Group zu erhöhen. Das Leben macht das mit allen Mitteln, die es zur Verfügung hat und wir verschmähen es als sinnlos. Diese Arroganz ist so lächerlich wie der Turmbau zu Babel. Die glaubten, sie bauen einen Turm, der bis zu den Göttern reicht(12). So wird das Resultat aber auch gleich sein. Die Gruppen, die diese tiefen und sinnerfüllten Erlebnisse als bedeutungslos deklarieren, sind nicht rational. Sie sind gerade das Gegenteil von rational. Das Universum spricht sich so deutlich es kann für die Sinnhaftigkeit dieses Erlebnisses aus und wir verwerfen es in unserer intellektuellen Arroganz. Es ist schwierig, zu sagen, wozu genau diese Erlebnisse sind. Das Staunen in der Natur oder in einem Konzert. Die Nähe Gottes erleben. Die Intuition, eine neue Idee in der Forschung zu verfolgen. Die Muse. Doch nur weil ich es nicht weiss, wäre es närrisch daraus zu schliessen es sei sinnlos. Die Folge wäre wahrscheinlich der Untergang einer Gesellschaft, wenn man diese religiösen Erlebnisse vergisst und abstumpft.

Sinnhaftigkeit ist also keineswegs abgeschafft durch die Akzeptanz des evolutionären Prinzips. Existenzialismus wird immer eine Randerscheinung bleiben in der Gesellschaft. Und wenn nicht, müssen wir uns wahrhaft um unser Leben sorgen. Die Evolution bringt die Frage neu auf. Was ist der Zweck des Lebens? Und da wir nicht genau sehen, was es genau braucht, damit eine Gesellschaft stabil bleibt, ist es kein naiver Ausgangspunkt sich auf diese sinnerfüllten Zustände zu konzentrieren. Zusätzlich wird ein tugendhaftes Leben ebenfalls belohnt. Während also die einen eine Sinnlosigkeit wie Existenzialismus oder sogar Nihilismus aus der Evolution schliessen, so ist es doch genau verdreht. Die Evolution verleiht den Fakten dieser Welt Wichtigkeit. Und Fakt ist, dass wir spirituelle, Intuition geleitete Entdecker sind. Und alles zu verwerfen, was die Evolution über die letzten Jahrtausende für uns entwickelt hat, ist bestenfalls lächerlich und schlimmstenfalls Hybris.

Unterschiedliche Informationsspeicher

Dies ist nur ein kurzer Einschub. Muster existieren schon lange. Doch alle Muster, die dem evolutionären Prozess unterworfen sind, basieren auf einem Grundinformationsspeicher. Die Natur basiert auf der DNS. Das Muster Rudelbildung von Wölfen ist nicht unbedingt in den Genen gespeichert, doch es erscheint als emergentes Muster aus der DNS. Doch sind in den letzten Jahrtausenden, aber auch in den letzten Jahren neue Informationsspeicher aufgetreten und damit neue evolutionäre Prozesse angestossen worden.

Die Gefühle sind eine Vorstufe von Sprache, aber auch eine Abstraktion vom Richter. Anstatt erst beim Tod zu merken, dass wir etwas anscheinend falsch gemacht haben, als wir den Säbelzahntiger streichelten, sagen uns die Gefühle (hier die Angst), dass der Richter des Universums ein Problem mit dir hat, wenn du dem Tiger zu nahekommst. Gefühle sind ein Wegweiser durchs Leben. Nicht unfehlbar, aber immerhin ein Wegweiser. Wir erinnern uns oft mit Gefühlen an ähnliche Situationen. Unser Unbewusstes hat die Verknüpfung gespeichert und sagt uns: ‹Dies ist ein nettes Tier› oder ‹Diese Beere ist schlecht›. Diesen Informationsspeicher teilen wir mit allen Tieren. Und die Evolution könnte nicht so funktionieren, wenn es nicht einen solchen Vorboten des Richterspruches implementiert hätte. Es brennt in unseren Verstand eine Bewertung ein und sie verbreitet sich durch Fantasie, Erlebnisse und durch Mitgefühl.

Fähiger, komplexe Situationen zu erforschen oder zu rekapitulieren, ist das episodische Gedächtnis. Wir erinnern uns räumlich und zeitlich an eine Situation und spielen sie nach. Wir stellen uns vor, wie wir flüchten/kämpfen oder um einen Partner werben. Wir erinnern uns an ähnliche vergangene Situationen und denken sie weiter oder anders und wir durchleben sie noch einmal. Diese Information ist äusserst intim, denn sie teilt sich nicht automatisch mit. Aber alle Menschen haben es. Die Fähigkeit solche Information zu verarbeiten ist also biologisch veranlagt. Die Information ist aber kaum für andere zugänglich und daher nur für den Wirt gedacht. Es ist aber mächtig, denn wir können so wahrscheinlich am effizientesten normale Alltagssituationen ‹simulieren›. Effizienter als das uns die Sprache, Gefühlen oder Computern erlauben. Geschichten spielen mit diesem Informationsspeicher. Wir erzählen eine Geschichte, mit einem Ort und einer Zeit und wir regen unser episodisches Gedächtnis an und speichern die Geschichte dort. Uns ist zwar bewusst, dass diese Geschichte nicht uns wirklich passiert ist, aber doch ist sie da und hilft uns Situationen zu bewerten.

Die Sprache erlaubt das Erscheinen von gänzlich neuen Mustern: Gesellschaften von vielen 1000 Menschen wären ohne sie nicht möglich. Dieser neue Informationsspeicher hat radikal andere Eigenschaften als die DNS. Sie vermehrt sich nicht automatisch, sondern Menschen müssen Bücher abschreiben oder einander Geschichten erzählen. Sie ist nicht nur im Individuum, sondern in einer Bibliothek (ausgelagerter Informationsspeicher). Wir haben dadurch gefühlt unendlich Platz für Informationen. Die Frage ist nur: Welche Information können und wollen wir in unser Leben einbauen? Auch stellt sich die Frage: Welche Bücher sind es wert zu bewahren? Aus der Antike wissen wir beinahe nur die Dinge, die seit 2000 Jahren ununterbrochen als bewahrenswert angesehen wurden. Wir haben keine Tagebücher, es sei den von Kaisern. Sogar grosse Werke der Literatur, so zum Beispiel weitere Werke von Homer sind verschollen, weil es mal eine Generation gab, die diese Texte nicht zu schätzen wusste. Dies geschieht oft durch einen Wechsel der Regierung. Wenn das römische Reich zerfällt, investieren die Thronfolger oft nicht stark in die Erhaltung des kulturellen Erbes der Vorgänger. Somit gehen viele Informationen von einer Kultur zur nächsten verloren. Doch die Geschichte der Informationen ist nicht mit der Sprache abgeschlossen.

Die Computer sind menschheitsgeschichtlich gesehen erst seit kurzem relevant. Sie sind eine wieder neue Art der Informationsspeicherung, mit wieder anderen Gesetzen. Verbreitung funktioniert anders als bei DNS und Sprache. Es können Programme gekauft und installiert werden und allein schon durch ihre Installation verändert sich die Information auf einer Festplatte. Ihr Wirt ist ein Computer. Und ähnlich wie die Sprache ist der Computer auf die Menschen angewiesen. Gäbe es keine Menschen, die Computer wichtig finden, würden sie aussterben. Also ist es im Interesse von den Computern, die Menschen zu beschützen. Und momentan passiert auch genau das. Der Computer macht den Menschen mächtiger denn je. Und wir haben ja schon gesehen: Macht ist die Fähigkeit, gegen die Entropie zu bestehen. Also Computer befähigen uns, die Welt in einer noch nie dagewesenen Art und Weise umzugestalten. So wie wir uns heute kaum noch eine Menschheit ohne Sprache vorstellen können, so wird es auch schon bald mit den Computern sein. Man sagt umgangssprachlich auch jetzt schon: «Ich weiss gar nicht, wie das alles ohne das Internet funktionieren sollte.» Doch das ist nicht wortwörtlich zu verstehen. Die Menschheit würde weiterbestehen ohne Computer, aber ohne Sprache ist es schwierig. Lässt man die Fantasie mal etwas walten, dann kommt man wahrscheinlich nur darauf, wie die Menschheit sofort eine Sprache erfinden würde. Doch genau das wäre entgegen dem Gedankenexperiment. Wie auch immer. Ich behaupte hier nur, dass es in wenigen Jahrzehnten, vielleicht auch Jahrhunderten genauso undenkbar ist ohne Computer zu leben wie ohne Sprache.

Das beruhigende daran ist: Jeder Mensch wird ohne diese neumodischen Dinge wie Sprache und Computer geboren. Wir sollten nicht vergessen: Es gibt ein Leben jenseits von Computern und sogar jenseits von Sprache. Doch die Wesen ohne diese sind weniger mächtig und können sich nicht so erfolgreich gegen die Gefahren der Natur durchsetzen. Wir sollten also nicht vergessen, die einzige Rechtfertigung für Sprache und Computer ist, evolutionär gesehen, dass sie uns mächtiger machen. Es ist eine rein egoistische Begründung. Aber eine so starke Begründung, dass sie nicht aus der Welt zu weisen ist.

Was hat das mit mir zu tun?

Der Mensch ist ein Muster. Wir sind den 5 Punkten unterworfen. Jegliche Richtung, die wir beschreiten als Menschheit, als Dorf oder als Familie, muss sich gegen das Gericht des Universums behaupten. Wenn nicht, wird es zu Ende kommen. Diese Feststellung ist wertfrei und jede Verleugnung davon, kann nicht ernst umgesetzt werden. Denn jemand, der sie verleugnet und gegen sie handelt, wird aus dem Universum verschwinden.

Wir sind im Schussfeld all dieser Informationen, die um ihr Überleben kämpfen. Wir bewirten sowohl Gefühle und Erinnerungen als auch Geschichten und Erkenntnisse. Und obwohl die Computer die Wirte der digitalen Informationen sind, so sind es auch wir, die die Programme befähigen und auch wir sind es, die sie am Überleben halten müssen. Wir sind also ein Komplex von all diesen Informationen. Und alle haben einen Anspruch an uns. Dieser Anspruch ist oft widersprüchlich. So bewirten wir eine Idee oder Hypothese, die uns eventuell gesellschaftlich lächerlich dastehen lässt (wie dieses Buch für mich). Doch die Idee manifestiert einen Überlebenstrieb und will aufgeschrieben, erzählt und verbreitet werden. Wir bewirten auch Gene, die einen starken Sexualtrieb bewirken. Aber wir haben auch durch Konventionen beschlossen (meist) monogam zu sein. Dieser Entschluss machte uns als Spezies mächtiger, indem es Beziehungen klarer definierte und man nicht bei jeder Begegnung mit dem anderen Geschlecht auf ein Balz-Verhalten zurückfällt. Wir können uns auf andere Dinge konzentrieren. Aber man vergesse nicht, die Gene sind noch immer da und wollen verbreitet werden. Jedes Muster, das bestehen bleibt, hat eine Rechtfertigung, indem es den Wirt überleben liess. Aber jedes Muster bringt auch ein neues Interesse in den Wirt und wir als bewusste Wesen sind unter dem Bann dieser Interessen. Wir müssen mit dem zurechtkommen.

Jemand mag behaupten, man müsse nur rational betrachten, welche Muster etwas bringen und welche nicht. Aber das ist nicht so einfach, denn schon der Denkprozess ist von den Interessen beeinflusst. Die Ideen in unserem Kopf (wenn sie überleben wollen) wollen nicht ersetzt werden. Es manifestiert sich Widerstand gegen neue Ideen. Auch ist die Vorstellung der ‹Rationalität› auf wackligen Beinen. Denn die Evolution interessiert es nicht, ob etwas korrekt ist, sondern nur, ob etwas überlebt. Eine lebendige Lüge ist evolutionär gesehen immer der toten Wahrheit überlegen. Rationalität ist nur insofern nützlich als es uns mächtiger macht. Wir können uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Schlüsse dieser neuen Einsicht erschliessen, aber es gibt eine Ausgangslage weitere Untersuchungen anzustellen.

Eine neue Brille

Diese Feststellung, dass alles, was wir wahrnehmen, Muster sind und es Gesetze bezüglich dieser Muster gibt, ist das Fundament meiner neuen Philosophie. Und mit dem Wort ‹Philosophie› ist nicht das abstrakte Betrachten der Dinge gemeint, sondern eine Liebe zu Weisheit. Denn nach längerem Erforschen dieser Richtung stellt sich heraus, dass sie eine pragmatische, aber auch theoretisch robuste Sichtweise ist. Es beschützt den Denkenden nutzlose Utopien zu entwerfen oder in einem nihilistischen Nichts zu versinken. Es wirkte sich bei mir stoisch aus. Dinge, die ich früher gewertet habe, werte ich nun nicht mehr und versuche meinen Teil im ganzen Spiel zu spielen. Doch während wahre Stoiker versuchen sich nicht von Gefühlen zu stark beeinflussen zu lassen, so sehe ich Gefühle als eine evolutionär legitimierte Information und versuche sie so angemessen wie möglich zu erleben. Denn «Schmerz verlangt gespürt zu werden(13).» Und so versuche ich alle sich in mir manifestierenden und mir bewussten Muster wertzuschätzen. Diese neue Betrachtungsweise verursachte in mir eine Art Aussenansicht auf mein Leben. Ich sehe mich als Wirt von unterschiedlichsten Mustern. Von meinem Willen, meinen Gedanken, meinen Genen, meinem Berufsstand, meiner Religion, meinem Dorf, meiner Firma, meiner Ehe, meinem Land, meinen Werten, meinem Gott, meinen Gefühlen, meinen Geschichten, meinen Ideen und Wünschen. Ich bewirte dies alles und vieles davon wird noch Jahrtausende nach mir existieren in einer ähnlichen Form. Ich bin einfach ein Träger der Information und bringe sie in die nächste Generation. Und genau das ist ein grosser Teil meiner Daseinsberechtigung und von meinem Lebenssinn.

Das Ganze ist also ein Meta-Prinzip. Jeder Gedanke und jede Idee, die ich in die Welt stelle, muss einen Überlebenstrieb manifestieren. Ich muss sie verteidigen. Dieses Prinzip limitiert auch die Formen von Texten, die ich schreiben kann. Ich muss etwas schreiben, dass diese Idee verbreitet. Der Text muss also lesbar sein. Verständlich. Und er muss es wert sein, gelesen zu werden. Im Optimalfall sollte die Idee sogar wahr sein. Und so setze ich momentan alles daran, dass genau diese Idee, dieses Meta-Prinzip, diese Sicht auf den Menschen und auf alles andere es in die Köpfe von mindesten zwei, drei anderen schafft und hoffentlich mindestens jemanden so sehr fasziniert, dass diese Person es wiederum weiterverbreitet, denn eine Idee ohne Verbreitung ist eine tote Idee.

Kurzer Appetizer

Ich betrachte in diesem Teil einige grossen Fragen der Wissenschaft / Religion und Philosophie mit dieser Brille. Es soll nur einen Geschmack geben für das Potenzial und nicht abschliessend sein. Später werde ich einige dieser Fragen noch präziser ausformulieren. Denn die neue Philosophie bringt einen neuen Blickwinkel auf beinahe alle Fragen dieser Welt. Beispielhaft seien hier ein paar wenige erwähnt.

Was ist Intelligenz?

Diese Frage wird momentan in der Forschung über künstliche Intelligenz rege diskutiert. Denn man hat immer wieder eine Definition und dann entwickelt jemand ein Programm, das diese Definition erfüllt, und wir sind dennoch nicht überzeugt, dass es intelligent ist. So sagte man: «Wenn ich mit einem Programm chatten kann und man es nicht von einem Menschen unterscheiden kann, dann ist es intelligent.» Also schrieben Menschen einen Chatbot, der so tat, als würde er die Sprache nicht richtig verstehen. Und wen wundert es: In einer Blindstudie wurde dieser Roboter oft für einen Menschen gehalten. Aber das ist nicht, was wir darunter verstehen wollen. Und so gab es noch einige Versuche und alle scheiterten auf ähnliche Weise.

Doch unsere neu erworbene Sicht gibt hier eine neue Perspektive. Die Meinung, dass Intelligenz so etwas bedeutet wie: ‹Anpassungsfähigkeit an neue Situationen› ist weit verbreitet. Doch ich sage: Damit so etwas wie Intelligenz relevant wird, brauchen wir ein Ziel. Wir Menschen wollen überleben und haben unser Gedächtnis und unsere Sprache und noch viel mehr dazu verwendet etwas zu entwickeln, das wir jetzt Intelligenz nennen. Aber was es ist, ist der zwanghafte Drang zu überleben und die Umwelt kreativ zu nutzen, um dieses Ziel zu erreichen. Ich glaube also, dass die ‹intelligentesten› Systeme nie etwas erreichen werden, solange sie kein Ziel haben. Kein intrinsisches Ziel. Bei uns sind die Gefühle solche Ziele. Für uns fühlt es sich gut an, zu forschen oder schlecht eine Unwahrheit zu sagen. Intelligenzen bräuchten so etwas wie Gefühle. Wie man aber Gefühle simulieren kann, ist nicht geklärt. Zusätzlich braucht es den Mechanismus der Fortpflanzung. Solange wir eine neue künstliche Intelligenz haben und wir der alleinige Richter sind, entwickelt sich die Intelligenz nur an uns ausgerichtet. Könnte sie sich jedoch fortpflanzen und sterben, wenn sie nicht gut genug ist, dann würde etwas nachhaltiges entstehen.

Wer/Was ist Gott?

Es gibt kaum Fragen, die emotionaler diskutiert werden wie diese. Denn sie ist irgendwie von einer anderen Art wie die Frage: «Was ist ein Tisch?» oder «Wer ist der Präsident von Frankreich?». Denn wo es bei den einfachen Fragen ein Ding gibt, worauf man zeigen kann, so gibt es das bei der Gottesfrage nicht. Doch auch hier bringt unsere Sicht eine neue Perspektive.

Ich behauptete soeben, dass es kein ‹Ding› gibt, worauf sie zeigen können bei der Gottesfrage. Doch das stimmt nicht. Alles ist schlussendlich ein Muster: Gott oder Tische sind beides Muster. Und wir können über das Muster Gott sprechen. Unsere Perspektive liefert das Potenzial, gewisse Fragen unabhängig von der religiösen Überzeugung zu diskutieren. So können wir besprechen: Was braucht es, damit der Glaube an Gott relevant bleibt bzw. wie kann man ihn ausrotten. Dies sind Fragen unabhängig von der Existenzfrage Gottes. Oder wie charakterisieren wir Gott? Was will er/sie? Diese Fragen kann man beschreibend betrachten: Also wie sehen ‹Christen› Gott? Oder auch mitbestimmend. Gott ist aus unserer Sicht mal in erster Linie ein Meme. Und Memes kann man mit Diskussion und Interaktion auch beeinflussen. Um das Ganze zu verdeutlichen, betrachte ich diese Perspektive aus der Sicht von Gläubigen und Nicht-Gläubigen.

Für die Gläubigen wirkt die obige Ansicht oberflächlich und irrelevant. Denn es geht ja eigentlich darum zu erkennen, wie Gott wirklich ist und nicht darum, ob unser Verständnis von Gott stabil ist. Doch dem muss ich entgegnen: Nehmen wir an, Gott gibt es. Unsere Vorstellung von Gott verhält sich aber dennoch wie jedes andere x-beliebige Muster. Wir müssen unser Verständnis von Gott so attraktiv präsentieren, dass es in der nächsten Generation noch relevant ist. Und es wäre optimal, wenn dieses Verständnis von Gott etwas mit dem existierenden Gott zu tun hat. Je nach Gottesverständnis kann ich hier auch noch argumentieren: Gott kann ja durchaus unsere Sicht auf ihn prägen. Gläubige vertrauen darauf, dass er das tut und es immer Menschen geben wird, die Gott auf irgendeine grundlegende Weise ‹richtig› erkannt haben. Wenn Gott das tatsächlich beeinflusst, dann ist er Teil des Richter-Mechanismus. Einer, der (mit-)entscheidet, welche Ideen über ihn Bestand haben dürfen. Und wenn er das ist und das macht, dann ist ja offensichtlich, dass es sich lohnt dieses Gottesverständnis zu haben, das Gott belohnt. Meine Sicht der Muster wurde also nicht relativiert oder geschwächt durch die Tatsache, dass Gott existiert. Aber dennoch, das einzige, worüber wir reden können, ist unser Verständnis von Gott und nicht mehr. Doch wie verhält es sich mit dieser Sichtweise aus dem Blickwinkel eines Atheisten?

Wäre es nicht vorteilhaft, das Meme ‹Gott› abzulegen? Ich glaube, diese Diskussion kann und muss ehrlich geführt werden. Ich glaube aber, dass es nicht einfach zu entscheiden ist. Um diesem hier eine etwas persönliche Note zu geben sei hier erwähnt, ich beschloss: Selbst in dem Falle an Gott zu glauben, wenn ich zweifelsfrei wüsste, Gott existierte nicht. Denn ich halte ein aktives Glaubensleben für etwas persönlich Vorteilhaftes. Aber weg vom persönlichen muss auch betrachtet werden (angenommen Gott existiert nicht), warum Menschen an Gott glauben. Und ob diese Gründe verschwinden und ob sie von etwas ‹Gottlosem› ersetzt werden können. Wenn man es für vorteilhaft empfindet, nicht an Gott zu glauben, dann wäre dies die Aufgabe: Einen Ersatz zu finden für die Dinge, die Menschen am Glauben festhalten lassen. Und zwar einen guten Ersatz, der über die Zeit stabiler ist als die Religion. Zu argumentieren, dass Glaube nicht sinnvoll ist, ist bei diesem Vorhaben nur beschränkt nützlich. Um eine Idee abzulösen, muss man sie entweder verändern oder durch etwas ersetzen. Geschichtlich gesehen scheint das Verändern eher zu funktionieren als das Ersetzen. Dies würde allerdings ein rechtes Opfer der Atheisten bedeuten. Nämlich müssten sie sich positiv mit Religion auseinanderzusetzen und versuchen ein Teil der religiösen Diskussion zu sein. Doch wie mühselig dies ist, kannst du dir schon ausmalen. Aber ich sehe dazu keine Alternative.

Um diesem Gott-Abschaffungs-Prozess ein Gesicht zu geben, biete ich hier einen möglichen Ablauf dieser Diskussion. Dieser ist nur von mir erfunden und beinhaltet in der praktischen Ausführung mehr Schritte. Aber dennoch scheint mir, als ob man als Erstes die Idee von Gott abstrakter und gleichzeitig persönlicher konzeptualisieren möchte: Also Gott ist dasselbe wie das Universum (= abstrakter). Und Gott ist das, was das Wollen und Vollbringen in dir schafft (= persönlicher). Danach etabliert man eine Sichtweise, die auf einer intellektuellen Weise einen Zugang zum Universum schafft: vielleicht eine Sammlung von Naturgesetzen und aber auch makroskopische Gesetze (wie mein Gesetz von den Mustern). Dies befriedigt das Bedürfnis nach Erklärbarkeit in chaotischen Situationen. Zusätzlich entwickelt man eine psychologische Schule, die nicht nur faktisch wahr ist, sondern auch noch mit der Psyche in Resonanz tritt. Eine Sicht, die ein Gefühl des ‹getragen-Seins› vermittelt; also psychische Stabilität liefert. Es muss also immer nicht nur das Verstehen fördern, sondern auch einen persönlichen Zugang liefern, denn dadurch werden Ideen zu eigen gemacht und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, die Zeit zu überdauern. Wie dieses ‹personalisieren› vom Universum und der Psyche sich dann von klassischen Religionen unterscheidet, ist hier vor dem Prozess noch nicht klar. Aber ich persönlich sehe das als den einzigen Weg: Einen persönlichen Bezug zur Psyche und Umwelt schaffen und diesen Bezug zu pflegen. Dies wäre wahrscheinlich auch eine attraktivere Alternative zu den alten Religionen, als was bisher oft proklamiert wurde: Es gäbe keinen Gott und so weiter. Dieser persönliche Bezug zu Naturgesetzen und so weiter klingt für mich aber auch schon nach New-Age. Doch ich weiss nicht, ob weniger Religiosität über die Dauer bestehen kann.

Was ist Sprache

Zu guter Letzt noch ein Beispiel aus der Philosophie. Die Sprachphilosophie mauserte sich im letzten Jahrhundert zu einer der Hauptrichtungen der Philosophie und behandelt Fragen wie: «Beschreiben unterschiedliche Sprachen dasselbe Ding?» «Kann ein Satz ‹wahr› oder ‹falsch› sein?» oder «Wie sähe eine optimale Sprache aus?». Ich halte das zwar für spannende Fragen; Sie sind jedoch aus unserer Sicht uninteressant. Denn wir wechseln den Blick und bemerken schnell: Sprache ist auch nur ein Muster. Ein Muster, das sich erhalten möchte. Es tut dies dadurch, dass man sie den Kindern beibringt und auch dadurch, dass sie den Sprachfähigen zu Dingen befähigt, die der Sprachlose nicht kann. Also anstatt zu fragen, ob Wörter eine Essenz haben, realisieren wir, dass die Sprache so nützlich ist, wie sie uns befähigt. Ob es nun einen Tisch gibt oder nicht ist irrelevant oder ob es Wahrheit gibt, ist auch nebensächlich. Die Sprache befähigt uns, gegenüber Individuen, ohne Sprache zu bestehen. Ob es Dinge gibt, die im Französisch beschrieben werden können, die auf Deutsch unmöglich sind. So bemerken wir, dass es verwandte, aber nicht gleiche Muster sind. Sie haben ihre Eigenheit und einen ähnlichen Zweck. Insofern sie diesen Zweck erfüllen, insofern sind sie wahrscheinlich auch übersetzbar. So kann aber Deutsch wahrscheinlich nicht in die Delphin-Sprache übersetzt werden, da sie einen etwas anderen Zweck erfüllt.

Sprache ist hingegen doch auch interessant, da es eines der primären Medien ist, um Memes (und andere Information) zu verbreiten, verändern und zu persistieren. Daher werden wir uns noch genauer mit der Sprache beschäftigen. Sprache ist jedoch komplexer als die Aneinanderreihung von Buchstaben. Die Sprache wird in erster Linie gesprochen. In der gesprochenen Sprache sind Elemente wie Mimik, Betonung und Gestik von grösster Bedeutung. So ist ein ehrfürchtig gesprochenes ‹Gott› kaum mit dem analytisch und kalt ausgesprochenen gleichen Wort zu vergleichen. Was die Sprache als erster Informationsspeicher seit der DNS wieder geschafft hat, ist die Welt zu diskretisieren. Also aufzuteilen. Die DNS verursacht je nach Basenpaar blaue oder braune Augen. Und die Sprache hat ebenfalls solche Bedeutungseinheiten (Wörter) geschaffen, die entweder dies oder jenes heissen. Sie beide teilen die Welt etwas in Schwarz und Weiss ein. Spricht man ein Wort mit Bedeutung, so meint man etwas Bestimmtes. So haben die einen Völker ein Wort für Baum und eines für Strauch. Andere sehen beides als Bäume. Es ist nicht der Fall, dass die einen ‹recht› haben und die anderen nicht. Sie teilen nur die Welt in unterschiedliche Kategorien ein. Sie beschreiben unterschiedliche Muster. Diese Muster beschreiben ist dann genau das, was der Sprache ihre Kraft gibt. Sie kategorisiert die Welt. Zwangsläufig.

Neues Selbstverständnis

Nach diesem kurzen Appetizer halte ich fest, was wir alles erreicht haben. Wir haben eine neue Ansicht auf die Tatsachen der Welt und auf die Welt an sich bekommen, die einiges ändert an unserem Selbstverständnis. Wir betrachten nicht mehr ‹Wahrheit› an sich, sondern die ‹Beständigkeit›. Wir sind nicht so sehr interessiert, ob Newton nun recht hatte im Vergleich zu Einstein, sondern einzig, ob die newtonsche Ansicht uns eher überlebensfähig macht als die einsteinsche. Solche Fragen sind dann schwierig, analytisch zu beantworten. Pragmatisch sind sie jedoch schon fast trivial. Wir tun, was sich bewährt hat bzw. was unser konkretes Problem löst.

Genau dieser Paradigmenwechsel macht den heiklen Schritt aus der präzisen Philosophie zur schwammigen Alltagsweisheit und Bauernschläue. Ich sehe diesen Schritt sehr wohl kritisch und hätte ihn gerne vermieden. Doch ich sehe keinen Weg, es zu umgehen. Wenn wir bemerken, dass ‹Überdauerungsfähigkeit› wichtiger ist als ‹Wahrheit›, dann ist es ein zwangsläufiger Schritt, um den Nichts herumführt. Und anstatt eines komplexen Konstrukts zu erfinden, mit dem man sich selbst austrickst, damit man glaubt, man hätte das Problem gelöst, werde ich bewusst in dieses Konstrukt eintauchen.

Mein Ziel also von nun an ist, den Spagat zwischen präzisen Gedanken und einem Pragmatismus zu treffen. Ich versuche kompromisslos zu sein, was meine intellektuellen Standards und Präzision angehen. Das Neue und auch Attraktive an dieser ‹evolutionären› Sichtweise ist, dass wir jetzt eine präzise Sprache für diese pragmatischen Werte und Erkenntnisse haben. Wir werden also von nun an in die alten philosophischen, aber auch persönlichen Themen vordringen, mit einer neuen Brille und einem neuen Anspruch.

Nebst dem, dass es sich eine gewisse ‹Bauernschläue› aneignen kann, lässt es aber auch in neue Bereiche vorstossen. Bereiche, die zuvor beinahe unerreichbar waren. So können wir Aussagen über Ethik machen und analysieren, was eine Ethik erfüllen muss, um die Zeit zu überdauern. Zuvor gab es ‹Humes-Satz› der beobachtete, dass es einen fundamentalen Unterschied gibt, zwischen ‹Soll›-Aussagen und ‹Ist›-Aussagen und man nie vom einen auf das andere schliessen könne. Ohne diese auszuhebeln, erlaubt es zu erschliessen, was eine Ethik erfüllen muss und unser Argument wird sein: Eine Ethik, die nicht existiert ist, irrelevant (auch wenn sie theoretisch korrekt wäre).

Doch werden wir nicht nur dieses Thema erschliessen, sondern die gesamte Metaphysik bekommt einen anderen Zugang. Man bekommt einen neuen Zugang zu Gott. Ohne die Frage nach ihrer/seiner Existenz beantworten zu müssen, können wir betrachten, was für ein Glaube Bestand hat. Und auch hier wird das Argument sein: Ein nicht existierender (wenn auch theoretisch korrekter) Glaube ist irrelevant.

Als dritter grosser Bereich wäre noch die ‹Wahrheit› zu erwähnen. Wir werden den Wert der Wahrheit analysieren können. Und wie der Leser vielleicht schon ahnt, wird das Argument sein: Eine Wahrheit, die den Träger der Wahrheit behindert, ist schädlich. Und mit genau diesem Thema starte ich hier.

Neue Perspektive

Alte Probleme aus einer neuen Sicht

Wert der Wahrheit

Wie fast jedes Thema, das ich hier anschneide, ist oder war es ein heiss diskutierter Bereich der Philosophie. Und es ist bis heute ein Thema, zu dem hart verfochtene Meinungen existieren. Ich hoffe all diese Triggerpunkte zu umschiffen, mit unserer neuen Ansicht. Es gibt Personen, die behaupten, dass es eine absolute Wahrheit gibt und, dass jede Verneinung davon ein Verrat an der Realität ist. Sie moralisieren also ihre Ansicht. Es sei unmoralisch, zu glauben, es gäbe keine absolute Wahrheit. Die andere Position behauptet plakativ, dass die Realität ein Konstrukt unserer Gedanken ist. Sie lehnen darum die Absolutheit von der Wahrheit ab, da sie keine Möglichkeit haben zu prüfen, ob eine Aussage auch für eine andere Person wahr ist oder nicht. Diese zweite Sicht wird grob als ‹Relativismus› bezeichnet. Diese zwei Positionen stehen intellektuell im Krieg und scheinen kaum vereinbar.(14) Doch auch hier bietet unsere Ansicht der ‹Muster› einen Mehrwert. Die Wahrheit ist nichts anderes als ein Muster. Und wichtiger noch: Unsere Vorstellung und Wahrnehmung von der Wahrheit ist nichts anderes als ein Muster. Und wir können über nichts sprechen, das kein Muster ist. Wir können nie zur Wahrheit durchdringen. Wir können einzig Manifestationen wahrnehmen. Manifestationen der Wahrheit sind zum Beispiel unsere Vorstellung der Wahrheit oder die Logik; und so weiter. Um es im herkömmlichen Vokabular auszudrücken: Unabhängig davon, ob es eine absolute Wahrheit gibt oder nicht, können wir nur über unsere Vorstellung von Wahrheit sprechen.

Ein Widerspruch?

Ich betrachte das Thema ‹Wahrheit› als erstes, weil die Diskussion darüber eine Spannung, die auftreten kann, beseitigen sollte. «Wie kann man eine Argumentation aufbauen, ohne zu behaupten, dass es eine Wahrheit gibt?» Dieser Kritikpunkt ist angebracht. Wenn ich behaupte, es gibt keine absolute Wahrheit (meine Theorie hat das absichtlich nie behauptet), dann kann ich auch nicht argumentieren, dass meine Theorie richtig ist. Die Lösung dieses Dilemmas ist einfach, wenn auch nicht unbedingt intuitiv. Angenommen es gibt keine absolute Wahrheit, dann müssen wir dennoch sagen, was wir mit dem Begriff ‹Wahrheit› meinen. Es gibt sie also nicht. Das Wort ‹Wahrheit› hat aber eine lange Geschichte, sodass man sie nicht ignorieren kann. Wir werden also dennoch von Wahrheit sprechen, auch wenn es sie nicht gibt(15). Ich entfalte hier aber diesen Gedanken noch etwas. Was bedeutete es, wenn es keine Wahrheit gibt? Die Welt würde noch genauso funktionieren wie bis anhin, da die Menschen noch immer glaubten es gäbe eine Wahrheit. Und damit diese Menschen meine Theorie als ‹wahr› akzeptieren könnten, müsste ich diesem Spiel von: ‹Beweisen, Argumentieren, Testen und so weiter› standhalten. Tue ich das und liefere ich ‹Beweise›, die überzeugen, dann wird sie als ‹wahr› akzeptiert, ganz unabhängig von der absoluten Wahrheit. Wie wäre es dann aber, wenn es eine absolute Wahrheit gäbe? Genau gleich! Ich müsste genau dasselbe Spiel spielen wie ohne und müsste genau dieselben Menschen von der Wahrheit meiner Theorie überzeugen.

Ich entziehe mich hier einer Stellungnahme über die Existenz von absoluter Wahrheit. Nicht weil ich keine Meinung habe, denn die habe ich. Sondern, weil meine Theorie unabhängig von dieser Annahme ist. Meine Annahme wird also sein: «Ich weiss nicht, ob eine absolute Wahrheit existiert.» Doch wie können wir hier über Wahrheit diskutieren, wenn ich mich eine Stellungnahme entziehe? Wir gehen einen Zwischenweg. Egal ob es eine absolute Wahrheit gibt oder nicht, wir können mit unserer beschränkten Wahrnehmung sowieso kaum direkt einen Zugang zu dieser Wahrheit haben. Das Einzige, was wir haben, ist das Muster der Wahrheit. Bzw. die Vorstellung der Wahrheit. Diese Vorstellung ist dann alles, was wir haben und worüber wir sprechen können und genau das werden wir auch. Wir werden die Wahrheit einfach als ein Muster betrachten.

Das Muster der Wahrheit

Die Wahrheit ist eines der dominierenden Muster in den letzten Jahrhunderten. In der Wissenschaft richtet sich alles danach aus. Wir verwerfen Theorien und bewährte Dinge, wenn sie nicht ‹wahr› sind. Aber alle Muster streben danach zu überleben. Sie müssen einen Überlebenstrieb manifestieren. Doch gibt es auch Muster, die das nur beschränkt müssen. Die Naturgesetze z.B. müssen keinen Trieb manifestieren, weil sie in sich schon äusserst stabil sind. Die Erkenntnis der Naturgesetze jedoch sehr wohl. Diese kann verloren gehen. So verhält es sich auch bei der Wahrheit. Die Vorstellung der Wahrheit muss einen Überlebenstrieb manifestieren, um die Zeit zu überdauern. Eine allfällig existierende Wahrheit jedoch nicht(16).

Das Muster der Wahrheitsidee erlaub eine Synchronisation mit der Welt, was der Grund für deren Durchsetzungskraft ist. Unter Wahrheit verstehen wir nämlich zu ergründen, wie die Welt ‹wirklich› ist. Und wenn wir dies ergründen, können wir unser Leben so ausrichten, dass das Universum für uns arbeitet oder zumindest, dass wir vom Universum toleriert werden. Würde der Glaube oder die Erkenntnis der Wahrheit dies nicht ermöglichen, dann hätte sie sich niemals durchgesetzt. Und ich argumentiere, dass genau diese Eigenschaft das Wertvolle an der Wahrheit ist. Der Wert hängt nicht von der Existenz der absoluten Wahrheit ab, sondern daran, dass sie uns erlaubt zu überleben. Jeder Synchronisationsmechanismus mit dem Universum ist gut genug, auch wäre er durchdrungen von religiösen und unsachlichen Floskeln.

Wir zeigten noch nicht ausreichend, was diese Wahrheitsidee ist. Es ist unsere Vorstellung von der Wahrheit. Es ist die Annahme, die besagt, es gäbe eine absolute Wahrheit. Diese Annahme ist mächtig. Denn es ist nicht irgendeine Wahrheit. Sondern eine mathematisch und logisch fassbare Wahrheit. Sie erlaubt uns nicht nur Tatbestände präzise zu fassen und analysieren, sondern sie rüstet uns mit einer Sprache aus, die Voraussagen machen kann. Und nicht nur irgendwelche Voraussagen, sondern wieder anhand der Wahrheit überprüfbare Voraussagen. Unser modernes Verständnis der Wahrheit beinhaltet keine Orakelsprüche, die man falsch verstehen kann und dann zu gegebener Zeit Sinn ergeben und dann ‹wahr› werden. Sondern sie sind präzise und es ist Rückblicken immer klar, ob sie zutrafen oder nicht. Es ist in diesem modernen Verständnis einfacher, falsch zu liegen. Doch falls sich gegen alle Widerstände tatsächlich solche Wahrheiten finden lassen, dann besitzen wir etwas äusserst Mächtiges. Wir werden dadurch zum Orakel von Delphi und können unsere Entscheidungen an den Voraussagen orientieren. Und je präziser unsere Sprache und unser Verständnis der Wahrheit wird, umso mächtiger werden wir. Diese Macht ist ein wesentlicher Teil des manifestierten Überlebenstriebs der Wahrheit. Denn jedes Wesen, dass diese Macht für sich ausschöpft, ist den anderen überlegen.

Wenn ich voraussagen kann, dass in einem Tag eine Flutwelle kommt, dann werde ich eher überleben als die Personen, die das nicht voraussehen können. Und darum überlebt die Wahrheit selbst. Doch das beinahe schon arrogante dieser Vorstellung haben wir noch gar nicht bemerkt. Wir behaupten nicht nur, dass eine solche Wahrheit existiert. Sondern wir behaupten sogar, dass sie erkennbar ist. Dass wir Hypothesen aufstellen können und diese testen können und wenn sie diesen Tests standhalten, dann nennen wir es ‹wahr› oder so. Doch wir führen damit eine zwar starke, aber unüberprüfbare Annahme ein. Denn was wäre, wenn uns das Universum einen Streich spielt. Was, wenn sich die Dinge nur nach den Naturgesetzen richten, weil es gerade Gott so wollte und wenn er seine Meinung ändert, wird es sich ändern. Nun gut. Das ignorieren wir vorerst und sagen, es gäbe keinen Täuscher-Gott. Okay. Aber wir haben schon oft erkannt, dass unsere ‹Naturgesetze› falsch waren. Newtons Physik war falsch. Die Schwerkraft funktioniert nicht so, wie er es behauptet hat. Momentan glauben wir, die Theorie von Einstein beschreibe die Schwerkraft am besten, aber das könnte sich auch wieder ändern. Und was ist nun die Wahrheit? Wir müssen pragmatisch werden.

Wahr genug

Die Idee ‹Wahrheit› hat Probleme und muss sich wandeln, um zu überleben. Denn es wird sich zeigen, dass vieles falsch ist. Und dies liegt nicht an der Unfähigkeit der Wissenschaftler:innen, sondern daran, dass Theorien geprüft und verworfen werden. Die jetzige Theorie ist, nach unserem Glauben, Wahrheit. Zumindest ist es die Theorie mit dem kleinstmöglichen Irrtum. Doch nie werden wir uns sicher sein, dass sie stimmt. Ausserdem ist es schwierig Irrtum zu quantifizieren ohne eine Theorie, von der wir wissen, dass sie stimmt.

Wir müssen diesen Anspruch loslassen. Und dies ist ein gedanklich anspruchsvoller Schritt. Denn wir gehen einen Schritt in Richtung Relativismus. Wir verwerfen vielleicht nicht den Glauben an eine absolute Wahrheit, aber wir zweifeln fundamental an der Hoffnung diese Wahrheit finden zu können. Doch sollten wir diesen Glauben nicht ersatzlos verlieren. Wie ich bereits erwähnte, die Idee der Wahrheit muss sich wandeln. Und zwar von: «Diese Theorie ist richtig.» zu «Diese Theorie ist für jetzt richtig genug.»

Newton wurde nie durch Einstein ersetzt. Ich lernte Newton in der Schule wie die meisten. Denn für unsere Experimente ist Newton präzise genug. Wir erarbeiten uns also, anstatt einen absoluten Anspruch, einen Bereich von Wahrheit. Wir sagen: «Wenn sich diese und jene Dinge im Bereich vom Normalen verhalten, dann wird es sich so und so verhalten.» Anstatt zu sagen: «Die Dinge verhalten sich so und so.» Dies wird in der Forschung schon lange gemacht, doch ist es eine Denkweise, die es nicht in die Köpfe der Masse geschafft hat.

Wir können uns nicht einmal in unseren Bereichen sicher sein, dass unsere gefundenen Gesetze stimmen, aber immerhin haben wir eine Sprache, die über solche Dinge sprechen kann und Voraussagen treffen kann. Doch weitere Gedanken über die Wahrheit, Logik und so weiter werden später noch erläutert. Ich schliesse hier diesen Gedanken noch ab.

Was bleibt?

Die Wahrheit ist ein erstaunliches Muster. Wir haben es entdeckt und sind fasziniert. Der Glaube daran erlaubt es uns, die Welt zu verändern. Aber nur, weil sich die Welt auch wirklich so verhält als gäbe es eine Wahrheit im Hintergrund. Wir haben gesehen, dass unsere Theorien immer bestenfalls Stückwerk sind (oftmals nicht einmal das) und doch, dass dieses Stückwerk uns ermächtigt uns die Welt untertan zu machen. Die Wahrheit ist also ein Muster, das ihren Träger zu erstaunlichen Dingen befähigt und darf deshalb niemals unterschätzt werden. Sätze wie: «Man kann ja sowieso nie wissen.» sind nicht nur Gift für die Vorstellung der Wahrheit, sondern stehen im direkten Widerspruch zu ihr. Es wird sich zeigen, welche Art zu denken sich durchsetzen wird. Ich glaube, das Rennen wird nicht einmal knapp. Die Wahrheit ist so stark, dass die Naivlinge mit den obigen faulen Ausreden untergehen werden. Vielleicht nicht bald, aber doch bestimmt.

Was bedeutet dies alles für unsere Theorie? Ehrlich gesagt, macht es einiges einfacher. Ich muss keinen Anspruch auf absolute Wahrheit erheben. Sondern nur, dass sie wahr genug ist. Dass die Theorie praktisch hilft. Und wenn sie ein neues Denkgerüst liefert, das die Umwelt greifbarer macht, dann ist sie wahr genug. Sie muss auch den Einwänden von denen standhalten, die behaupten, es gäbe eine absolute Wahrheit. Und ich werde sie auch vor diesen verteidigen. Nicht weil ich die Korrektheit meiner Theorie verteidigen will, sondern weil die Debatte heutzutage ein wichtiger Bestandteil ist, um eine Theorie zu etablieren und zu verbreiten.

Eine Ethik der Stabilität

Einleitung

Ich wage jetzt in diesem Teil einen wichtigen und gewagten Schritt. Und zwar gehe von der deskriptiven Ebene auf die normative. Ich will ein ‹Soll› aus all unseren Überlegungen zeihen. Ich tue dies vorsichtig. Grosse Denker wollten schon aus Wissens-Aussagen direkt zu Appellen kommen. Leider ist dies nicht einfach und bis jetzt nicht gelungen. Ich versuche aber dennoch diese verbrauchte Frage zu erschliessen. Für nicht Philosophen könnte unklar sein, wo das Problem ist, wenn man aus einer Einsicht zu einer Lektion kommt. Aber ganz kurz gesagt, wir kommen aus sachlichen Einsichten nur zu einem «Man muss jetzt dieses oder jenes tun.», wenn man Werte hat. Es braucht a priori Werte. Werte, die man unbegründete hat. Es gibt keine Argumente für die Werte. Sie sind einfach da. Und zu behaupten ich kann jetzt nach dem Beschreiben von Tatsachen übergehen und ein Appell machen, bedeutet: Ich behaupte ich kann Werte begründen. Ein Grossteil der Spannungen zwischen Humanisten und Christen sind genau auf dieses Problem zurückzuführen. Humanisten sagen: «Was gut für den Menschen ist, ist gut.» Und Christen sagen: «Gott sagt, was gut ist. Wenn der Mensch das selbst entscheidet, kommt es nicht gut.» Diese Differenz kann nicht rational aufgelöst werden, denn diese Grundwerte sind ohne Begründung. Sie sind axiomatisch und man baut die anderen Werte darauf auf.

Vom Sein zum Soll

Ich bin mir Humes-Gesetz bewusst. Falls jemand hier kribblig wird und sagt ich täte hier etwas Unehrliches. Keine Angst, ich bin mir bewusst, welche Annahmen ich treffe und dennoch nenne ich diesen Schritt «Vom Sein zum Soll». Humes-Gesetz besagt, dass man unmöglich von «Sein»-Aussagen auf «Soll»-Aussagen schliessen kann oder umgekehrt. Also aus der Aussage: «Schmerz ist mir unangenehm» kann man nicht folgern: «Schmerz ist schlecht.». Die Bewertung ist immer der kritische Aspekt im ganzen Prozess. Manche widersprechen: «Das ist lächerlich. Ist mir egal, ob man das philosophisch sagen kann. Für mich ist das offensichtlich.» Gut, gut. Ich bitte um etwas Geduld. Ich übergehe in diesem Buch konsequent die formalen Dinge. Muster sind nicht wohldefiniert. Die 5 Punkte des evolutionären Prozesses sind nicht mathematisch präzise formuliert. Es ist alles etwas unpräzise, aber präzise genug, damit jemand, der sich wirklich damit beschäftigt, bemerkt, dass die Argumente auch formal sauber gemacht werden könnten. Ich habe das nicht gemacht, damit ich dich nicht verliere. Ich versuchte aber immer den Spagat: Für Laien nachvollziehbar zu bleiben und gleichzeitig keine philosophischen Fehler zu machen. Ich entschied mich, es nicht philosophisch präzise auszuarbeiten. Das heisst aber nicht, dass ich dies nicht könnte. Um diesen Weg weiterzuverfolgen, muss ich etwas Zeit investieren und über dieses Problem nachdenken.

«Etwas verursacht Leid, also ist es schlecht.» Diese und ähnliche Aussagen stehen in der Kritik von Humes. Denn es bleibt immer unklar, was die Quelle der Ethik ist. Wir können sagen: «Unangenehme Dinge sind unangenehm.» Aber unangenehm hat noch nichts mit schlecht zu tun. Humes bemerkte, dass in vielen Texten die Autoren lange saubere Argumentationen aufbauen und Sätze verwenden mit Bausteinen wie «ist» oder «ist nicht» und dann auf einmal überwechseln zu Aussagen wie «soll» oder «soll nicht». Er behauptete, dieser Wechsel muss argumentiert werden und wird es beinahe nie. Er behauptet anschliessend auch, dass dieser kleine Akt der Aufmerksamkeit alle gewöhnlichen Moralsysteme umwerfe.

Die moderne Ethik ist sich dieses Problems bewusst und trifft axiomatische Annahmen. Also sie behauptet nie, dass aus ‹sein› ‹soll› folgt. Sie postuliert: «Leid ist schlecht» und davon ausgehend, baut es dann eine Ethik auf. Diese Annahme ist jedoch nicht hergeleitet. Sie wird in den Raum gestellt. In unserer Wohlstands-Welt wird diese Annahme gerne geteilt. Ich glaube, diese Überzeugung kommt aus dem Gerechtigkeitsbewusstsein. Man ist überzeugt, dass es nicht gerecht ist, dass es anderen unverdient schlechter geht, und wir versuchen denjenigen zu helfen, denen es schlechter geht. Es sei hier aber bemerkt, dass diese Annahme «Leid ist schlecht» nicht global geteilt wird. Andere haben ein Verständnis von ‹Ehre› und bei diesen ist ‹ehren los› zu leben schlecht. Diese sind dann auch bereit zu leiden für ihre Ehre. Für diese Personen steht Leid in keinem Verhältnis zur Ehre. Wieder andere halten ein tugendhaftes Leben für gut. Sie ordnen das Leid auch der Tugend unter. Andere wiederum sagen, es gäbe kein ‹Gut› und ‹Schlecht›.

Was ich mit dem hier zeigen will, ist nicht ein Argument, warum Humes-Gesetzt stimmt. Sondern ich will nur die Tatsache nahebringen, dass der Schluss von ‹ist› zu ‹soll› über Kulturen und Zeitepochen hinweg unterschiedlich beantwortet wurde. Dies sagt nicht, dass es keinen solchen Schluss geben könnte. Ich will dir nur das Problem nahebringen und dich sensibilisieren, dass es zumindest kein einfaches Problem ist.

Seit den letzten 100 Jahren bringt man in dieser Diskussion oft den Kommunismus oder Nationalsozialismus als Argument. Es ist dünnes Eis, dass ich betreten würde, sagte ich, diese Systeme seien je nachdem ‹gut›. Denn man will mit allen Mitteln sagen: «Dies war schlecht, was mit den Juden gemacht wurde.» Und es scheint ein gemeinsamer Nenner zu sein. Man einigt sich nicht darauf, ab welchem Moment etwas schlecht ist. Aber, dass dies schlecht war, ist man sich einig. Moderne Ethik muss sich immer an Stalin, Mao und Hitler messen können. Meine ebenfalls. Doch Humes-Gesetz bleibt. Und der Ballast unserer Geschichte erschwert uns oftmals das klare Denken. Wir haben den Mut Nietzsches nicht. Denn man will verhindern, dass diese Systeme relativiert werden. Ich bin aber überzeugt, dass eine Philosophie, die Angst davor hat, unangenehme Realitäten zu behandeln, einen schwierigen Stand hat. Es wäre optimistisch zu glauben, dass wir auf die Wahrheit stossen, mit solchen absoluten Annahmen. Verschliessen wir uns vor solchen Überlegungen sind wir nichtmehr auf dem Weg der Wahrheit sondern manifestieren ein anderes Muster und dies ist ein gefährlicher Weg (siehe Wert der Wahrheit).

Ich will dieses geschichtliche Ereignis nicht relativieren. Doch es ist philosophisch schwierig, mit solchen Dogmas zu starten. Es ist zwar gerechtfertigt, ein solches Dogma zu haben. Doch bemerke ich, dass die meisten ethischen Systeme, die nach diesen Ereignissen entwickelt wurden, aus meiner Sicht kindlich sind. Sie behaupten, dass die Vernunft lenken muss. Oder, dass, wie gesagt, Leid schlecht ist. Doch übergehen sie oft, nur weil sie sich so weit wie möglich von den Nazis distanzieren wollen, die wichtigen und präzisen Überlegungen, die nötig sind. Mir ist es vor allem bei deutschen Philosophen aufgefallen. Sie begehen einen philosophischen Selbstmord. Sie wissen bereits, worauf sie rauswollen: «Nazis sind schlecht.» Und suchen sich jetzt eine Argumentation, die diesen Schluss stützt. Denken funktioniert aber nicht so. Ich selbst bin in einem konservativ-religiösen Umfeld aufgewachsen und dort wurde (natürlich) geglaubt, dass Gott diese Erde in 6 Tagen geschaffen hat. Also hat man Beweise dafür gesucht und auch gefunden. Dass die Beweise qualitativ schlecht waren, hat niemand bemerkt, weil man strikt auf die Schlussfolgerung konzentriert war. Jeder Beweis war recht, solange er die eigene Überzeugung stärkte. Und ich sehe hier dasselbe Problem. Mir geht es nicht darum zu sagen: «Gott hat die Welt nicht in 6 Tagen erschaffen.» oder «Nazis waren gar nicht so schlecht.» Ich muss aus philosophischer Sicht nur stark davon abraten bereits mit der Schlussfolgerung zu beginnen und diese dann herzuleiten und dann zu behaupten man hätte gezeigt, dass Nazis schlecht sind. Wahrscheinlich kommt nur nutzloses Virtue-Signaling dabei raus. Ich denke hingegen von Grund auf neu über Ethik nach. Mit dem Risiko, einige Dogmen zu relativieren, die wir haben. Vielleicht aber auch nicht. Das ist unmöglich, jetzt schon zu wissen. Ich halte es nur für intellektuell unredlich nicht auch dem hässlichsten Gedanken seinen Platz zu lassen. Psychoanalytisch gesprochen: Wer sich dem Monster nicht stellt, füttert es.

Um philosophisch redlich zu bleiben, nehme ich nicht einfach an «Leid ist schlecht.» oder «Freude ist gut.» Denn diese Werte sind über die Zeit nicht besonders stabil. Also um zu erkennen, was gut und schlecht ist, reicht es nicht einen solchen Satz zu nehmen und dann weiterzugehen. Denn diese zwei Sätze wären vor einigen Jahrhunderten nicht akzeptiert worden. Tugend war wichtiger als Freud und Leid. Gott ist vielleicht so gnädig dir Freude zu geben, wenn du dich tugendhaft verhältst, aber er muss nicht. Jesus ist auch am Kreuz gestorben und ist diesem Weg nicht ausgewichen. Aus der Aussage «Leiden ist schlechter als nicht Leiden» würde folgend, dass Jesus nicht optimal gehandelt hätte. Doch damit wäre wohl kaum ein Christ einverstanden. Er hätte weniger leiden können und dasselbe erreichen können. Er tat es aber nicht. Die einen meinen, er tat das, um ein grösseres Leid zu verhindern, aber dieses Gottesbild ist kindlich. Gott hätte dieses Leid ausgehalten und getragen, selbst, wenn nichts dabei erreicht würde. Einfach weil das ‹Gute› wichtiger ist als ‹Leid›(17).

Das Problem mit gut und schlecht ist also ziemlich schwierig. Über die Zeit galten unterschiedliche Annahmen. Die aus der obigen Diskussion ist heute die populärste, aber wie gesagt es gibt noch ganz andere. Ehre, Treue zu Gott. Oder die Reinheit der Rasse. Es bedarf jetzt der Analyse diese zu bewerten und nicht einem Dogma. Man beachte: Wir sind gerade am Übergang von Sein zu Soll. Und deshalb nehme ich so menschenfeindliche Aussagen wie «Reinheit der Rasse» einfach mal hin. Wir werden aber noch entdecken, wie es sich mit diesen Aussagen verhält. Das Einzige, was ich hier aussagen will, ist, dass es über die Geschichte der Menschheit und über die Erde verteilt ganz unterschiedliche Vorstellungen gab davon, was gut und schlecht ist.

Um aber jetzt in den Bereich der Ethik vorzudringen, bediene ich mich eines Kunstgriffes. Dieser ist wahrscheinlich genau der Teil, den man am einfachsten angreifen kann in meiner Argumentation. Das ist aber nun mal so. Die Argumentation darf aber dennoch nicht ignoriert werden, denn ich behaupte, sie ist stärker als alle Argumentationen, denen ich zuvor begegnet war. Und zwar betrachte ich die Ethik nun selbst als Muster und analysiere sie. Was muss die Ethik beinhalten, damit sie über die Zeit bestehen kann? Diese Diskussion wird nichts zur Erkenntnis moralischen Wahrheit beitragen(18). Wie ich in der Einleitung bereits geschrieben habe, sehe ich dieses Buch im Geiste von Nietzsche: Eine Suche nach Weisheit und nicht Wahrheit jenseits von Gut und Böse. Wir werden also existente Ethiken analysieren. Wir werden sie auch vergleichen können. Und ich bin mir bewusst, dass all diese Analysen nichts zum absoluten moralischen Wert beitragen. Doch eine Ethik, die nicht dem evolutionären Prinzip standhält, verschwindet, ist in der Praxis irrelevant. Ob die objektiv richtige Ethik (falls es so eine gibt) unter diesen möglichen Ethiken ist, ist mir eigentlich egal. Denn es wäre nur Wunschdenken und hätte nichts mit der Realität zu tun. Also anstatt des Übergangs von Sein zu Soll zu vollziehen, betrachte ich alle Ethiken, die existieren können. Und werde sie auch darauf prüfen, ob sie Bestand haben können.

Eine Ethik beinhaltet eine Sammlung von ‹Soll›-Aussagen. Werden diese ‹Soll›-Aussagen befolgt, spricht man vom ‹guten›-Handeln. Es gibt jedoch unterschiedliche Ansichten, was gutes Handeln beinhaltet. Sie widersprechen sich in einer gewissen Weise. Die einen meinen, man müsse Böses aus der Welt ausrotten, die anderen meinen, man müsse es heilen, andere wählen einen Zwischenweg. Und dies ist nur eines von unzähligen Beispielen. Doch anstatt jetzt irgendeine axiomatisch/dogmatische Argumentation zu bemühen, können wir jetzt das generelle Muster von Ethiken betrachten. Was muss eine Ethik erfüllen, um die Zeit zu überdauern? Oder auch, wie wandelt sich eine Ethik: Wie verändert sie den Richter und wie wird sie vom Richter verändert. Wir werden sehen, wie viel Freiraum wir noch haben, nach der Analyse. Ob noch jegliche Handlung eigentlich legitimiert werden kann oder ob es praktisch absolute(19) Werte gibt daraus. Wenn ja, wäre dies ein interessanter Anfang für eine undogmatische Ethik(20).

Das Muster der Ethik

Eine Ethik ist wie gesagt ein Codex. Dieser muss auf einem Informationsspeicher aufgezeichnet sein, ansonsten kann er nicht erkannt und befolgt werden. Diese Speicher sind unterschiedlich: Bei einem Gesetz ist es ein Gesetzbuch. Beim Gewissen ist es unser Gehirn(21). Und es gibt auch unausgesprochene Verhaltensregeln in Gemeinschaften. Diese sind zwischenmenschlich abgespeichert. Dies ist dann mehr eine Ethik, die aus anderen Mustern hervorgegangen ist, aber auch ein solches Muster ist schlussendlich nur ein Muster auf anderen Mustern und folgt ganz normal dem evolutionären Prinzip. Man bemerkt, dass jegliche Ethik ein ganz normales Muster ist. Es steht mit der Ethik ähnlich wie mit der Wahrheit. Ob jetzt eine absolute Wahrheit existiert, wurde für uns irrelevant. Wir betrachteten nur unsere Vorstellung von Wahrheit. Und genauso werden wir hier vorgehen. Ob eine absolute Moral existiert, ist irrelevant. Es ist in der Praxis einzig wichtig, ob die Ethik überleben kann oder nicht.

Ich betrachte eine Ethik beispielhaft. Namentlich klischeehafte Dorfsitten. Damit meine ich solche Regeln wie: «Bei einer Hochzeit im Dorf bringt jeder(22) ein selbstgemachtes Brot.» oder «Die Frau hat kein Recht dem Mann zu widersprechen.» oder auch so schwierige Regeln wie: «Eine richtige Frau investiert sich nebst der Familie auch ins Dorf.» Man könnte hier noch weitere Regeln aufzählen. Es ist irrelevant, ob ein solches Dorf mit diesen Regeln in der Wirklichkeit existiert. Sondern, dass du es dir vorstellen kannst.(23) Diese Regeln sind in diesem Fall nicht in einem Text festgehalten. Auch keine Einzelperson ist die Referenz für die Regeln. Es ist nicht so, dass eine Person auf einmal sagen kann: «Ab heute machen wir es anders.» Denn die Regeln sind verteilt über die Mitglieder der Gemeinschaft. Die Regeln sind stabil, da sich Menschen nicht gerne ändern und diese Regeln als selbstverständlich gesehen werden. Sie haben aber auch einen Richter. Sie müssen sich durchsetzen, gegen alle neuen Ideen von Mitgliedern. Gegen Traditionen, die von aussen kommen. Und sie können verlieren. Kaum etwas von all dem hat Bestand für die Ewigkeit. Ich hoffe, es ist klar, dass auch so etwas komplexes wie Dorfsitten, eine ganz normale Ethik ist, die sich wie alle Muster verhalten muss. Bestand haben kann oder nicht.

Als Nächstes müssen wir klären, warum es so ein Muster wie Ethik gibt. Es ist ein Muster, dass soweit wir zurückblicken können existiert. Es gab immer Verhaltensregeln. Es wirkt, als wäre es nicht möglich eine Gesellschaft aufzubauen ohne eine Ethik, ohne Verhaltensregeln. Oder anders gesagt: Gruppen mit Verhaltensregeln überdauern Gruppen ohne Regeln. Die Regeln verhelfen der Gruppe zu Überleben und eine überlebende Gruppe erlaubt es den Regeln weiterzubestehen. Die Argumentation ist also nicht: Es ist unmöglich, eine Gruppe ohne Regeln zu denken. Sondern: Eine solche Gruppe ist einer mit Regeln unterlegen. Daraus folgt: Die Frage ist nicht mehr: «Warum gibt es Ethik?», sondern: «Warum gibt es diese Ethik?»

Eine Ethik, die über die Zeit Bestand hat, muss stabil sein. Ein Muster muss immer den Informationsträger beschützen. Die DNS ist daran interessiert, dass das Lebewesen, indem sie ist, überlebt. So ist die Ethik genauso daran interessiert, dass die Menschen, die sie bewirten, überleben; ja sich auch fortpflanzen. Eine Ethik hat also unterschiedliche Ziele: Sie will stabil verankert sein in seinem Wirt. Sie will vermehrt werden, oder zumindest nicht aussterben. Sie will also zum Beispiel, dass die eigenen Kinder sie übernehmen oder, dass andere sich zu ihr bekehren. Und wenn ich vom ‹Willen› der Ethik spreche, dann meine ich nicht, dass die Ethik einen ‹Willen› im wörtlichen (metaphysischen) Sinn hat. Sondern, dass eine Ethik, die ein Verhalten manifestiert, die diesem ‹Willen› gleichkommt, sich durchsetzen wird.

Ethiken in der Geschichte

Anstatt zu analysieren, was alles möglich ist, lasse ich mich hier etwas aus der Geschichte inspirieren und genau genommen von Religionen. Es ist etwas gewagt, doch waren über lange Zeit Religion und Ethik nicht genau voneinander zu unterscheiden. Die Götter sagten, was gut und schlecht ist. Darum muss man in der Geschichte der Ethik auch zwangsläufig die Geschichte der Religion betrachten. Zuerst gibt es die Stammessysteme: Mein Stamm ist gut, deiner schlecht. Ich muss mich gegen dich durchsetzen, mit Gewalt. Fürsorgliche Pflichten existieren vor allem zu denen des eigenen Stammes. In solchen Systemen ist die Ethik gebunden an ein anderes Muster. Nämlich an den Stamm. Der Erfolg steht und fällt mit ihm. Andere Ethiken können sich jedoch besser verbreiten. Bis heute ist das Judentum noch tief von diesem Denken geprägt. Die jüdische Ethik ist stark an die jüdische Bevölkerung gebunden. Sie stabilisiert sich durch die Diaspora. Wenn die Juden verstreut sind über die Welt, jedoch eine starke Verbundenheit haben zu ihrer Herkunft, sind sie bemerkenswert stabil. Gäbe es nur ein Land, indem alle Juden lebten, dann wäre das Risiko grösser für ein Verschwinden im Falle eines verlorenen Krieges oder einer anderen Katastrophe.

Es gibt jedoch noch andere Denkweisen: Schon bald gab es Viel-Völker-Staaten. Eigentlich so etwas wie eine EU nur mit Gewalt. Die Römer unterwarfen andere Völker und erlaubten lokale Gesetze und Götter, solange die römischen Gesetze und Götter höher gewertet wurden. Dazu mussten die Gesetze und Götter Roms Freiraum lassen. Nicht alles darf geregelt sein. Diese Flexibilität im Umgang mit neuen Regeln und Göttern erlaubt es dem römischen System, sich neuen Umständen anzupassen. Es muss jedoch genug Struktur geben. Genug Härte und Macht, um die Hierarchie der Gesetze und Götter zu erzwingen. Daraus entsteht ein hoch-komplexes System. Sie waren nicht die einzigen, jedoch die am besten dokumentierten. Es war ein wahres multikulturelles Reich. Und das wahrscheinlich Erfolgreichste bis anhin.

Ich gehe hier kurz auf unser heutiges Dilemma ein. Mit der heutigen Mobilität wird ein Vermischen von Kulturen ermöglicht, wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Dazu kommt das Bewusstsein, dass andere Kulturen auch valide Systeme sind. Daraus folgt die Tendenz, einem Einreisenden nicht die eigene Kultur aufzuzwingen. Aus historischer Sicht ist das fahrlässig. Wir fühlen uns zu dem verpflichtet, weil wir ungerechte Dinge in anderen Ländern gemacht haben. Ich glaube jedoch, dass die Chance hoch ist, dass es ein folgenschwerer Fehler sein wird, die eigene Kultur im eigenen Land/Gebiet nicht über die Kultur der Immigrierenden zu stellen. Wie viel Freiraum man den eingewanderten Kulturen lässt, ist dann eine schwierige, harte und notwendige Debatte, die man führen muss.(24)

Es gibt Verhaltensregeln, die sich unabhängig von der politischen Struktur verbreiten. Sie existieren nur in den Köpfen und können von Deutschen, Japanern und Äthiopierinnen gleichermassen geglaubt und ausgelebt werden. Sie verbreiten sich und nehmen Land ein. Aber nicht wörtlich, sondern in den Köpfen. Die dominierenden Systeme heutzutage sind genauso. Das Christentum, der Kapitalismus, der Humanismus, der atheistische Buddhismus. Sie alle sind Denkweisen, die um die Vorherrschaft kämpfen in den Köpfen. Einige sind kombinierbar, andere nicht ohne weiteres. Sie haben es geschafft, sich immer mehr zu lösen von der Geografie. Somit sind sie auch nicht ohne weiteres auszurotten. Diese imperialen oder auch evangelisierenden Systeme werden in einer globalisierten Welt wohl immer existieren und interessant ist aus meiner Sicht nur, welche können und werden sich durchsetzen und welche nicht.

Ethik löst aus meiner Sicht immer dasselbe Problem: Wie kann ich jemandem vertrauen, den ich nicht kenne? Oder noch fundamentaler: Wie kann ich wissen, was der andere will? Ein ethisches System setzt Grenzen und die, die demselben System folgen, bewegen sich innerhalb des Systems. Es schafft Vertrauen. Ich konnte während meiner Studienzeit bei einem Pastorenpaar günstig wohnen. Sie liessen mich in ihre Wohnung. Und warum? Weil ich Christ von einer ähnlichen Denomination war. Nicht nur deswegen, aber auch. Sie vertrauten mir recht schnell, weil sie wussten, ich halte mich an ähnliche Regeln wie sie.

Doch wie schaffen wir es uns an solche Regeln zu halten, obwohl es je nach Situation vorteilhaft wäre sie zu brechen? Wir haben Geschichten. Wir sagen: Gott hat uns diese Regeln gegeben. Oder wir sagen: Jeder Mensch hat eine unantastbare Würde. Oder wir sagen: Das hat man schon immer so gemacht. Das sind alles Geschichten, die uns helfen, die Regeln ernst zu nehmen. Doch schlussendlich sind es nicht die Geschichten, sondern der Glaube, der uns hilft, die Ethik zu befolgen. Wir glauben unbegründet, dass die Regeln wichtig sind. Daher haben Humanismus und atheistische Ethiken eine Herausforderung vor sich; weil sie oft den Glauben als solchen lieber abschaffen würden oder zumindest ignorieren würden. Und Religionen haben das genau perfektioniert. Glaube ist dort eine explizite Ressource. Das Vertrauen auf etwas, dass man nicht sieht. Glaube wird gefördert: Es ist evident, dass die atheistischen und agnostischen Ethiken Probleme haben könnten, wenn sie diesen Fakt nicht für sich entdecken. Vielleicht können sie auf den Schultern der Religion reiten. In der Religion lernen die Menschen zu glauben und diesen Glauben wenden sie dann auch auf gottlose Dinge an. Vielleicht. Aber das ist eine gefährliche Strategie. Vor allem, wenn man gleichzeitig an den Fundamenten der Religion sägt.

Das Letzte, was uns noch fehlt, sind die tatsächlichen Bedingungen, unter denen eine Ethik weiterbestehen kann. Ethik ist nicht (nur) in der DNS beschrieben, sondern auch in unseren Gedanken. In den bewussten Überlegungen und den unbewussten ‹Trieben›. In unseren Instinkten und unserer Beziehung zu anderen Menschen. Es ist also eine hoch-komplexe Sache. All diese Informationsspeicher beeinflussen die Ethik. Fällt eines weg, verändert sie sich und sie muss das wieder ausgleichen. Damit eine Ethik Bestand hat, muss sie seinen Trägern Sorge tragen. Eine umfassende und selbstlose Ethik hat es schwierig, da sie sich verausgabt und durch Zerstörung des Wirtes sich selbst zugrunde richtet. Ein narzisstischer Egoismus ist jedoch auch nicht zielführend, obwohl dies ein Anfang wäre. Beim Egoismus ist wie gesagt das Problem, dass es nicht Bestand hat gegen eine Gruppe, die sich solidarisch verhält. Die Ethik muss dem Sorge tragen, das sie prägen will. Eine Stammes-Ethik sollte dem Stamm Sorge tragen und somit auch den eigenen Mitgliedern, zumindest so gut, dass sie überlebt und die Ethik weiterträgt.

Eine andere Taktik ist die Verbreitung der Ethik als Überlebensstrategie. Dies ist das Rezept des frühen Christentums (und jeder neuen Religion). Die ersten Jünger von Jesus bekamen den Auftrag: «Geht hinaus in die Welt und macht alle Menschen zu Jüngern.» Aus heutiger Sicht wird dieser Auftrag gerne kritisiert, doch unsere Brille der Muster analysiert das ganz neutral: Vermehrung ist eine der besten Strategien für ein Muster, um zu überdauern. Mit der Vermehrung kann sich eine Ethik auch Selbstlosigkeit leisten. Und eine sich verbreitende, selbst aufopfernde Ethik ist ziemlich viral und stabil zugleich. Bedenken Sie, wie revolutionär so etwas ist. Eine solche Ethik ist ein Muster, das erfolgreich gegen das ‹Selfish-Gene› arbeitet. Ihr ist die eigene Verbreitung wichtiger als die Gene. Missionieren macht genetisch keinen Sinn, aber ethisch sehr wohl.

Jede Person hat eine eigene Ethik. Ein Verhaltens-Kodex. Dieser ist beeinflusst von der Erziehung, von den Genen, vom Gewissen, von den Erwartungen anderer, von intellektuellen Überlegungen und noch mehr. Der Punkt, auf den ich hier raus will, ist: Eine persönliche christliche Ethik ist nicht dasselbe Muster wie das Christentum an sich. Meine persönliche Ethik ist nur eine Manifestation des Christentums. Die persönliche Sicht hat dann Interessenskonflikte. Genauer gesagt, gibt es unterschiedliche Muster, die einen Überlebenstrieb manifestieren. Ich will gleichzeitig überleben, aber meine christliche Ethik will Selbstaufgabe für ein höheres Gut. Das Christentum kann sich nur durchsetzen, wenn es schafft, bei den einzelnen Personen diese Selbstaufgabe zu festigen. Damit hat es sich den schwersten Gegner im belebten Universum ausgesucht: den Überlebenstrieb des Gens. Dazu braucht es ausserordentliche Geschichten. Eine ‹Lüge›, die behauptet, dass es eine Belohnung nach dem Tod gibt, zum Beispiel. Oder, dass das Leben hier auf der Erde einen Einfluss auf das Leben in der Ewigkeit hat. Diese ‹Lüge› muss so stark geglaubt werden, dass sie der Realität standhält. Sich nicht von der ‹Wahrheit› austreiben lässt. Nur dadurch kann sich Selbstaufgabe manifestieren.

Das verrückte ist dann ja, dass die Ethik jetzt jene Gene bevorzugt, die eine solche ‹Lüge› eher glauben. Und wenn die Ethik einen Einfluss auf die Partnerwahl hat, dann auch auf die Gene. Dass Religionen dies geschafft haben, ist erstaunlich und keineswegs offensichtlich.

Meta-Ethik

Mit all unseren Gedanken über Muster und Ethik sind wir bereit eine stabile Ethik zu beschreiben, ohne unrealistische Utopien zu entwerfen. Ich will keine Ethik entwickeln, die wie ein Virus sich über alle Menschen verbreitet und alles andere verdrängt, sondern interessiere mich in welche Richtung wir uns entwickeln sollen. In welche Richtung müssen wir unsere Glaubenssätze und ethischen Normen bewegen. Diese Richtung kann selbst als eine Ethik betrachtet werden. Oder präziser als ‹Meta›-Ethik. Da sie über die Entwicklung von Ethik spricht.

Es gibt unterschiedliche Blickwinkel, um eine Situation zu erfassen. Da die Ethik aus einer Ansammlung von Individual-Ethiken besteht, muss man beides betrachten. Was ist, gemessen am evolutionären Prozess, sinnvolles Verhalten für ein Individuum, für eine Familie, für ein Dorf, für ein Land, für eine ganze Ethik. Sind sich diese einig, dann haben wir etwas, das fast sicher passieren wird, oder zumindest sollte.

Um jetzt diese Ebenen zu betrachten, stellen wir fest, dass es zwei Faktoren braucht, damit eine Ethik überlebt. Stabilität und Kontinuität. Stabilität ist nur ein anderes Wort dafür, dass etwas überlebt. Stabil sind Sachen, die der Umwelt und der Geschichte standhalten. Und Kontinuität meint, dass die Änderungen nur stetig vorangehen. Denn wenn es zu schnell geht, kann man fast nicht mehr von derselben Ethik sprechen, sondern hat eine neue Ethik, die dann ihre Stabilität noch nicht bewiesen hat. Als Nächstes werden wir auf diese Punkte genauer eingehen, bevor wir Ethiken konkret betrachten.

In ethischen Diskussionen kam oft der Begriff der Stabilität auf. Doch kaum einmal kam ihr eine bedeutende Rolle zu. Einzig Systemphilosophen wie Luhmann und Parsons haben meines Wissens ihr einen besonderen Status beigemessen. Die Brille der Muster zugegebenermassen nahe am systemischen Denken. Muster wehren sich mit all ihrer Kraft gegen Destabilisierung. Sie wehren sich nicht wirklich, aber die Muster, die ein ‹sich wehrendes› Verhalten manifestieren, überdauern die Zeit eher. Ich werde von nun an über Ethik als ein aktives Ding sprechen und sagen: «Die Ethik macht dies oder jenes.» Damit meine ich nicht, dass sie das wirklich tut, sondern dass sie ein solches Verhalten manifestiert und täte sie das nicht, wäre sie dem Untergang geweiht. Also eine Ethik wehrt sich vehement gegen Destabilisierung. «Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, wird nicht bestehen.(25)» Es muss nicht eins sein, in Bezug auf das Gesagte, Gedachte oder Philosophierten, sondern einzig bezüglich des Gehandelten beziehungsweise des Manifestierten. Solange eine Gruppe in ihren Taten zusammenarbeiten und die Gruppe stabilisieren, ist es irrelevant, ob sie auch in Gedanken eins sind. So bekennen sich unterschiedliche Religiöse zu demselben Dogma aus Glauben andere aus sozialen Überlegungen wieder andere aus Gewohnheit und welche aus reflexiv psychologischen Gründen. Wenn die Gruppe bezüglich Vokabular und Taten eins ist, dann ist das ausreichend. So versteht der Religiöse unter Glauben eine innere Überzeugung bezogen auf eine metaphysische Wahrheit. Die aus Gewohnheit Glaubende meint damit, dass man die Dogmen bejaht. Und die mit den sozialen Überlegungen meint ebenfalls eine Bejahung von Dogmen, aber mit dem Bewusstsein, dass dieses Bejahen den Zusammenhalt stärkt. Und zu Letzt versteht die psychologisch-interessierte Person unter Glauben einen psychologischen Effekt der jedoch notwendig ist zur Ausübung der Religion. Diese grundlegend unterschiedlichen Ansätze sind dennoch fast völlig verträglich und daher vereinbar in einer Gruppe. Die Gruppe muss nur stabil sein in dem Sinne, dass sie sich wie erwähnt bezüglich Taten und Vokabular einig sind.

Doch welche sozialen Grössen müssen eins sein? Alle: Das Land muss den politischen Organen Sorge tragen und den Ortschaften und den Staatsangestellten und den Steuerzahlern und den Bewohnern. Dies darf nicht romantisiert werden: Sorge tragen ist etwas nett gesagt: Nicht umbringen und indoktrinieren würde unter Umständen auch schon ausreichen. Und es muss auch die individuellen Ethiken so beeinflussen, damit die grosse Ethik bestehen bleibt. Dies ist eine Herausforderung. Die Einstellungen auf allen Ebenen müssen kompatibel sein. Die Einstellung von der Politik muss koexistieren können mit den Einstellungen der Individuen, so können sie sich gegenseitig festigen und arbeiten in Synergie.

Diese Ebenen der Ethik können einzeln betrachtet werden. So beginnen wir mit der Individualethik. Also das ist das, was du oder auch ich persönlich als ‹gut› und ‹schlecht› betrachten. Diese Wertung ist entgegen der Meinung einiger Denker höchstens beschränkt unter unserer Kontrolle. Sie ist eng an das Gewissen gekoppelt. Das Gewissen ist ein Muster, verwurzelt in Emotionen und nur mühsam und beschränkt dem Verstand zugänglich. Sie ist eine Manifestation von unterschiedlichen Ethiken, die das Individuum beeinflussen; einige aus Urzeiten und andere aus der Gegenwart. Einige Einflüsse sind bewusst, andere nicht. Eine Person kann daher aufklärerische Werte und eine fundamentalistische Religion in sich vereinen. Dies gibt dann offensichtlich Spannungen. Sie müssen jedoch nicht aufgelöst werden. Oftmals scheint es gut genug für eine Ethik, wenn sie sich zumindest in gewissen Momenten ausleben kann. In der Kirche den Fundamentalismus und bei der Arbeit den aufgeklärten Geist. Das Wechseln der Kontexte benötigt zwar Energie, ist aber möglich. Und das auch über eine längere Zeit. Die Spannung wird aber oft nach ein paar Jahren angegangen und beseitigt. Wird das nicht gemacht, nennt man eine solche Person ‹unauthentisch›. Was so viel bedeutet, wie die Person nicht ‹echt› ist. Also, dass die Person Widersprüche in sich trägt und sich diesen nicht bewusst wirkt. Dieser Drang nach Authentizität veranlasst einige, die Widersprüche in sich zu beseitigen. Dieses Beseitigen geschieht entweder durch eine Fusion: Erkenntnisse aus der fundamentalistischen Zeit werden aufgeklärt formuliert. Oder das eine verdrängt das andere. Dadurch wird aber einer der Lebensräumen unangenehmer. Lässt man das aufklärerische Denken los, kann das einen Einfluss auf die Karriere haben und umgekehrt auf das Kirchenleben. Egal jedoch, wie man es löst: diese Änderungen, werden dann zurück in die Gruppen getragen. Und verändern dort die Gruppenethik. Vielleicht nicht auf die gewünschte Art, aber doch verändert jede Individualethik auch die Gruppenethik. So kann ein eingebrachter aufklärerischer Wert in die Kirche den Schutzmechanismus der Kirche aktivieren und eine Verhärtung und Radikalisierung der Gruppenethik verursachen. Was aber auch eine Veränderung ist. Der Punkt ist nicht, dass ein Individuum die Gruppenethik so beeinflussen kann, wie es dies wünscht. Sondern, dass ein Individuum die Gruppenethik immer beeinflusst, solange es mit ihr interagiert(26).

Sich widersprechende Ethiken können in ein und demselben Menschen untergebracht sein, wie wir alle schon erlebt haben. Die Psyche ist derjenige Ort, an dem sich die Dinge verändern, denn sie ist die grösste uns bekannte Denkkraft im Universum. Und so sehr wir dazu tendiert, die uns widersprechende Seite, die ‹ausländerfeindlichen Rechten› oder die ‹Werte-erodierenden Linken› zu verurteilen, entsteht erst dann eine echte Veränderung, wenn die Gegenseite in den eigenen Gedanken Raum gewinnt. Erst wenn die sich widersprechenden Ansichten sich im eigenen Kopf ein Duell liefern, entsteht, was man allgemein als ‹Denken› bezeichnet. Und dies nur, wenn keine Strohpuppenversion der Gegenseite verwendet wird.

Um diese Spannung zu lösen, wird oft ein ‹Dialog› zwischen den Parteien angestrebt. Denn andere haben die gleiche Spannung im Kopf. Dies ist zielführend, wenn einer der Redenden oder Zuhörenden ernsthaft die Ansichten der anderen in sich aufnimmt. Eine Diskussion ist oft nur für die Zuhörenden. Die Debattierenden auf der Bühne bewegen sich kein Stück in irgendeine Richtung. Da sie von aussen angegriffen werden. Somit fühlen sie sich berechtigt abzuwehren. Kommt der Angriff jedoch von innen: Also lässt man den konträren Gedanken Raum, dann gibt es einen Kampf im Kopf. Nur in diesem Zustand ist lernen, denken und verändern möglich. Dies von der Gegenseite zu verlangen, steht uns nicht zu. Wir können es nur selbst tun. Fingerzeigen, dass die ‹ausländerfeindlichen Rechten› dumm sind dient einzig dem Zusammenhalt der eigenen Gruppe oder als Abwehrmechanismus nicht selbst etwas überdenken zu müssen. Doch Denken und Veränderung ist nur möglich, wenn man den ‹ausländerfeindlichen› Gedanken in sich Raum lässt. Doch welcher Weltbürger ist mutig genug dafür.

Doch ist das ein Imperativ? Muss ein Individuum wahrhaft denken? Wir sind im Anfangszeitalter der Globalisierung. Nicht weil sie so neu ist, sondern, weil die Kulturkämpfe noch keineswegs abgeschlossen sind. Kulturen und Ethiken sind genauso wie im Kalten Krieg auf die Probe gestellt. Denn im Gegensatz zum Kalten Krieg sind die Fronten nicht klar und der Kampf findet im Individuum statt. Das Individuum muss (s)einen Weg finden, um mit dieser Pluralität klarzukommen. Und ich behaupte: Die eigene Ethik zu formen und anzupassen, damit sie kompatibel ist mit dieser Welt, ist notwendig. So müssen Fundamentalisten einen Zugang zur Wissenschaft schaffen, damit sie nicht psychologisch, wirtschaftlich und technologisch abgehängt werden. Die Technokraten müssen den psychischen Stabilitätsfaktoren genug Raum geben, ansonsten überschwemmt sie eine Welle der unstetigen psychischen unbewussten Überforderung. Die Betäubung solcher Phänomene durch: ‹Videos schauen›, ‹chatten›, ‹scrollen› oder auf der anderen Seite: ‹sich in der Bibel oder Gott verlieren› sind keine Dauerlösungen. Sie sind lediglich ein Verzögern von dem, was sowieso passiert: dass die Realität hereinbricht: in Form einer Depression, einem nicht-Nachkommen oder einer Entfremdung. Um die Frage des Imperativs zu umgehen, sage ich hier es so: Nur die Individuen, die es schaffen, sich der Realität anzupassen, werden die Zeit überdauern. Beziehungsweise nur die Ethiken, die so flexibel sind, sich anzupassen, werden die Zeit überdauern. Ein einzelner Mensch ist so kurzlebig, dass es denkbar ist, dass er die Widersprüche nie angeht.

Doch was, wenn ich das Anpassen ‹schlecht› finde. Dann folgt eine simple Überlegung. Die Muster ‹gut› und ‹schlecht› sind ebenfalls dem evolutionären Prozess unterworfen. Um hier nicht den Zorn aller moralischen Absolutisten auf mich zu ziehen: Ich präzisiere: Unsere Vorstellung von ‹gut› und ‹schlecht› ist dem evolutionären Prozess unterworfen. Mit dieser Formulierung lasse ich die Tür offen für allfällige absolute moralische Werte. Die Anerkennung dieser ist jedoch ebenfalls gesteuert durch den evolutionären Prozess. Nur die Werte, die sich durchsetzen können, werden überdauern. Doch verwechseln sie ‹gesteuert durch den evolutionären Prozess› nicht mit ‹Willkür›. Denn es können sich nur die Vorstellungen von ‹Gut und Böse› durchsetzen, die überlebensfähig sind. Und es ist wohl so, dass in einer globalisierten Welt die Werte in Richtung Toleranz gedrängt werden und in einer nationalen Welt mehr nach innen gerichtet. Ob nun nach innen gerichtete Werte oder gegen aussen gerichtete sich durchsetzen, hängt wesentlich von der Entwicklung der politischen Systeme ab. Denn der Mensch reagiert mit Rationalisierung und anderen intellektuellen Prozessen auf Veränderung. Dies ist eine Umdrehung der Kausalität. Man behauptet sonst, die Werte bestimmen die Politik. Doch es scheint, dass die Politik die Werte beeinflusst. Wir suchen erst im Nachhinein Gründe, die erklären, warum jetzt beispielsweise Demokratie gut ist. Präziser als Muster betrachtet, ist es ein sich gegenseitig beeinflussen. Dennoch: Unsere Vorstellungen von ‹gut› und ‹böse› sind nicht statisch, denn sie passen sich an.

Diese Erkenntnis klingt relativistisch. Doch ist sie das nicht vollkommen. Nicht alle Werte können bestehen. Man beachte, dass es immer ein Kampf ums Überleben ist. Sowohl für die Weltanschauungen als auch für die Menschen. Solange Gesellschaften nebeneinander bestehen und die Vernetzung untereinander nur gering ist, können sie unterschiedliche Werte haben. So kann es Kannibalen und gewissenlose Diktatoren neben gemässigteren Regionen geben. Doch mit der Zeit wird eine Sicht dominieren. Die Reiche werden aneinandergeraten und die stabilsten Reiche werden die Zeit überdauern. Nur deswegen haben wir heute noch die Werte des antiken Roms als ein Fundament für unsere Werte. Weil sie so dominant waren, nicht weil sie näher an den absoluten moralischen Werten waren. Doch die Werte eines Imperiums sind keineswegs willkürlich. Nicht jede Politik und Weltanschauung ist in der Lage, ein Imperium zu stützen. Eine Frage, die dieses Buch übersteigt, ist: Welche Werte haben in welchen Situationen die besten Überlebenschancen? Was sind Haltungen, an denen man sich orientieren kann für die Zukunft? Ich werde hier konkret und jetzt den sprachlichen Sprung zu einer konkreten Ethik machen. Und wie schon zuvor immer: Wenn ich sage, man soll dies oder jenes tun, dann meine ich, dass ein solches Verhalten (Muster) grössere Überlebenschancen bietet.

Zusammengefasst kann man sagen: Das Handeln ist abhängig vom Informationsspeicher der Ethik. Das heisst: Hätten wir keine Sprache, wäre ein anderes Handeln richtig. Denn nicht alle ethischen Normen können ohne Sprache manifestiert werden. Ohne Sprache beschäftigt sich das richtige Handeln vor allem mit Genen. Mit der Sprache, aber auch stark mit Memes und Kommunikation. Jede Person ist eine Manifestation von Ideen und es ist unsere Aufgabe, diese zu bewahren, anzupassen und weiterzugeben. Welche von all diesen Ideen soll priorisiert werden? Alles, was als überlebensfähig bewertet wird. Doch man vergesse dabei nicht die inneren Triebe. Sie beeinflussen, was wir für wichtig betrachten. Etwas überspitzt könnte man sagen, die Konsequenz dieses Denkens sei: Tue, was du für richtig hältst. Doch wenn du besonders schlau bist, dann denke nach: Was, von dem, was du richtig hältst, könnte verbessert werden? Und wie? Wie könntest du dich selbst besser stabilisieren? Oder besser gesagt: Wie wirst du am stabilsten, damit du deine Muster in die Zukunft bewirten kannst?

Betrachten wir eine konkrete Frage: Soll ich mich also nett verhalten, auch in einem schlimmen Ort mit der sichern Aussicht auf den Tod? Auf jeden Fall! Denn das einzige überlebensfähige Muster, das du vielleicht noch in die Zukunft retten kannst, ist das, dass du einen Unterschied gemacht hast in der ausweglosen Situation. Hierzu ein Beispiel: Alexander Solschenizyn hat über den Gulag und alle Foltermethoden dort geschrieben. Die Unmenschlichkeit der Wachen, Beamten und auch Insassen wurden von ihm genaustens und anschaulich vor dem Leser ausgebreitet. Doch haben die Lichtblicke in einer solchen Geschichte Inspirationspotential, dass es nicht zu ignorieren ist. Eine Nonne, die wieder und wieder vergewaltigt wurde, sich jedoch nicht brechen liess. Stark war. Und die Wachen mitleidig ansah. Diese Nonne blieb mir im Kopf. Ich will so werden wie sie. Ihr Muster der Selbstaufopferung ist so ansteckend und beeindruckend, dass es da Generationen, Geschlechter und Sprachbarrieren überwand und in meinen Kopf drang. Keiner der Vergewaltiger hat das bei mir erreicht. Nicht mal annähernd. Und wie viele haben sich tugendhaft verhalten und wurden dennoch vergessen? Viel zu viele, aber dennoch ist in einer solchen Situation dies wohl das einzig Richtige. Der Selbstschutz ist aber ebenso ein valides Ziel. Und aus diesem entstanden, die Unmenschlichkeiten der Insassen. Doch die Eigennützigen haben viel geopfert für ihr Überleben. Sie verloren ihre Menschlichkeit und können Gott dankbar sein, falls sie überlebten, dass es psychologische Mechanismen wie Verdrängung und Vergessen gibt. Ich belehre hier nicht die bereits gestraften. Was fiele mir ein! Aber uns. Wir, die nicht im Gulag stecken. Welche Art Mensch übersteht selbst diese Abscheulichkeiten? Welche Qualitäten muss ich entwickeln, um es als Mensch aus einem Gulag zu schaffen? Worin liegt mein Fundament? Was gibt Halt im freien Fall? Dies ist die wichtige Frage, anstatt ‹gut› gegen ‹schlecht› auszuspielen. Doch was, wenn wir bei diesen Gedanken Fortschritte machen? Wenn wir uns Dinge erschliessen, auf welche Art auch immer. Sei es intellektuell, spirituell oder vom Bauchgefühl her. Was stellen wir mit diesem Fortschritt an?

Das Einzige, was wir können, ist: Weitergeben. Ob es unsere Gedanken, Gefühle oder Gene sind. Und wir müssen uns so einrichten, dass dies möglich wird. Es ist der einzige Weg, wie eine Ethik überleben kann. Doch fördert diese Sicht nicht ein Mitläufertum? Eine Passivität? Fördert dies nicht eine Einstellung: «Wir ändern nichts und bewahren die alten Werte?», denn wir wollen die Muster unserer Vorfahren an unsere Kinder weitergeben. Zu einem gewissen Teil schon, aber nur so sehr wie dies möglich ist. Wir streben nach Existenz. Jedes Muster in uns. Doch um weiterzuexistieren, müssen wir uns immer gegen alle anderen, die auch existieren wollen, durchsetzen. Damit unser Dorf Bestand hat, müssen wir mit der Zeit gehen und uns nicht abhängen lassen. Gleichzeitig dürfen wir die Werte, die uns stabilisieren, nicht erodieren. In einer progressiven Zeit ist dies eine konservative Botschaft jedoch in einer konservativen Zeit genau das Gegenteil. Man könnte sagen, es ist eine mässigende Botschaft. Und jetzt kommen wir auch zum Interessanten an unserer entwickelten Ethik. Sie ist situativ. Es scheint kaum ein Verhalten zu geben, dass in jeder Situation angebracht ist(27).

Ich stelle hier einige Fragen, über die man nachdenken könnte. Was ist als Gefangener das richtige Verhalten? Und was als Gefängniswärter? Was als Schüler und was als Lehrer? Was als Kind und was als Eltern? Was als Person, die ein Gesetz macht und was als Person, die unter einem Gesetz steht? Doch überlegen sie genau. Die Antwort ist nie: Reiner Egoismus hat die besten Überlebenschancen: Denn die Welt ist zu kompliziert für diese Ansicht. Um hier etwas Klarheit zu bekommen, bedienen wir uns immer wieder einem Trick: der Komplexitätsreduktion. Wir vereinfachen Situationen, damit wir sie nicht mit all Ihren Facetten betrachten müssen. Warum es nicht ohne diese geht und was die Konsequenz daraus ist, werden wir im nächsten Kapitel betrachten.

Die Komplexitätsreduktion als notwendige ethische Handlung

Einleitung

Eine Komplexitätsreduktion ist, wie es der Name schon sagt, ein Mittel, um komplexe Dinge handhabbar zu machen. Im Alltag verwenden wir gerne den Begriff: Faustregel. Eine Regel, bei der wir uns bewusst sind, dass sie nicht wirklich stimmt, aber doch oft ‹gut genug› ist. Da die Realität zu kompliziert ist, benötigen wir diese Faustregeln. Sie sind sogar tief in unsere Psyche und auch Genetik verankert. Ich behandle diese jetzt genauer.

Wahrnehmung

Die Wahrnehmung selbst ist eine grosse Faustregel. Wir nehmen nur selektiv wahr. Wir blenden aus und treffen Annahmen, die keineswegs berechtigt sind aufgrund der Signale, die wir bekommen von unserer Umwelt. Unser Gehirn hat eine Unmenge von Vorurteilen. Und dies nicht nur, wenn es um Menschengruppen geht. Es nimmt auch an, dass das, was das linke Auge sieht, etwas mit dem zu tun hat, was das Rechte sieht. Aber auch, wenn wir einen Raum betreten, dann schauen wir nicht alle Wände an, sondern unser Gehirn ‹erfindet› die Wände dort, wo sie ungefähr sind. Dadurch kann es zu Situation kommen, in denen man selbst ein Loch in der Wand übersieht, weil das Gehirn dieses Loch schloss. Es sagt nicht, dass es nicht weiss, was dort ist. Es erfindet aktiv eine geschlossene Wand. Wir haben wahrhaft blinde Flecken bereits in der Wahrnehmung, ohne, dass wir das erkennen. Auch unsere Denkweise verwendet diese Abkürzungen. Sie sind oft korrekt und gut genug, um im Alltag spontan entscheiden zu können. Den Vorschlag, die Probleme im Leben mit dem Verstand zu lösen, ist aber mutig. Der Verstand ist nämlich eine beschränkte Ressource. Wir haben keine Energie, auch nur einen Bruchteil unserer Probleme mit dem Verstand zu bewältigen. Wir müssen auf Intuition und Vorurteile zurückgreifen. Jeder behauptet ja, dass sein Problem wichtig sei und Nachdenken nötig ist. Es liegt dann wieder am Individuum, die Priorität zu setzen.

Es gibt Kurse, die diese Vorurteile bekämpfen oder versuchen ihr Einfluss zu minimieren. Doch aus unserer Sicht der Muster müssen wir dieses Bestreben hinterfragen. Ist es erstrebenswert, diese Vorurteile zu beheben? Zusätzlich kommt noch die Frage hinzu: Kann man diese Vorurteile ausmerzen oder ihr Einfluss signifikant verkleinern? Es scheint, dass diese Vorurteile zu tief verwurzelt sind als, dass sie stark beeinflusst werden können. Das würde bedeuten, die Anstrengungen sind verschwendete Energie und andere Gesellschaftsgruppen setzen ihre Energie für etwas Nützliches ein. Vielleicht sind die Vorurteile jedoch beeinflussbar und wir verbessern die Gesellschaft mit solchen Programmen. Es ist nämlich äusserst erstrebenswert, die Realität möglichst korrekt einschätzen zu können. Es bleibt jedoch, dass wir das nicht mit allem können. Wir sind wahrlich limitiert. Nicht nur als Einzelperson, sondern auch als Menschheit. Egal wie viele Gremien, freie Zeitungen, Dokumentationen oder Bücher produziert und konsumiert werden. Egal, wie viele Beschlüsse gefasst werden. Wir werden immer nur einen lächerlich kleinen Teil unseres Lebens unter Kontrolle bringen.

Wir sind fundamental limitiert

Ich versuche wie schon die ganze Zeit schwierige Themen denkbar zu machen, ohne dabei in Klischees zu verfallen oder philosophisch fragwürdige Mittel zu verwenden. Und bei keinem Thema ist es so schwieriger als hier. Die Folge von «Wir sind limitiert.» darf nämlich nicht sein: «Also können wir nichts.» oder «Also ist jede Sicht auf die Welt gleich valide.» Das versuche ich zu vermeiden, denn dann wäre mein ganzes Buch für nichts. Es ist mein Anliegen, positive Aussagen über Ethik machen zu können. Also Aussagen mit Inhalt. Die sagen «Dies oder jenes ist gut.» und nicht nur «Das können wir nicht wissen.». Doch nur weil man glaubt, es gäbe eine absolute Wahrheit und wir solche positiven Aussagen machen können, heisst das nicht, dass diese korrekt sind. Wir bewegen uns nicht in einer platonischen Welt. Uns steht nur ein Bruchteil der nötigen Information für eine Entscheidung zur Verfügung. Unsere Gehirne, Computer und allgemein alle Informationsverarbeitungssysteme sind fundamental limitiert. Und zwar wesentlich. Wir werden sehen, dass es relevante Probleme gibt, die für die physikalische Informationsverarbeitung, unlösbar sind. Und dass relevante Probleme nicht in nützlicher Frist gelöst werden können. Und mit nützlicher Frist meine ich: Nicht einmal in den nächsten Milliarden Jahren, selbst wenn wir Quantencomputer und künstliche Intelligenz erfundene haben. Da dies eine mutige Behauptung ist, gehe ich gleich darauf ein.

Unlösbare Probleme

Im Volksmund spricht man noch schnell von unlösbaren Problemen. Man beschreibt dort eine Situation, in der nicht alle gewünschten Dinge erreicht werden können. So zum Beispiel will jemand einen Arbeitsplan erstellen und die Mitarbeiter können Tage wünschen, an welchen sie freihaben wollen. Alle wählen denselben Tag. Dieses Problem ist dann im Volksmund ein unlösbares Problem, weil man nicht jeder am selben Tag freigeben kann. Algorithmiker jedoch sprechen über das Problem anders. Sie stellen Probleme immer so, dass es eine Lösung gibt: Das erwähnte Beispiel würden sie so formulieren: «Ist es möglich, alle Wünsche zu berücksichtigen und an jedem Tag genügend Mitarbeiter zu haben? Wenn ja, wie muss man sie dafür einteilen.» Diese Frage hat immer eine Lösung. Nämlich: Nein, es ist nicht möglich, alle Wünsche zu berücksichtigen. Was jetzt das Erstaunliche ist, ist, dass es Probleme gibt, die zwar eine Lösung haben, die jedoch nicht gefunden werden kann. Das haben zwei unterschiedliche Resultate im letzten Jahrhundert gezeigt. Wir werden diese jetzt kurz behandeln und danach auch direkt auf die Implikationen von diesen Ergebnissen eingehen.

Das ‹Halteproblem› zeigte, dass es keinen Algorithmus gibt, der entscheiden kann, wenn man ihm ein Programm gibt, ob das Programm ewig läuft oder nicht. Obwohl das äusserst spezifisch scheint und ausser theoretischen Informatiker:innen kaum jemand zu interessieren sollte, ist es für uns relevant. Es gibt also kein Programm, dass diese Frage für alle Programme entscheiden kann. Folglich gibt es auch keine künstliche Intelligenz, die das kann. Das ist schon mal interessant. Doch was bedeutet das noch? Alles, was von einem Computer simuliert werden kann, kann das Problem auch nicht lösen. Also nehmen wir an, wir hätten in Zukunft etwas, das ganze Menschen simulieren könnte. Also einen denkenden Menschen, der das Halteproblem zu lösen versucht. Diesen Menschen kann es entweder nicht geben oder wenn es ihn gibt, kann er nicht simuliert werden. Materialisten nehmen an, dass alles in der Welt Materie ist. Sie behaupten dann oft, dass die Welt vollständig durch die Naturgesetze beschrieben ist. Würde dies stimmen, dann könnte die Welt vollständig simuliert werden, da ein Computer Naturgesetze gut simulieren kann. Daraus folgt allerdings, dass kein Mensch das Halteproblem lösen kann. Daraus folgt, dass es Programme gibt, die zwar halten oder auch nicht, wir jedoch keine Chance haben, das herauszufinden. Das muss nicht der Fall sein, doch für den Materialisten schon.

Was sagt uns das? Es gibt Dinge, die eine Antwort haben, aber die Antwort lässt sich unmöglich finden (unter der Annahme des Materialismus). Nicht mit Milliarden von Jahren von Berechnungszeit. Nicht mit der stärksten künstlichen Intelligenz. Nichts, das den Naturgesetzen entspricht, kann das lösen. Man ist verleitet als letzten Ausweg zu sagen: Ja, das ist auch ein unwichtiges Problem. Aber das stimmt nicht. Es wäre nützlich, das zu wissen. Aber es sagt auch, dass es anscheinend solche Probleme gibt und nur weil uns dieses Beispiel nicht anspricht, heisst das ja nicht, dass es keine anderen gibt, die für uns relevant sind. Doch was das ebenfalls aussagt: Es gibt Dinge, die zwar wahr oder falsch sind, aber unmöglich von einem simulierbaren Wesen herausgefunden werden können.

Dazu kommt: Je tiefer man sich mit der Algorithmik beschäftigt, umso mehr bekommt man die Intuition, dass es keinen fundamentalen Unterschied zwischen den mathematischen Fähigkeiten der Menschen und der Computer gibt. Und dann spricht das Halteproblem über Menschen. Über ein Limit von Menschen. Wir werden uns dies merken und erst andere Limitierungen betrachten. Diese Intuition könnte auch falsch sein, aber dies würde seinerseits wieder grosse Implikationen haben. Wir könnten also Dinge tun, die nicht simulierbar sind. Es ist schwierig, zu sagen, was das sein könnte.

Nebst unlösbaren Problemen gibt es noch nicht praktikable Probleme. Dinge, die man nur ausrechnen kann, mit Quintilliarden von Jahren. Wobei Quintilliarde noch viel zu klein ist. Selbst wenn in jedem Atom ein Supercomputer stecken würde, der in jeder Femtosekunde Dinge ausrechnet und alle diese Supercomputer zusammenarbeiten. Selbst dann wären einige Probleme noch so weit weg, von lösbar in ein paar Quintilliarden von Jahren. Also es besteht keine Hoffnung, dass man diese Probleme je löst; obwohl sie eine Lösung haben. Und von diesen gibt es einige. Das Entschlüsseln einer Verschlüsselung zum Beispiel(28). Dies kann niemand. Ohne Schlüssel kommt man nicht zu den Informationen auch nicht mit noch so viel Zeit und Ressourcen. Und hat ein Terrorist wichtige Informationen auf einer verschlüsselten Festplatte und wir wollten an die Daten. Aber da kann man nichts machen. Diese Information ist weg. Ausser dem Terroristen gibt seinen Schlüssel. Und es gibt noch mehr solche Probleme. Doch ist das nicht das Einzige, was uns limitiert. Wir haben noch mehr Einschränkungen.

Informationsdichte

Ein anderer interessanter und limitierender Faktor ist die Informationsdichte. Dazu gehört die Annahme (oder Einsicht), dass Information immer physikalisch abgelegt werden muss. Ein Computer mit demselben Speicher wird immer dasselbe berechnen. Die Annahme wäre nun, dass alle Informationsverarbeitung auf der Welt Information physikalisch speichern muss. Auch der Mensch. Vielleicht nicht mit Bits, sondern in den Verbindungen der Neuronen oder so etwas. Dass dies der Fall ist, ist glaube ich klar. Hirnverletzungen löschen gewissen Information. Doch ob alle Information des Menschen physikalisch ist, ist noch immer eine Spekulation. Doch daher habe ich das eine Annahme genannt. Ähnlich wie bei den Berechnungszeiten von vorhin, geht es hier um Probleme, die Unmenge an Speicher benötigen. Es gibt Programme, die exponentiell viel mehr Speicher brauchen, als das Problem, das gestellt wurde, gross ist. Also man würde gerne etwas über einen Satz herausfinden der 10 Wörter lang ist. Dann benötigt das Programm Speicherplatz für 210 Wörter (was ca. tausend sind). Dasselbe Programm soll nun eine Aussage über einen 20 Wörter langen Satz tun; und es benötigt dafür Speicherplatz für 220 Wörter (was ca. 1 Million Wörter sind). Man erkennt schnell, dass ein Satz mit der Länge von 1000 nicht analysierbar wäre. Es bräuchte so viel Speicherplatz, dass es zu wenige Atome im Universum dafür gibt. Es bräuchte so viele Universen, um genügend Atome für den Speicherplatz zu haben, dass es mir schwerfällt, selbst diese Zahl anschaulich zu machen. Belassen wir es dabei. Ein Programm, das exponentiell viel Speicherplatz braucht, funktioniert nicht für Probleme, die, sagen wir, grösser als 100 sind. Vielleicht wird das mal auf 120 anwachsen. Aber 1000 werden wir nie erreichen. Und das sind nicht schlechte Programme, sondern es gibt Probleme, bei denen die effizienteste Art sie zu lösen einen solchen Algorithmus benötigen. Mit unserer Annahme wird das Ganze noch aussichtsloser. Auch wir Menschen können dann solche Probleme nicht lösen.

Chaos

Eine zusätzliche Herausforderung stellen aber auch die sogenannt chaotischen Systeme. Es sind Abläufe, deren Ergebnis, wenn sich auch nur das kleinste Detail ändert, sich immens verändert. In der Popkultur ist es unter dem Begriff des Butterfly-Effekts bekannt.

Hier ein Beispiel: Es fliegt ein Schmetterling über eine Wiese an einem Weg vorbei. Auf dieser geht gerade ein kleiner Junge vom Kindergarten nach Hause. Er sieht den Schmetterling und läuft ihm nach über die Wiese. Der Schmetterling fliegt und fliegt und kommt schlussendlich zu einer befahrenen Strasse und überquert sie. Voller Faszination und seine Umgebung missachtend, tut es ihm der Junge gleich. Doch während der Schmetterling gesund am anderen Ende der Strasse ankommt, wird der Junge tödlich angefahren von einem Auto. Ein Tumult entsteht und die Eltern des Kindes werden informiert. Sie sind bestürzt und werden zutiefst betrübt und fallen in eine Depression. Der Vater war Vorsteher einer Forschungsabteilung einer grossen Firma. Sie waren nahe am Durchbruch zur Entwicklung eines Medikamentes, das eine schwere Krankheit heilen könnte. Doch weil der Vater sich nicht mehr auf seine Arbeit konzentrieren konnte, wurden seiner Abteilung die Mittel gestrichen. Und obwohl sie gute Resultate erzielt hatten, wurde aus firmenpolitischen Gründen die Entwicklung eingestellt. Nun sterben weiterhin Menschen an dieser Krankheit; nur weil der Schmetterling über die Strasse flog, anstatt auf der Wiese zu bleiben.

Dieser Schmetterlings-Effekt funktioniert exzellent für Geschichten. Denn gerade Geschichten sind ihm unterlegen. Sie haben hunderte Stellen, wo etwas passiert, aber auch etwas ganz anderes hätte passieren können, wäre nur ein kleines Detail anders gewesen. Doch wenn wir über Chaos sprechen, dann umfasst das mehr als diesen Effekt. Von Chaos spricht man, wenn auch scheinbar ganz simple Systeme dieses Verhalten aufweisen. Z.B. eine Billardkugel. Wenn ich bei dieser den Winkel, in der ich sie anstosse, nur etwas ändere, ändert ihre Endposition stark. Oder wenn ich einen Würfel nur etwas anders fallen lasse, ändert sich die Augen-Zahl komplett. Der Würfel ist ein gutes Stichwort. Es ist ein absichtlich chaotisches System. Eigentlich, wenn man einen Würfel jedes Mal ganz genau gleich fallen lässt, dann wird es jedes Mal dieselbe Zahl geben. Doch weil nur die kleinste Änderung in der Haltung des Würfels oder der Geschwindigkeit des Wurfes oder der Richtung des Wurfes sich ändert, ist die Zahl anders. Und neben Losen und Würfeln sind aber auch ganz andere Dinge so.

Das Wetter verhält sich nämlich genauso. Wenn der Luftdruck heute ein Millibar höher oder tiefer ist, verändert das die Prognose für in sechs Wochen immens. Wir sagen daher, dass die Prognose über eine so lange Zeit nicht zuverlässig möglich ist. Aber auch die Voraussage der Flugbahn von Asteroiden ist chaotisch: Mehr als 10 Jahre im Voraus kann man die nicht berechnen. Bei chaotischen Systemen ist es oft so: Für eine gewisse Zeit kann man sie gut voraussagen, doch dann kommt eine Phase, in der sich die kleinen Messfehler in der Gegenwart auszuwirken beginnen und dann kann man eigentlich nichts mehr voraussagen. Man könnte noch mehr darüber sagen als, dass man da nichts voraussagen kann, aber das ist hier nicht von Bedeutung. Von Bedeutung ist nur die Tatsache, dass es bei gewissen Prozessen einen Horizont gibt, über den hinaus nicht mehr präzise gesprochen werden kann. Wenn unsere Computer genauer und schneller und unsere Messungen präziser würden, würde sich dieser Horizont nur nach hinten verschieben, jedoch niemals auflösen.

Instabilität der Logik

Ich kratze hier noch eines der goldenen Kälber der Wissenschaft an. Nämlich die Logik. Wir tun so, als wäre die Logik eindeutig und ihre Ergebnisse ewig von Bestand. Und das sind sie auch in einem gewissen Sinne, jedoch in einem andern überhaupt nicht. Die Logik ist nämlich immer eine umgedrehte Pyramide. Sie steht auf den Axiomen. Annahmen, die die Logik selbst nicht zeigt oder beweist. Aussagen wie: «Eine Aussage ist entweder ‹falsch› oder ‹nicht falsch›, aber nie beides». Diese Axiome sollten so offensichtlich sein, dass sie keiner Rechtfertigung bedürfen. Wenn wir diese Axiome dann haben, können wir andere Dinge beweisen. Z.B. aus den Axiomen «0 und 1 ist eine Zahl» und «1 plus eine Zahl ist wieder eine Zahl» kann man beweisen, dass es keine grösste Zahl gibt. Nähmen wir nämlich an, es gäbe eine grösste Zahl, dann wissen wir aber durch unser zweites Axiom, dass 1 plus diese Zahl wieder eine Zahl ist. Daraus folgt, dass unsere Zahl doch nicht die grösste Zahl ist und somit unsere Annahme, dass es eine grösste Zahl gäbe, falsch ist(29).

Und wenn wir keine Fehler machen in diesen Argumentationen, dann stimmt das Resultat auch. Die Frage bleibt jedoch: Verhält sich die Welt logisch? Bzw. wie sicher kann man sich sein, dass unsere Axiome stimmen. Unsere technologisierte Welt bezeugt mit einer unübersehbaren Wucht, dass unsere Axiome zumindest ganz pragmatisch stimmen. Doch haben wir vor allem in Sachen Technologie und Wohlstand Fortschritte gemacht. Psychische Gesundheit ist jedoch ein anderes Biest. Dort sind wir noch immer an den Axiomen am Feilschen. Was ist Bewusstsein? Was ist der Geist? Hat das etwas miteinander zu tun? Was ist das Unbewusste? Hat ein Tier ein Bewusstsein? Eine Pflanze? Ein Stein? Ein Atom? Wo ist die Grenze? Und warum dort? Diese Fragen sind der Logik bis jetzt nur beschränkt zugänglich. Denn wir sind uns nicht einige über die Axiome, also über die unumstösslichen Tatsachen der Welt der Psyche. Und Menschen behaupten, sie hätten solche Axiome und bauen darauf dann ihr Kartenhaus auf. Alle Karten korrekt platziert. So stabil wie sie können. Sie beschwören, dann eine Revolution des Verständnisses des Universums herauf und sehen nicht, dass ein Grossteil die Axiome nicht teilen würden. Doch wird nicht über die Axiome diskutiert, sondern über irgendwie: Gehirn-Bewusstseins-Geist Relationen. Doch solange sich die Axiome nicht etabliert haben, ist die Logik ein Kartenhaus. Sie beweist Dinge, die nicht stimmen. Doch die Suche nach Axiomen wird nicht von der Logik gemacht, sondern ausserhalb. Die Intuition liefert Axiome.

Doch nicht nur in der Psyche sind die Axiome uneindeutig. Auch in der Mathematik und in anderen Bereichen sind sie umstritten. In einem Studium wird man oft mit Sätzen wie diesen konfrontiert: «Dies sind unsere Axiome und in dieser Vorlesung lernen wir, was aus diesen folgt.» Die Diskussion über diese Axiome wird jedoch nicht ausführlich geführt. Zumindest nicht in einem technischen Studium. Diese Vorgehensweise vermittelt den Studenten einen Werkzeugkasten, der sagt: «Wenn du im echten Leben eine Situation findest, in der diese Axiome zutreffen, dann kannst du alles aus dieser Vorlesung anwenden.» Und das ist auch nützlich. Und in der Praxis denkt man dann: «Das sieht ungefähr so aus wie das aus der Vorlesung. Mal schauen, wo mich das hinbringt.» Man ist gar nicht interessiert, ob die Axiome wirklich stimmen. Und wenn ein Fall auftritt, der gegen ein Axiom verstösst, dann löst man dieses Problem ganz pragmatisch auf eine andere Weise.

Wenn sich ein Axiom einmal ändert, sind die Folgen weitreichend. Alle Schlüsse, die von diesem Axiom abhängig sind, sind nicht mehr gültig und müssen neu überprüft werden. Das Kartenhaus bricht zusammen. Das ganze Verfahren ist nur so stabil, wie sein schwächstes Glied. Während andere Denkweisen lokal sind, also kaum abhängig von Veränderungen am anderen Ende des Spektrums. Die Logik ist also, obwohl sie stark und aussagekräftig ist, beschränkt. Sie ist immer nur so stark, wie ihr schwächstes Glied. Und ändert sich ein Axiom, so ändern sich die Folgerungen daraus dramatisch. Man kann sagen: chaotisch. Die Logik ist ein chaotisches System bezüglich der Axiome. Und über die Probleme von chaotischen Systemen haben wir ja schon gesprochen.

Beispiele

Für die Leser, die keine Algorithmiker sind, nenne ich hier ein paar Beispiele für Probleme, die nicht lösbar sind(30). Einen optimalen Arbeitsplan erstellen für eine Gruppe von Personen. Eine Rundreise planen, die an bestimmten Orten sicher vorbeikommt und möglichst schnell ist (dies könnte auch beim Internet-Routing gebraucht werden). Viele Spiele und strategische Probleme sind praktisch unlösbar. Dann wird es wie erwähnt nie einen Vorgang geben, der uns zeigen kann, ob ein Programm hält oder ewig läuft. Es gibt noch mehr Probleme, die aber so mathematisch formuliert sind, dass sie hier nicht als Beispiele dienen können. Aber wären diese lösbar, sähe unsere Welt anders aus(31).

Differenzialgleichungen sind ebenfalls schwierig zu berechnen. Sie beschreiben unterschiedliche Systeme: Planetenumlaufsysteme, Wettersysteme, Klimasysteme und viel mehr. Sie sind zwar theoretisch berechenbar, doch kommt da ein anderer limitierender Faktor dazu: die beschränkte Präzision. Ohne dies genauer zu erläutern, will ich dennoch die Auswirkung beschreiben. Differenzialgleichungen sind oft chaotisch, also kleine Änderungen des Anfangszustands ändern den Verlauf des Systems drastisch.

Man bemerke, ich habe keine Alltagsdinge gebracht. Das ist korrekt, weil wir dort sowieso nie nach dem Optimum suchen. Wir handeln nach Gewohnheit und Faustregel. Erst wenn wir unseren Tagesablauf detailliert optimieren wollen oder unser Leben optimal auf ein Ziel ausrichten werden Probleme entstehen, die höchst wahrscheinlich wieder unlösbar sein werden.

Folgerung daraus

Es gibt Fragestellungen, die theoretisch und praktisch unlösbar sind, obwohl sie eine Lösung haben. Dann gibt es Probleme, die zwar theoretisch, aber nicht praktisch lösbar sind. Dies ist eine ernüchternde Einsicht. Doch macht es keinen Sinn, über die Struktur des Universums zu trauern. Wir müssen aber dennoch die einen oder andern Probleme lösen, obwohl sie unlösbar sind. Dazu nutzen wir einen Trick. Wir kreieren Faustregeln. Wir sagen: Dass sich dies oder jenes so verhält, auch wenn das nicht der vollständigen Wahrheit entspricht. Oder wir suchen nicht die optimale Lösung, sondern eine ausreichen gute(32). Wir suchen Muster, die wir als ‹gut genug› bewerten. Leider funktioniert dies auch nicht immer.

Wir reduzieren also die Komplexität. Und zwar so weit, dass es eigentlich gar nicht mehr stimmt. Wir kommen an die Grenzen des Möglichen und machen jetzt das Beste daraus. Dies ist das Einzige, was wir tun können. Wir verwenden Analogien. Die Wissenschaft versucht zwar alles zu ergründen, doch folgt aus der Komplexitätstheorie, dass es unmöglich ist, aus den Einzelteilen das Verhalten des Gesamten vorauszusagen. Nicht theoretisch unmöglich, aber praktisch unmöglich. Also auch, wenn wir genau wüssten, wie das Gehirn funktioniert, dann wäre es doch nicht möglich vorauszusagen, was in den nächsten Minuten in meinem Gehirn passieren wird. Es bräuchte absurd viel Zeit, das zu berechnen. Also können wir hoffen, dass das Verhalten des Gesamten sich selbst wieder an einfachere Gesetze hält. Dies ist jedoch nicht garantiert. Gerade beim Gehirn ist diese Hoffnung optimistisch.

Es könnte also unter Umständen Sinn machen, über das Gehirn wie Psychoanalytiker:innen zu sprechen. Diese verwenden abstrakte Begriffe, die weit weg von der Materie sind. Klischeehaft greife ich hier das Unbewusste heraus. Dieser Begriff wird verwendet, um Vorgänge in unserem Gehirn (oder Denken) zu beschreiben. Der Begriff leistet viel, um die Probleme einfacher zu verstehen. Streng physikalisch gesehen gibt es aber dieses Unbewusst gar nicht. Wir bemerken solche Muster und benennen sie. Und solange sie uns einen Wert geben, werden wir sie behalten.

Man sieht: Die Wahrheitsfrage ist auf wackligem Fuss. Denn es ist schwierig, Theorien zu beweisen oder zu widerlegen. Wir können oftmals einzig pragmatisch ‹richtig› sein. Die Frage, die jetzt jedoch auftaucht: Welche Begriffe sind nun zulässig? Welche Abkürzungen oder Zusammenfassungen kann man verwenden. Die Frage ist mit unserer Brille der Muster einfacher zu beantworten. Alle Begriffe, die uns helfen, zu überdauern. Dazu sei gesagt, dass unterschiedliche Vereinfachungen der Realität überdauern können. Sowie Rinder oder Vögel die Zeit überdauern. Es ist auch klar, dass es in gewissen Situationen besser ist ein Rind zu sein und in den anderen besser ein Vogel zu sein. Und so sind auch die einen Gedankengebäude nützlicher für die einen Situationen und andere für anderes. Wir werden auf die wohl umstrittenste Vereinfachung kommen: Gott.

Gott

In einer Debatte in den USA wurde mal der Begriff des ‹Jesus smuggeling› verwendet. Also ‹Jesus reinschmuggeln›. Und es bezeichnet das Gefühl von Atheisten, dass sie oft den Theisten in ihrer Argumentation eine Zeit lang folgen können. Dann auf einmal behaupten die Theisten: «Und somit glaubst auch du an Gott.» Der Atheist muss dann einen Schritt zurückgehen und schauen, wo jetzt etwas falsch gelaufen ist bei der Argumentation. Ich versuche, das offensichtlicher zu formulieren. Ich halte es für sinnvoll jetzt bei den Komplexitätsreduktionen über Gott zu sprechen. Denn aus meiner Sicht ist er genau das. Wenn wir den Wandel der Vorstellung, was ‹Gott› ist, betrachten, dann sehen wir ein Muster. Und zwar wird Gott immer das unerklärliche zugeschrieben. Heute wird dieses Argument ‹God of the Gaps› genannt. Dieser ‹Lückengott› wird immer kleiner, da wir immer mehr erklären können. Doch aus meiner vorherigen Erläuterung mit den unlösbaren Problemen wird er nie arbeitslos. Die Frage ist nun nicht, ob man von ‹Gott› sprechen kann, wenn man über unerklärliche Dinge nachdenkt, sondern ob man es soll. Und betrachten wir es aus dieser Sicht, können wir pro und contra aufzählen und einen Entscheid fällen. Es ist dann egal, ob ‹Gott› existiert(33).

Untere Schranke Gottes

Um uns dem Gedanken ‹Gott› zu nähern, gehen wir pragmatisch vor. Welche Phänomene beschreiben wir als von Gott kommend oder als Gott. Dann werden wir diese Sammlung als ein grosses Ganzes betrachten und schauen, ob das eine stabile Idee ist, die uns befähigt oder behindert. Wir sammeln jetzt also solche Phänomene.

Gott ist etwas Ähnliches wie das Bewusstsein. Eine Stimme in uns; zu der wir sprechen können. Ich halte es für eine legitime Forschungsfrage diese innere Stimme wissenschaftlich zu untersuchen und zu versuchen den Charakter Gottes unter unterschiedlichen Glaubensgerüsten zu beschreiben. Diese Stimme in uns ist ein interessantes Phänomen. Und kann vielleicht (vielleicht ist es jedoch zu komplex) in der Zukunft von Neurologen erklärt werden. Aber trotzdem bleibt die Stimme bedeutungsvoll für uns. Und es ist plausibel zu behaupten, diese Stimme sei unter Umständen die von Gott.

Gott ist aber ebenfalls die Quelle der Inspiration. Jede schaffende Person weiss, Inspiration kann nicht produziert werden. Früher bezeichnete man es mit weiblichen Göttinnen den Musen, die jemanden besuchen oder eben nicht. Die Inspiration schenkt uns gute oder zumindest interessante Ideen, die wir nicht selbst produzieren können. Wir sind auf die Gnade Gottes beziehungsweise der Musen angewiesen.

Gott ist aber auch der Dirigent des Universums. Wenn sich Dinge fügen und aus dem chaotischen ein Ganzes wird so sehen wir darin eine Absicht, die wir Gott zuschreiben können. Dies ist auch der Fall, wenn sich die schlechten Dinge akkumulieren. Je nach Gottesbild bedarf es dann einem zweiten Gott. Dem Gegenspieler.

Gott ist auch der Adressat für Dankbarkeit und Bitten. Wenn wir uns konfrontiert sehen mit Erlebnissen, denen wir eine Bedeutung zumessen, dann ist es natürlich und gesund diesen Dialogisch zu begegnen. So wollen wir den Dirigenten um Trost oder Heilung bitten, wenn wir ein Leiden haben. Oder unserer Dankbarkeit Ausdruck verleihen, wenn sich Dinge fügen.

Dies war keine abschliessende Aufzählung der Effekte, die wir mit dem Begriff Gott einfangen können. Was jedoch dabei klar wird. Gott ist kein Ding ähnlich einem physikalischen Tisch. Daher sind die Diskussionen über ihn schwierig zu führen. Zusammengefasst kann Gott beschrieben werden als das ‹Gute›, das ‹Wahre›, zu dem wir aber einen persönlichen Bezug haben durch die Selbstgespräche oder dem Ausdruck unserer Dankbarkeit.

Ich versuche hier die Leser aufmerksam zu machen auf alternative Weltanschauungen. Und das Universum bestimmt schlussendlich, welche Sicht überleben darf und welche nicht. Der eigene Stolz oder Schlauheit, die behaupten: «Die sind so dumm, um an einen eingreifenden Gott zu glauben.» sind nämlich reine Arroganz. Es ist denkbar, dass die Komplexitätsreduktion ‹Gott› mächtig und nützlich ist. Und die Evidenz für das Aussterben solcher Ideen ist nicht gegeben.

Wahrheit und Gott

Ich reflektierte bereits über die Wahrheit. Ich sagte, dass sich an der Wahrheit ausrichten eine riesige Macht mit sich bringt. Und wenn Gott nicht existiert und der Glaube an diesen die Menschen in ihrer Befähigung einschränkt, dann wird es auch mit der Zeit wahrscheinlich aussterben. Wenn es jedoch eine nützliche Komplexitätsreduktion ist, dann wird es sogar die ‹Wahrheit› überdauern. Denn eine nicht anwendbare Wahrheit wird bei weitem von einer praktikablen Lüge in den Schatten gestellt.

Was ich nicht gesagt habe

Vielleicht bin ich paranoid oder die Stimme meines inneren Kritikers ist zu stark, doch ich sehe es als nötig dies hier als Einschub und Abschluss dieses Gedankens zu schreiben. Ich höre schon, dass einige sagen: «Jetzt kann man ja alles glauben.» Die Religiösen sagen: «Die Logik ist ja sowieso beschränkt und Gott ist höher als wir alle. Ihr nehmt eure ‹Wahrheiten› viel zu ernst.» Das habe ich aber definitiv nicht gesagt. Ich habe meine Kritik an der Logik, am menschlichen Verstand und allgemein unseren Limitierungen präzise formuliert und nicht ein religiöses bla bla daraus gemacht. Meine Kritik ist konkret und auch beschränkt. Ich bin mir den Möglichkeiten wie auch den Grenzen dieser erwähnten Bereiche bewusst und akzeptiere keine voreiligen, falsch überlegten und von der eigenen Überzeugung durchtränkten Argumente. Ich verlange sowohl von Religiösen als auch von allen anderen, präzises Denken mit der andauernden Vergegenwärtigung der eigenen Limitierungen. Wir müssen unsere Limitierungen ernst nehmen, aber das erlaubt nun nicht alles zu glauben. Es erlaubt Faustregeln, die sich aber bewähren müssen. Sie müssen zwar nicht logisch korrekt sein, aber sie müssen dem Zahn der Zeit standhalten. Dies ist ein anderes Kriterium, das vielleicht sogar schwieriger ist zu beurteilen als das logische Kriterium, doch im Gegensatz zur Logik, wird es sich herausstellen, was am Ende Bestand hat und was nicht. Es benötigt nicht einen physikalisch unmöglichen Supercomputer, sondern nur Zeit.

Die Validität unterschiedlicher Komplexitätsreduktionen

Als ich diese Gedanken durchgedacht und verdaut habe, wollte ich mich fragen, ob ich nicht ein von Nietzsche kritisierter Philosoph, bin. Nietzsche wirft den Philosophen vor, sie suchen nur intensiv und mit Tricks nach Wegen, das zu zeigen, was sie sowieso schon glauben. Und keiner sei in der Lage, Wege ausserhalb des eigenen Wohlfühlbereichs zu beschreiten. Diesen Vorwurf kann ich deutlich von mir weisen. Ich plädiere zwar für das Verwenden des Begriffs ‹Gott›, aber gerade, weil er eine Komplexitätsreduktion ist. Ich halte es für eine faktisch falsche, aber nützliche Denkweise. Dies gefällt den Christen nicht, da ich es als falsch bezeichne und den Atheisten nicht, da ich es als nützlich bezeichne und dem Atheismus vorziehe. Dieselbe Zwei-Geteiltheit verspüre ich auch in mir und kann daher überzeugt sagen: Ich erfinde nicht eine Rechtfertigung für das, was ich sowieso schon glaube und ringe täglich mit diesen Gedanken.

Jetzt aber zur Analyse, welche Komplexitätsreduktionen erstrebenswert sind. Wir sind jetzt schon so tief drin, dass wir nicht mehr die Frage nach ‹richtig› und ‹falsch› oder nach ‹gut› und ‹böse› stellen, sondern nach: ‹stabil› oder ‹instabil›. Welche Vereinfachungen sind ‹stabil›? So formuliert, ist die Antwort recht offensichtlich. Natürlich unterschiedliche. Die Wahrheit ist nur so wichtig, weil sie äusserst stabil ist. Und ‹gut› und ‹schlecht› ebenfalls. Sie scheinen zwar subjektiv und unsachlich, doch sind sie über die Geschichte keineswegs im grösseren Stil wandelbar.

Ein Einfaches, aber zum Anfang nicht schlechtes Mass für die Stabilität von Komplexitätsreduktionen ist die Dauer, über die sie bestand, hatten bis jetzt (und noch immer existieren). Geisterglaube ist wahrscheinlich die älteste Form der religiösen Komplexitätsreduktion, jedoch hat er es nur beschränkt in die heutige Zeit geschafft. Er prägte jede erdenkliche religiöse Richtung, aber ist es wohl nicht mehr die zu präferierende Abstraktion in der heutigen Zeit. Und da moderne Glaubensrichtungen auf solchen Ideen aufbauen und sie umdeuten, verlieren wir nicht dieses wertvolle Muster des Geisterglaubens. Sondern wir betten es in eine neue Geschichte ein. Wir versuchen, die Schätze der Vorfahren zu retten in einem neuen Gedankengebäude. Wir pflanzen um mit dem Risiko, dass relevante Dinge absterben.

Auf der anderen Seite sind die 3 monotheistischen Weltreligionen und die philosophisch flexiblen östlichen Religionen. Die wissenschaftliche Denkweise der Aufklärung oder die Werte von ‹Menschenrechten› und ‹Demokratie› als Grundlage der Wertesysteme sind weder alt noch scheinen sie unumstösslich. Müsste ich eine Wette eingehen, was zuerst ausstirbt: Das Christentum oder die Menschenrechte, würde ich jedes Mal, ohne zu zögern, die Menschenrechte wählen. Es ist offensichtlich, dass die dominierenden religiösen Denkweisen äusserst stabil sind.

Das richtige Mass wäre jedoch, die reale Abschätzung der Stabilität und nicht das Bauchgefühl verbunden mit einer historischen Gewichtung. Denn so gedacht, hätte es nie eine Veränderung geben können. Denn man hätte immer gesagt: «Das, was jetzt existiert, ist gut, weil es stabil ist (und sich bewährt hat). Und darum wäre es falsch, es zu ändern.» Es gibt jedoch Veränderungen, die disruptiv sind. Die Demokratie war genau das. Oder besser gesagt die Aufklärung. Sie war imstande Jahrtausend-alte Praktiken mit Königen und Päpsten abzuschaffen oder zumindest fast ‹irrelevant› zu machen. Doch nur weil sie das schafft, heisst das nicht, dass sie selbst der neue Massstab ist. Vielleicht ist es ein Zerstörer der alten Systeme und nach deren Untergang werden unterschiedliche Systeme sich ausbreiten.

Da ich schon so positiv über die Religion spreche, muss ich hier zumindest in diesem Rahmen den Atheismus behandeln. Offensichtlich werde ich in dieser kurzen Form weder dem einen noch dem anderen Ansatz gerecht. Doch ich möchte zumindest gerechtfertigte Gedankenanstösse liefern. Der Atheismus ist im Gegensatz zum Theismus ein neues Phänomen. Und ganz ähnlich wie bei der Demokratie oder den Menschenrechten, ist es ein so junges Muster, dass es nicht möglich ist geschichtlich zu beurteilen, ob es stabil ist. Daher müssen wir uns Mühe geben und es analysieren. Welche Faktoren stabilisieren Religionen und hat der Atheismus dieselben oder Alternativen? Um hier nicht eine komplette Analyse zu liefern, seien hier ein paar Komponenten erwähnt.

Die Religion liefert ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Der Atheismus nur in der Präsenz von Religion. Und wenn man keine täglichen Berührungspunkte mehr hat zur Religion, wird wohl das Zusammengehörigkeitsgefühl verschwinden. Anders gesagt, ist das Zusammengehören auf einer Abgrenzung aufgebaut. Einer Aussage: «Wir sind nicht jenes.» Wenn ‹jenes› aber weg ist, sind sie nichts mehr. Daher muss sich der Atheismus immer zu so etwas wie dem Humanismus entwickeln. Diese hat eine positive Identifikation: «Wir sind jene, die, dies oder jenes ‹glauben› oder für wichtig erachten.» Ob diese Identität, der religiösen ebenbürtig ist, wage ich zwar zu bezweifeln. Aber es ist ein Anfang. Im Gegensatz dazu haben Religionen eine ritualisierte Zugehörigkeit. Sie gehen jede Woche an einen gemeinsamen Ort und hören sich eine Predigt an. Der Atheismus oder Humanismus muss aus meiner Sicht diese Institution auch einführen, um mehr als nur eine ansteckende Idee zu sein.

Ein anderer Punkt, den sie zu lösen haben, ist die, des langsamen Fortschrittes. Damit meine ich nicht, dass der Atheismus zu langsam fortschreitet, sondern gerade zu schnell. Wie bei unseren Überlegungen über die Logik bemerkt, destabilisieren neue Erkenntnisse das sicher geglaubte immens. Damit etwas Verbindendes bleibt, muss etwas dienen, das nicht über den Haufen geworfen wird. Ein Einwand könnte hier sein: «Es verändert sich ja nichts. Wir werden nur Fehler im Denken los. Die Realität bleibt dieselbe.» Dies mag sein, doch sind grosse Ideen im Umbruch in der Wissenschaft. Ob Raum und Zeit absolut sind: Also ob es Sinn macht über einen Ort zu sprechen ohne, dass etwas existiert oder ob es immer Dinge braucht, damit der Ort auch existiert. Oder ob wir einen freien Willen haben. Oder der Wert von ‹Bewusstsein›. Oder noch viel mehr. Wir versuchen näher an die Wahrheit zu kommen, aber der Atheist muss ein Mittel finden gegen die Identitätskrisen, die er auslöst durch solche Paradigmenwechsel. Unser Gehirn funktioniert nun mal nicht wie ein Computer: ‹neue Software, neu gedacht› Es verursacht Schmerz und braucht Zeit, sich neu in einer Welt ohne freien Willen zurechtzufinden. Und der aufklärerische Geist mit dem modernen Unternehmertum verursacht immer mehr solche Änderung des Denkens und unser ‹selbst›-Verständnis wandelt sich unstetig.

Hat der Atheismus also eine Zukunft? Aus meiner Sicht klar ja. Er ist das Disruptivste, was dem Theismus seit langem begegnet ist und hat die Kraft zu verändern. Doch glaube ich, haben sie noch einige Probleme zu lösen. Wahrscheinlich nicht unlösbar, aber doch schwierig. Denn für mich klingen Lösungen wie: «Dogmatische Grundwerte» oder «Ritualisierte Gemeinschaft» schon sehr nach Religion, aber genau das brauchen sie. Ich behaupte nicht, dass sie es nicht schaffen können, doch frage ich mich: Wie gross der Unterschied von einem Humanismus, der über Jahrtausende stabil sein kann, zu einer modernen Religion sein wird.

Ich halte es hier für nötig und angebracht, auch den Theismus zu kritisieren. Wir werden später noch genauer auf die Gottesfrage eingehen, aber ich halte es für unfair dem Atheismus gegenüber, es bei diesen obigen Gedanken hier zu belassen. Die Schwächen des Atheismus sind die Stärken des Theismus und umgekehrt. Der Gottesglaube hat sich über lange Zeit bewährt und auch gezeigt, was für eine immense Kraft er für eine Bevölkerung oder auch Individuum sein kann. Doch er hat auch fatale blinde Flecken. Denn wenn das Irrationale gerade die Stärke vom Theismus ist, so sieht der Ratio immer wieder Probleme. Der Theismus hat starke und auch bewährte Dogmen. Sie geben Stabilität. Doch ist seine Herausforderung, Neuem zu begegnen. Wie integriert man neue Ideen und Situationen in die Tradition? Diese Herausforderung ist mit ein Grund, warum im Westen die Religiosität abnahm in den letzten 200 Jahren. Man forderte den Glauben mit dem Verstand heraus. Man befand ihn für irrational(34). Und so erlebte ich auch genau diese Kritik als äusserst überzeugend in meinem eigenen Glaubensleben. Die Religionen müssen also einen Weg finden, mit dem Rationalen umzugehen, ohne die eigenen Stärken zu untergraben. Denn ich sage wohl, dass die Logik chaotisch und nicht stabil ist. So ist sie aber auch unvorstellbar potent. Ob es einen solchen guten Weg gibt, wird sich herausstellen. Aber ich glaube, dass die Sichtweise von diesem Buch ein Schritt in diese Richtung sein kann. Doch genug Worte über Gott und nicht-Gott verloren. Gehen wir zurück zur Analyse von Komplexitätsreduktionen. Was sind sie und was für Eigenschaften müssen sie innehaben.

Eigenschaften von guten Komplexitätsreduktionen

Ich versuchte sehr präzise über die Limitierungen des Menschen zu schreiben und wünschte, ich könnte dies in einem ähnlichen Sinne bei Komplexitätsreduktionen tun. Doch leider sind sie vom Aufbau her ‹falsch› beziehungsweise vereinfacht. Man kann nicht ohne weiteres mit der Logik falsche Dinge analysieren. Doch zufälligerweise haben wir uns ein anderes Werkzeug erarbeitet. Die Stabilität zu beurteilen, scheint immerhin denkbar zu sein. Wir werden jetzt einige Eigenschaften erarbeiten, die eine stabile Komplexitätsreduktion haben muss, um zu bestehen. Als Erstes können wir unsere Erkenntnis aus der Analyse der Muster übernehmen. Denn eine Komplexitätsreduktion ist auch nur ein Muster. Sie muss sich vermehren. Sie muss sich anpassen. Sie muss stabil sein.

Ein Zentrum

Eine Komplexitätsreduktion ist ein Muster wie jedes andere und muss daher schon zumindest die Eigenschaften eines stabilen Musters haben. Damit man es als Muster wahrnehmen kann und wir überhaupt darüber sprechen können, benötigt es eine zeitliche Kontinuität. Ein Element, das (auch wenn es sich verändert) das Muster von heute mit dem Muster von morgen verbindet. Ich würde es vorziehen hier nicht konkreter zu werden, denn jedes Beispiel schränkt die Gedanken wieder ein. Aber doch ist es wohl nötig, eines zu erwähnen:

Ein Beispiel ist Gott im Christentum. Analysiert man nur mal die Bibel, merkt man, dass die Autoren dieser Texte unterschiedliche Auffassungen von Gott hatten. Und diese Tatsache änderte sich nicht nach der Fertigstellung der Bibel. Wenn man die heutigen Überlegungen von (nicht nur liberalen) Theologen betrachtet, dann fällt auf, dass man Gott heute anders denkt als früher. Aber so war es schon immer. Ohne hier die Geschichte des Begriffes ‹Gott› in der christlichen Tradition wissenschaftlich zu durchleuchten, stelle ich das als Behauptung hin. Eine Behauptung, die aber doch recht offensichtlich ist. Gott wurde immer wieder unterschiedlich gedacht. Und dieser Gott ist dann aber ein wichtiger Teil der Kontinuität des Christentums. Und wie so oft ist hier klar, dass es für diese Erkenntnis irrelevant ist, ob Gott existiert.

Nicht chaotisch

Chaos macht Dinge unvorhersehbar. Und wenn dieses zentrale Element der Komplexitätsreduktion sich chaotisch verhält, dann ist es nicht stabil; per Definition. Das Chaos muss also in Grenzen gehalten werden. Wo sich diese Grenze befindet, erschliesst sich mir nicht genau. Einige Hypothesen wage ich aber in den Raum zu stellen. Solange es um uns Menschen geht und um Muster, die von uns erkannt werden; bzw. um solche Komplexitätsreduktionen, dann darf sich ihr Zentrum nicht uneingeschränkt verändern. Der Mensch ist eingeschränkt in seiner Denk-Kapazität und auch Intelligenz. Die grössten Denker unserer Geschichte hatten oft Mühe, auf Schlüsse zu kommen, die ihrer Erziehung widersprach. Es ist also naheliegend, dass die Erziehbarkeit einer solchen Komplexitätsreduktion notwendig oder zumindest äusserst nützlich ist. Ist sie jedoch erziehbar, dann kann sie sich von einer Generation zur nächsten nicht zu stark verändern. Denn, das, was die Eltern den Kindern erziehen, muss als Same genügen, um das Muster erneut hervorzubringen. Und wenn sich bis zu diesem Zeitpunkt alles so stark verändert hat, dass die Lehre der Eltern falsch ist, dann ist dieser Verbreitungsmechanismus unbrauchbar.

Umdeutbar

Damit Ideen Regierungsumbrüche, Technologien und Zeitalter überstehen, müssen sie in jeder Generation neu erschlossen werden. Die Worte, die früher geglaubt wurden, können heute nicht mehr geglaubt werden. Dies sagt aber nicht, dass das fragliche Zentrum der Komplexitätsreduktion nicht glaubwürdig ist, sondern nur, dass sich die Zeit gewandelt hat. Früher dachte man in Geschichten und heute in Fakten. Wir müssen also beispielsweise die Weisheiten unserer Vorfahren, die in Geschichten formuliert wurden, in Fakten umwandeln. Zu bedenken ist, dass die Ansammlung aller Fakten, die in einer Geschichte verborgen liegen, nicht die Geschichte als Ganzes erfassen und ersetzt. Wir verlieren immer einen Teil in der Übersetzung. Dieser verlorene Teil sollte immer gesucht werden. Wir können hier aber auch mal unsere faktenorientierte Welt mit der Geschichtenwelt vergleichen. Denn es sind beides Komplexitätsreduktionen. Sie erschliessen schwierige und ansonsten unzugängliche Themen. Wenn wir beides als Komplexitätsreduktion betrachten, erschliesst sich offensichtlich und mit aller Brutalität die Spannung von Religion und Wissenschaft. «Gott ist tot.» Dies ist wohl wahr, in einer Welt der Fakten. Doch wir dürfen nicht vergessen, was diese Komplexitätsreduktion erreicht hat. Dieses ganze Buch ist ein Versuch, Werte aus Fakten zu erschliessen. Die Welt der Religion und der Geschichten schafft das besser und direkter, denn es operiert an unserem Verstand und unseren Gefühlen und nicht an Naturgesetzen. Es fällt ihr also äusserst leicht, faszinierend zu sein, denn genau darüber sprechen Geschichten: Über das ergriffen sein, über starke Gefühle über Tugend über List, aber nicht direkt über Naturgesetze. Naturgesetze werden anerkannt, aber als ein leidiges Beiwerk betrachtet. Aus heutiger Sicht sieht man die Naturgesetze als das Zentrum des Verstehens und sieht Gefühle, Bewusstsein und Geisteswissenschaften als ein leidiges Beiwerk. Doch der moderne Mensch muss sich bewusstwerden, dass er kein Naturgesetz ist, sondern ein Bewusstsein. Das für uns persönlich grundlegende Phänomen ist das Bewusstsein und selbst wenn wir es mal durch Gesetze erklären könnten, wären wir dennoch ein Bewusstsein. Es sind also zwei fundamental unterschiedliche Komplexitätsreduktionen mit völlig unterschiedlichen Stärken und Schwächen. Es bleibt somit unsere Aufgabe, die Stärken der alten Denkweise zu retten, ansonsten wird sich die primitive blutrünstige Menschheitsgeschichte ewig, aber technologisch raffinierter und tödlicher, wiederholen. Meine Hypothese wäre, um eine Gesellschaft nachhaltig und mit Kontinuität zu bauen benötigt es nicht nur Fakten, sondern auch unumstössliche Werte und diese Werte sind nicht aus Fakten erschliessbar, sondern kommen aus bewährten Komplexitätsreduktionen und diese sind faktisch falsch, aber nützlich und gut. Ich halte es für äusserst fraglich, ob es die nächsten Generationen schaffen einen solchen Schritt zu tun.

Relevant

Es gibt Gedankengebäude, die ziemlich präzise Voraussagen machen können von gewissen Prozessen. So ist die Quantenphysik zwar mächtig. Die philosophische Mächtigkeit von ihr ist jedoch kaum vorhanden. Dadurch wird sie wohl ein Instrument der Physik bleiben und wenn unsere Gesellschaft nicht mehr an den Grenzen der Physik interessiert ist, schwindet auch ihre Relevanz. Die philosophische Botschaft, die die Quantenphysik mitliefert, ist die der Probabilistik: Also der Tatsache, dass gewisse Prozesse wahrhaft zufällig und unvorhersehbar sind. Daraus entsteht eine Philosophie, die die ganze Welt probabilistisch betrachtet und man nun die Dinge tun sollen, die die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit haben. Aber das ist ein falscher Schluss. Die Quanteneffekte werden fast alle irrelevant klein, sodass im grossen Massstab (im Massstab von uns Menschen) nur noch Einstein wichtig ist oder sogar Newton. Das, was diese Menschen meinen ist, dass chaotische Systeme sich oft statistisch verhalten. Dies ist aber die Lektion der Statistik und Chaostheorie und nicht der Quantenphysik. Die Weltanschauung, die aus der Quantenphysik gewonnen wurde, war also per Zufall korrekt, doch bei der nächsten Lektion ist sie das vielleicht nicht.

Sei es drum. Komplexitätsreduktionen müssen relevant sein. Sie müssen über Dinge sprechen, die ‹zeitlos› sind. Am besten etwas, was inhärent in unserer Psyche verankert ist. Verlustangst, Todesangst, Sinnfragen, Gerechtigkeitsfragen, Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit. Wenn sie diese Fragen nahbar macht, wird sie relevant bleiben. Analytisch gesehen, kann man hier auch alternative Dinge aufzählen, aber diese hier sind historisch gesehen einige der wichtigen Punkte. Diese Fragen blieben über die Zeit stabil und relevant und aus den Erläuterungen über die menschlichen Limitierungen ist die Prognose, dass sie relevant und ungelöst bleiben, auch plausibel. Ein möglicher Einwand ist, dass es die falschen Fragen sind, die hier gelöst werden müssen von einer solchen Komplexitätsreduktion. Doch glaube ich gezeigt zu haben, dass für uns Menschen psychische Phänomene die Phänomene mit der höchsten Wichtigkeit sind. Denn wir haben auf nichts sonst Zugriff als auf diese Phänomene(35). Und die Grundlagen worauf dieses aufbauen werden wohl für immer relevant bleiben. Somit muss sich mindestens eine Komplexitätsreduktion in angemessenem Ausmass mit diesen Fragen beschäftigen.

Parallelexistenz

In der Gesellschaft

Diese Denkweisen; Brillen; Weltanschauungen oder Komplexitätsreduktionen haben oft einen exklusiven Charakter. Die Christen sagen: «Es führt kein Weg zu Gott ausser durch Christus.». Aber sie sind nicht die einzigen. Alle bieten eine Brille, durch die man die Welt betrachten kann. Physiker sagen: «Die Brille, die einem erlaubt, genaue Voraussagen zu treffen, ist besser.» Andere sagen: «Die Brille, die mir Hoffnung gibt, wo es keinen Grund zu hoffen gibt, ist besser.» Andere sagen: «Es ist unethisch, faktische Unwahrheiten zu verbreiten.» Doch sie alle helfen dem Menschen die Welt, um ihn herum zu ergreifen. Fassbar zu machen. Damit er nicht zugrunde geht an deren beängstigenden Komplexität. Doch oftmals widersprechen sie sich. Dies war schon vor tausenden Jahren ein Problem, jedoch äusserte es sich auf eine andere Weise. Nämlich wenn zwei Nationen einen anderen Gott hatten, dann haben sie gekämpft und danach hat ein ‹Gott› gewonnen und der andere ging unter oder wurde dem stärkeren untergeordnet. Gerade das Unterordnen der Götter hat sich als eine besonders attraktive Denkweise herausgestellt. Zeus war am Ende der Göttervater über die meisten Götter. Wenn man sich nicht genauer damit beschäftigt, dann glaubt man, die Griechen hätten alle diese Götter erfunden, doch das ist nicht so. Götter, die als sinnvoll erachtet wurden, wurden von umliegenden Völker übernommen. So haben Zeus und Poseidon eine unterschiedliche Herkunft. Beide waren mal die Hauptgötter eines Volkes. Jedoch wurden sie danach in demselben mythologischen Geschichtsstrang gedacht. Poseidon wurde der Bruder von Zeus. Dieser Polytheismus bietet viel für den Zusammenhalt in einem Imperium. In einem Reich, in dem es so unterschiedliche Menschen und Völker gibt, dass es nicht praktikabel ist, allen zu sagen: «Dein Gott gibt es nicht.» Man muss nur sagen: «Unser Gott ist offensichtlich deinem überlegen.»(36)

Heute ist das schwieriger. Wir haben gleichzeitig unterschiedliche Ansätze, die sich widersprechen in unserer Gesellschaft. Unser Ansatz ist es herauszufinden, was von jedem Ansatz gut und wahr und was es nicht ist. Und wie können wir das Gute und Wahre verbinden? Hier ist der Ansatz der Hierarchie interessant. Er wird oft verwendet, aber nicht so benannt. Aus Sicht des Staates steht z. B. unsere Verfassung über Gott. Sie sagen zwar, dass Gott zu höchst ist, aber es wurde wohl noch nie erfolgreich vor Gericht argumentiert: «Ja, es ist zwar illegal, aber aus Gottes Sicht tat ich das Richtige.» Für einen Staat steht das Gesetz und die Verfassung pragmatisch gesehen über Gott. Für mich persönlich hingegen ist es genau umgedreht. Wenn es einen Konflikt zwischen den Regeln des Staates und meinem Gottesverständnis gibt, so versuche ich mich immer an Gott zu halten. Dies führt zu Spannungen. Nicht, solange sich Gott und der Staat einig sind, aber sonst schon. Also müssen die Denkweisen gegeneinander gewertet und in Beziehung gesetzt werden und auch in eine Reihenfolge oder Hierarchie. So können wir mehrere sich widersprechende Ethiken bewirten. So verstosse ich zwar selten gegen Gesetze aus meinem Gottesverständnis heraus, aber wenn ich sie meistens befolge, werden sie dennoch die Zeit überdauern und auch eine Existenzberechtigung haben.

In einem Selbst

Diese Wertung ist genau das, was ein Schwarz-weiss-Denken verhindern kann. Anstatt zu sagen: «Meines ist richtig und deines falsch.» sagt man: «Mir ist dieses wichtiger als jenes.» Die Diskussion über Wichtigkeit ist dann eine ganz andere als die um Wahrheit. Man darf diese Diskussionen um Wahrheit im Rahmen der Philosophie und Wissenschaft führen, aber sie ist nicht allein entscheidend als Argument für Glaubwürdigkeit und Relevanz einer Denkweise.

Ich argumentiere stark für die Bestärkung von Widerspruchsdenken. Also Dinge in sein Weltbild zu integrieren, die sich widersprechen. Also eine Schöpfung und eine Evolution. Und ich meine damit nicht, dass man Wege sucht, diese zu vereinen. Sondern man beide hat und für sich nimmt. Und ich meine auch nicht, die Dinge aus der einen Theorie zu streichen, weil sie im Widerspruch stehen. Ich meine, Widersprüche aushalten. Und ich verwässere damit nicht den Wert der Logik, dies würde ich erst, wenn ich behaupte, der Widerspruch bestünde nicht, oder dass er egal ist. Aber das sage ich genau nicht. Ich bin nur nicht bereit, das eine dem anderen zu opfern. Es sind zwei starke Muster. Sie sind fähig, die Zeit zu überdauern. Bei der Schöpfung können wir uns sicher sein; bei der Evolution wahrscheinlich auch. Ein Mensch, der diese Widersprüche aushält und für jede Situation die entsprechende Komplexitätsreduktion zur Hand hat, ist den anderen emotional und auch kognitive weit überlegen, denn er ist fähig wirklich neue Wege zu finden. Diese Person hat das richtige Werkzeug immer zur Hand und weiss es zu verwenden. Wirksamer zu leben, ist nicht möglich.

Hierarchie der Komplexitätsreduktionen

Es bedarf einiger Denkarbeit sich eine solche stabile Komplexitätsreduktion auszudenken. Meist bis immer entstehen sie von allein, beziehungsweise sind eine gesellschaftliche und nicht individuelle Errungenschaft. Kein Mensch erfindet Gott oder die Wissenschaft. Auch sind die Komplexitätsreduktionen immer nur für einen Teilbereich des Lebens nützlich und vorgesehen. Darum benötigen wir auch unterschiedliche Komplexitätsreduktionen. Aber Komplexitätsreduktionen zu bewerten ist schwierig und auch per Definition uns nur beschränkt möglich. Denn könnten wir die Komplexitätsreduktion mit etwas Optimalen vergleichen, so könnten wir genau dieses Optimale als Denkweise nehmen. Aber Komplexitätsreduktionen müssen wir genau dann verwenden, wenn uns dieses Optimale nicht zur Verfügung steht. Was wegen unserer Limitierungen in jeder Situation der Fall ist.

Es gibt aber Komplexitätsreduktionen unterschiedlicher Ordnung. So gibt es wie im griechischen Pantheon einen höchsten Gott. Dieser Göttervater ist vielleicht das wissenschaftlich-kritische Denken oder das Christentum oder vielleicht auch der Egoismus. Wer schon Erfahrungen mit all diesen gemacht hat, merkt schnell: Da gibt es Spannungen. So unterschiedliche Ansätze, um dieselbe Welt zu verstehen. Doch es ist keineswegs offensichtlich, welches die ‹richtige› ist. Man mag hingerissen sein zu sagen, das wissenschaftlich-kritische Denken ist den anderen Ansätzen überlegen. Doch dies ist etwas kurz gedacht. Wohl wahr, dass es den Wirt technologisch über-potent macht. Doch gibt es ein paar Probleme bei dieser Ansicht. Zum einen vergisst sie, dass bis heute praktisch jede relevante Forschung aus Intuition gestartet wird und nicht aus Vernunft. Die Forscher haben eine ‹Ahnung›, wo das nächste Gebiet grossen Fortschritts sein könnte. Unsere künstliche Intelligenz-Forschung wäre nirgends, wenn es nicht visionäre Forscher gab, die glaubte etwas zu erreichen, ohne Evidenz dafür zu haben. So ist das vernünftige Denken allein nur gut im Umgang von bereits etablierten Tatsachen. Zusätzlich ist auch im Alltag nicht möglich, immer optimal zu entscheiden. Wir haben nicht die Ressourcen dafür. Darauf kann man erwidern: «Der Vernünftige sieht das genau auch ein und handelt dann seinen Limitierungen entsprechend.» Doch genau das ist ja die Kernaussage aus meinem Buch. Unsere Vernunft muss zum Schluss kommen, dass sie zu schwach ist und wir auf unbeweisbare Faustregeln zurückgreifen müssen. Die Vernunft muss immer schauen, ob wir jetzt völligen Blödsinn machen. Aber sie ist nicht in der Lage, einen signifikanten Bruchteil des Lebens zu überprüfen. Dazu kommt noch, dass, wie bereits erwähnt, uns psychische Zustände wertvoll sind und nicht materielle. So streben wir nach Glück und Sicherheit und nicht nach der Weltformel. Die Komplexitätsreduktion an der Spitze unserer Hierarchie sollte also äusserst potent bezüglich dieser Zustände sein. Sie sollte Hoffnung geben in ausweglosen Situationen. Sollte eine erwartungsvolle Haltung gegenüber der Welt erschaffen. Sollte Coping-Strategien liefern für Verlust und Leid. Sollte Quelle der Inspiration sein. Und viel mehr. Dies sind nicht absichtlich gewählte Beispiele, um das wissenschaftliche Denken kleinzureden, sondern das sind die Grundbausteine eines erfolgreichen psychischen Lebens und weil wir psychische Lebewesen sind, sind das auch die relevanten Dinge für unser Wohlbefinden.

Die Gottesfrage

Aus dem bisherigen Text könnte der Eindruck entstehen, dass ich bezüglich Atheismus wesentlich kritischer bin, als wenn es um Gott geht. Diesem Vorwurf widme ich mich unter anderem in diesem Abschnitt. Zuvor verglich ich Atheismus mit Theismus. Also Glaube an Gott, mit dem Glauben da sei kein Gott. Jetzt tauche ich tiefer in den Glauben an Gott ein. Wir werden auch da Dinge entdecken, die weder vereinbar sind mit den Standard-Interpretationen der Religionen noch mit dem Atheismus. Um mit der Gottesfrage zu starten, müssen wir aber zuerst unterschiedliche Dinge klären. Was verstehen wir unter dem Wort ‹Gott›? Was bedeutet «an Gott zu glauben?» Welche Eigenschaften hat bzw. könnte Gott haben? Und was heisst das für uns? Und es versteht sich von selbst, dass wir diese Fragen aus unserer evolutionären Perspektive angehen werden.

Die Idee Gott?

Wir sind als Erstes an der Idee ‹Gott› interessiert und nicht an Gott selbst. Gott hat selbst ein je nach dem grossen Einfluss auf die Idee Gott, doch das Einzige, was wir analysieren können, ist, die Idee Gott. So denke ich hier einige hypothetische Fälle durch. Alle enden in demselben Gedanken, nämlich, dass nur die Idee von Gott eine sinnvolle Betrachtungsweise ist.

Angenommen es gäbe keinen Gott, dann wäre es nichts als logisch, dass wir einzig die Idee von Gott genauer betrachten können. Wenn es den Gegenstand der Diskussion nicht gibt, so kann man nur noch über die Ideen sprechen, die wir haben. Die andere Annahme ist logischerweise das Gegenteil. Und mehr als diese zwei gibt es nicht. Vielleicht ist aber das Wort ‹Gott› nicht gut definiert und ist daher sinnlos über seine Existenz zu sprechen. Das wäre aber sogar egal, denn wir könnten schon rein sprachlich die Idee von ‹Gott› besprechen. Aber weiter im Text … es gibt einen Gott. Ich treffe zwei weitere Unterscheidungen: «Gott ist Teil des Richters» oder «Gott ist kein Teil des Richters».

Angenommen, Gott ist kein Teil des Richters. Also er hat keinen Einfluss auf das Bestehen von Mustern und im Speziellen von Ideen. Dieser Fall ist für uns Menschen ununterscheidbar von der Annahme, es gäbe keinen Gott. Es würde daraus folgen, dass wir keinen Anhaltspunkt hätten, ob unsere Idee von Gott zum tatsächlichen Gott selbst passt. Es bliebe uns aber auch nichts übrig, ausser die Idee zu analysieren.

Angenommen Gott hätte einen Einfluss auf unsere Ideen und im Speziellen über unsere Idee von Gott. Auch hier müssen wir wieder zwei Fälle unterscheiden. Entweder will Gott, dass wir eine korrekte Idee von ihm haben oder nicht(37). Jedoch egal was der Fall ist, es wird eher die Idee von Gott überleben, die dem Willen Gottes entspricht. Nochmals etwas tiefer gegraben und vor allem konkreter für die Gott-Gläubigen Leser:innen. Angenommen, ein traditionelles Bild von Gott sei korrekt: «Gott inspirierte die Bibel und sie spricht von Gott selbst.» und auch «Gott inspiriert auch heute noch. Und dies gerne im Gebet.» Wäre das korrekt, dann würde Gott zum Richter gehören, denn er beeinflusst unsere Ideenbildung direkt durch Inspiration oder indirekt durch überlieferte Inspiration. Es wären also die Frage interessant: Welche Ideen belohnt er? Also, welches Bild sollen wir von Gott haben? Man bemerkt schnell, dass es nichts Weiteres gibt. Wir können über nichts sprechen als unsere Wahrnehmung und unsere Ideen. Sei es, wenn wir über den Tisch vor uns sprechen oder über Gott. Egal ob vor uns ein Tisch ist oder ob es Gott gibt. Wir haben, so wie wir sind, keinen direkten Zugang zu den Dingen und haben ‹nur› die Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung (zu zweiterem gehören sozusagen die Ideen). Wir können also selbst im optimistischsten Fall, in dem Gott aktiv eingreifend existiert, nur über die Idee von Gott sprechen. Das Einzige, was sich ändert, ist, dass wenn wir den Willen Gottes nicht verstehen, nicht voraussagen können, welche Ideen welche Überlebenschancen haben. Aber ich hoffe, es wird klar: Es ist irrelevant, ob Gott existiert, wir können nur über die Idee von Gott nachdenken. Gläubige müssen andere Einflussfaktoren miteinbeziehen. Namentlich der Einflussfaktor ‹Gott›.

Wer ist Gott?

Wer ist also Gott? Da wir nur über die Idee Gott sprechen können, ist dies eine empirische Frage: Was glauben die Menschen, was Gott ist? Oder genereller, was für Ideen von Gott gibt es und welche ist am stabilsten? So sehr ich den Glaubenden einen Vertrauensvorschuss gab, so sehr muss ich diesen hier wieder relativieren. Es ist evident, dass auch Glaube bzw. die Gottesidee stark, wenn nicht hauptsächlich durch Erziehung geprägt wurde bzw. durch die religiösen Texte, zu denen wir Zugang haben. Die meisten Gläubigen sind gläubig, weil die Eltern gläubig sind. Es müssen aber auch die rein ‹weltlichen› Argumente für den Glauben funktionieren. Beziehungsweise, dass der Glaube bis heute überlebt hat, liegt wesentlich daran, dass es die ‹weltlichen› Mechanismen meisterhaft nutzte. Also nicht, weil Gott es persönlich verursacht, dass Menschen an ihn/sie glauben, sondern, weil Religion ein Meister ist, persönliche und beeindruckende Erlebnisse zu kreieren, aber auch, weil sie in frühem Alter einfach zu verstehen ist.

Ich selbst muss hier meine Position in dieser Geschichte offenlegen, da es ansonsten unehrlich wirkt. Ich bin Teil einer spirituellen Spielart des christlichen Glaubens. In unserer Gemeinschaft legt man hohen Wert darauf, ‹Gott zu erleben›. Also ein spirituelles Erlebnis zu haben. Damit ich hier weiterfahren kann, bringe ich dies in einen Rahmen, in dem Glaubende und Nicht-Glaubende ohne Gewissensbisse folgen können. So behandle ich dieses ‹Gott erfahren› für die nicht Gläubigen als einen psychologischen Effekt. Also wenn wir die richtigen Gedanken haben und die richtige Musik hören und uns richtig ausrichten und wir Glück haben, passiert dieser Effekt. Diesem Effekt messen einige Christen (mich eingeschlossen) einen bedeutsamen Wert bei. Wir schreiben diese Effekte direkt Gott zu. Und, um das präzise zu formulieren: Ein solches Erleben findet im Kopf statt. Es ist tatsächlich ein psychologischer Effekt, auch wenn er direkt von Gott ausgelöst wurde. Jede Vision, jeder Traum, jede Nahtoderfahrung ist zumindest auch ein psychologischer Effekt. Also egal was deine Überzeugung ist, die spirituelle Erfahrung ist wesentlich und ein prägender Teil der Gottesidee.

Wer oder was ist also Gott? Aus meiner beschränkten religiösen Erfahrung ist Gott erfahrbar im Gebet, in der Meditation und auch in Gemeinschaften. Das Gottesbild prägte sich bei mir über die Erziehung, über meine schulische Bildung, über mein Studium der Bibel, über christliche Lehrer, die ich hatte und auch wesentlich über Erfahrungen und Erfahrungsberichte anderer Glaubenden. Alle diese Quellen ergaben ein in zu grossen Teilen kohärentes Bild. Und wenn es das nicht war, so investierte ich Gehirnschmalz, um es so umzugestalten. So scheint sich die Idee, Gott zu clustern. Beziehungsweise ist die Idee von Gott konvergent und nicht divergent. Gemeinschaften können sich auf eine Idee einigen, wenn sie auch in einigen Details unterschiedlicher Meinung sind. Und so konvergiert sogar die Idee von Gott religionsübergreifend. Alle ‹Nathan der Weise› dieser Welt basieren ihre Lehren auf genau dieser Annahme. Die Idee von Gott ist stabil und explodieren nicht in alle Richtungen. Dies ist bemerkenswert, wenn man annimmt, es gäbe keinen Gott. Dann ist es nur eine Idee, die in den Menschen ist, frei von einer Bindung zur Realität und sie driftet nicht dauernd ab in alle Richtungen, sondern ist sich in vielem über Jahrtausende einig. Wie könnte man das erklären? Die einfachste Erklärung wäre die Existenz Gottes, aber auch sonst ist es gut denkbar. Denn wir sagten, dass Gott als psychologischer Effekt wahrgenommen werden kann. Und dieser Effekt, den wir Gott zuschreiben, ist nicht willkürlich. Er ist nicht, was wir selbst wollen, sondern hat einen bestimmten Charakter. Und wenn unsere Gottesidee zu stark vom Erlebnis der ‹religiösen Erfülltheit› oder der ‹Inspiration› abweicht, dann verliert sie eine Verankerung in der Realität.

Die Idee von Gott ist aber so wage, dass sie nicht so simpel angegriffen werden kann. Sie kann vielmehr gefüllt werden mit so allerhand. Effekte werden gerne Gott zugeschrieben. So zum Beispiel das Gewissen oder auch Gedankenblitze oder eine unerklärliche Heilung eines Leidens oder die Quelle der Inspiration oder der welcher die Naturgesetze zusammenhält. Ich könnte hier noch weiter aufzählen, aber was hier passiert ist nicht so kompliziert. Man hat ein Gottesbild und dieses beinhaltet Sätze wie: «Gott liebt mich.» Aus solchen Sätzen leitet man ab, dass Dinge, die gut für einen sind, von Gott kommen. Daher danken Gläubige Gott vor dem Essen, obwohl sie es selbst gekauft haben. Und da die Idee stabil ist, verirrt sich nicht zu schnell eine unstimmige Idee in den Komplex. Also wenn etwas Schlechtes passiert, dann will man nicht sagen: «Gott wollte das so.» Denn das würde irgendwie dem Bild widersprechen. Spätestens wenn man sagen würde, Gott sei ein Sadist, dann würden einige vehement widersprechen. Denn die Idee vom liebenden Vater ist zu etabliert und stark, um das Gegenteil ohne weiteres akzeptieren zu können. Die Gottesidee ist also fähig, gewisse Effekte in sich einzugliedern und andere abzustossen.

Das Gottesbild

Ein wesentlicher Teil des Ganzen ist das Gottesbild. Es beschreibt, wie wir über Gott denken. Haben wir einen liebenden Vater? Menschenähnliche Götter? Willkürliche Geister? Dem nicht-Gläubigen scheinen diese Fragen unbeantwortbar, da sie nicht an so etwas glauben, aber aus unserer Sicht können wir die unterschiedlichen Bilder gegeneinander antreten lassen und ihre Daseinsberechtigung und ihren Nutzen abschätzen. Die ganze Gottesidee muss wahrscheinlich als eine Entwicklung gedacht werden. Eine Idee befruchtete die nächste und erst nach langer Zeit entstanden die jetzigen Weltreligionen. Sie hätten aber nicht von Anfang an existieren können. Ich bin da nur laienhaft bewandert, aber ich versuche die Ideen in ihrer geschichtlichen Reihenfolge zu behandeln, damit nachvollzogen werden kann, warum wir heute zum grössten Teil atheistisch oder monotheistisch glauben.

Stammesgott

Es scheint, als ob Ur-Völker sich ähnelnde Religionen haben. Sie bestanden aus einigen Göttern, die sie mit Ritualen anbeteten. Sie haben keine Rechtfertigung für ihren Glauben. Sie opfern den Göttern, weil man das macht. Oder weil die Götter für eine gute Ernte schauen können. Oder um Dankbarkeit auszudrücken. Sie argumentieren aber mit Geschichten aus der Urzeit. Sie erzählen, wie früher dieser oder jener Gott das erste Mal die Nacht bezwungen hat und sie darum, um ihn zu Ehren jeden Morgen die Hand in Richtung Sonne ausstrecken. Da ist oft bis immer keine Theorie. Sie ritualisieren. Diese Rituale können heute von Soziologen und Psychologen analysiert werden und diese bemerken dann einen tieferen Sinn darin. Aber die Personen dieser Gruppe hätten das nie beschreiben können. Die hätten den Psychologen nur ausgelacht, mit dieser Erklärung. Religion ist also ein erster Ort, an dem man Dinge mit ‹Bedeutung› einbinden kann und auch ritualisieren kann. Der Glaube ist aber nicht universell. Also ihr Gott kümmert sich nur um ihren Stamm. Beziehungsweise ihr Horizont an Geschichten und Ideen ist auch hauptsächlich auf ihr eigener Stamm begrenzt. Wie immer soll dies nicht wertend gelesen werden. In ihrem Kontext ist das sinnvoll. Ein globales Verständnis der Menschheit wird erst durch die Globalisierung relevant. Die Bedeutung anderer Götter wird erst relevant, wenn man regelmässig Kontakt zu anderen Völkern hat(38).

Imperiale Gottheiten

Treffen dann mehrere Völker aufeinander, dann ergibt sich ein Hierarchiespiel. Da die Regeln dieses Spiels zu Beginn nicht festgelegt sind, bedeutet das oft grausame Kriege. Also wenn ein Volk ein starkes Bedürfnis nach mehr Land hat und es keines findet, dann gibt es Krieg. Nun bekriegen sich die Völker. Eines ist dem anderen unterlegen. Da beide eigene Götter haben, ergibt sich logischerweise daraus, dass die einen Götter den anderen überlegen sind. Dies ist die naheliegende Deutung. Nicht, dass die einen Götter gar nicht existierten. Daraus ergibt sich eine Hierarchie der Götter. So oder so ähnlich entstand der Olymp der Griechen.

Ein kleiner Gedankenanstoss: Wir machen es heute noch genau gleich, nur mit Kulturen. Wir sagen: Es ist okay, wenn ihr eure Kultur habt, aber wenn ihr an unserer Wirtschaft teilnehmen wollt, dann müsst ihr diese und jene Regeln befolgen. Beziehungsweise müsst ihr am kapitalistischen System teilnehmen. Es ist auch eine Hierarchie. Aber keine willkürliche. Sie hat sich etabliert und die anderen ‹besiegt›. Kapitalismus ist aber nicht wahrer als das alte System, sondern nur potenter. Und so erklärt sich auch, warum Länder Teil unseres Wirtschaftssystems sein können, die Menschenrechte missachten. Weil der Kapitalismus an der Spitze steht. Dies soll kein Appell sein, ihn von der Spitze zu stossen, denn es wäre naiv zu denken, dass ein gestürzter Kapitalismus die Menschenrechte mehr respektieren würde.

Es etabliert sich also eine Hierarchie von Göttern. Diese Götter gehören danach in demselben Pantheon. Dadurch werden die Eigenheiten prägnanter. Oder der Gott verändert sich komplett. So wandelte sich Poseidon von einem Gott dem Zeus ebenbürtig zum Gott der See. Denn wer braucht schon 200 Sonnengötter? Dieser Polytheismus wurde dann auch intellektuell erfasst und die grossen griechischen Philosophen dachten in diesem Kontext. Aus heutiger Sicht wirkt das alles lächerlich. Warum soll es so viele Götter geben? Diese Frage habe ich aber jetzt bereits geschichtlich beantwortet. Ich kann mir ebenfalls auch kaum eine Menschheitsgeschichte ohne Götter vorstellen. Dies ergibt sich aus den Gegebenheiten. Ich werde hier auch einige intellektuelle Argumente für einen Polytheismus liefern. Denn er wird zu schnell als Unfug abgetan.

Der für uns westliche wohl bekannteste Polytheismus ist der griechisch-römische. Obwohl der Hinduismus verbreiteter wäre, gehen wir aber der westlichen Tradition entsprechend auf den griechischen ein. Die Griechen hatten für unterschiedliche Effekte unterschiedliche Götter. Am einfachsten sind Ares und Aphrodite. Ares ist der Kriegsgott und Aphrodite die Göttin der Liebe. Wenn ein Mensch im Blutrausch ist oder auch nur im Krieg, verändern sich seine Werte und sein Wesen. Er ist nur unter Männern. Fremde werden in diesem Zustand oft umgebracht, vergewaltigt oder zumindest ausgeraubt. Der Tod des anderen ist erwünscht. Der Humor ist derb und die Hygiene nicht. Kurz um: Der Mann ist ein anderer im Krieg als zu Hause. Man könnte sagen, er hat den Geist des Ares(39). Dieser Geist kann charakterisiert werden. Der Geist des Ares ist nicht besonders intelligent, aber stark, er ist verschlagen und bereit zu betrügen. Und so weiter. Bei der Aphrodite ist es ähnlich; wenn auch in ihrer Auswirkung entgegengesetzt. Jeder der schon einmal verliebt war, weiss wie stark man sich verändert, ist man in diesem Zustand. Hat man den Geist der Aphrodite, dann funktioniert man anders. Und auch hier kann dieser charakterisiert werden. Die Liebenden sind sich alle ähnlich. Und diese Ähnlichkeit kann mit einem göttlichen Vokabular ausgedrückt werden. Unser Verhalten kann oder muss in einem Komplex des Verliebtseins verstanden werden. Jeder, der vernünftiges Handeln erwartet, wird enttäuscht. Dieser Komplex kann als der Geist eines Gottes gesehen werden. Denn dieser Geist ist in sich relativ klar und stabil. Wir können beschreiben, wie sich verliebte verhalten. Und dieses Verhalten ist unter Umständen äusserst anders als das sonst natürliche.

Ein anderer grosser Vorteil eines Polytheismus ist die Geschichten-Erzählung. Es lassen sich einfacher gute Geschichten erzählen. Beim Polytheisten scheitern manchmal Götter mit ihren Vorhaben. Es befriedigt das Bedürfnis nach einem Helden. Die Fantasie, die das beflügelt hat, ist nicht zu quantifizieren. Bis heute prägen und inspirieren die Werke von Homer(40). Die Tatsache, dass wir heute in den Kinos alte Götter auferstehen lassen und Heldengeschichten erzählen, offenbart das starke Bedürfnis nach solchen Geschichten. Im Durchschnitt hat jeder Mensch auf unserer Erde mehr als drei Dollar für die MCU Filme ausgegeben. Und das ist reine Unterhaltung. Wir machen das alles etwas atheistischer als in der früheren Menschheitsgeschichte, aber die Muster sind dieselben. Wir haben ein Pantheon von Werten: Kapitalismus, Menschenrechte, wissenschaftlicher Fortschritt, Freiheit und so weiter. Und wir beleben unsere Götter in der Unterhaltung wieder, um diese Geschichten erzählen zu können, weil wir eine Spezies sind, die in Geschichten denkt und sich von diesen inspirieren lässt.

Aber wir sind noch nicht in der Lage, mit einem personalen Vokabular über diese Dinge zu sprechen. Für mich sind Kapitalismus, Freiheit, Fortschritt, Menschenrechte genauso Götter wie der Zeus. Aber diese Begriffe sind fern von der Mythologie. Wir sprechen sachlich darüber. Doch diese Sachlichkeit vergisst unsere menschliche Natur. Wir sollten unser Pantheon füllen mit Geschichten und Anekdoten. Doch bis jetzt schafft es nur die Kunst, unsere Werte zu personifizieren. Es ist nicht präsent in den Alltagsgesprächen. Wenn wir sprechen mit Sätzen von «Die Liebe fällt, wohin sie will.», dann denken wir das als lyrischen Satz und nicht als eine Tatsache. Ein lyrischer Satz mit Inspirationspotenzial, aber uns fehlt heute der Wortschatz, um diese Ideen weiter zu entdecken. Und darum sind wir stark limitiert, diese intensiven Erlebnisse und Gefühle zu erfahren. Wir bleiben in unserem gefühlten und intimen Verständnis von Werten bestenfalls in Kinderschuhen und sind dem Erlebten ausgeliefert wie unmündige Narren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wenn sich ein so intensives Gefühl in unser Leben drängt, durch die Liebe oder durch den Tod einer geliebten Person, dann verfallen wir in ein kindlich unreifes Verhalten und merken, dass unser Verstand nicht fähig ist etwas Sinnvolles beizutragen. Einzig ein Künstler wird dies alles wohl aktiver und bewusster erleben. Er versucht die Gefühle aufzusaugen und in die Welt zurückspiegeln und somit Teil des Ganzen Spiels zu sein. Während der Unreife nur überfordert ist.

Monotheismus

Der nächste Schritt ist der Monotheismus. Der Glaube, es gäbe nur einen Gott. Die Vielfalt wird der klaren Hierarchie geopfert. In der Bibel kann man diese Entwicklung beobachten. Zu Beginn gibt es noch Kämpfe zwischen den Magiern der Ägypter und dem Propheten Gottes. Natürlich gewinnt der Prophet. Es ist ja die Geschichte dieses Gottes. Es etabliert sich das Narrativ, dass der Gott Israels der grösste ist. Er hat noch seine Lücken, die See zum Beispiel hat er nicht schon immer im Griff, aber er ist doch der grösste. Einige Jahrhunderte später schreiben die Propheten, dass die anderen Götter nur tote Götter sind und nur Puppen aus Holz und es sei lächerlich diese um etwas zu bitten. Und danach wird es noch vollkommen umgesetzt, die anderen Götter sind nicht nur tot, was ja eine Existenz nicht abstreitet, sondern sie werden vollkommen abgestritten. Alles kommt von Gott und da ist keiner ausser ihm.

Ich beschreibe das so ausführlich, weil das Judentum, der Islam und das Christentum diesen Teil der Geschichte teilen und somit alle grossen monotheistischen Religionen aus dieser Tradition kommen. Doch wie kann das passieren? Was für ein Argument gibt es, einen Polytheismus gegen einen Monotheismus einzutauschen? Dies hat in meinem Verständnis zwei Gründe. Und diese sind spezifisch für das Judentum (und somit auch für den Islam und das Christentum). Die Aramäer entdeckten einen unerhörten Gott. JHWH. Was soll daran so speziell sein? Dieser Gott offenbarte sich laut Bibel an Mose und stellt sich mit diesem Namen vor. Dieser Name hat eine Bedeutung: «Ich bin für dich da.(41)» Und wer ist denn Mose? Er wird von JHWH zum Sprecher der Hebräer ernannt. Und wer sind diese Hebräer? Zwangsarbeiter. Dieser Gott offenbart sich als Gott der Zwangsarbeiter. Das gab es noch nie. Götter waren immer die Götter der Könige. Könige legitimierten ihre Macht mit Göttern. Dieser Gott macht das jedoch nicht. Und es ist egal, ob das wirklich eine Offenbarung stattgefunden hat. Die Idee ist so oder so revolutionär. Und dieser Prophet JHWHs geht laut Geschichte zum Pharao und sagt: «Der Gott der Zwangsarbeiter befiehlt dir, uns freizulassen.» Und die Geschichte beschreibt dann, dass das funktioniert hat. Dieser Gott ist so anders als die anderen, dass er sich kaum in demselben Pantheon stecken lässt wie die anderen Götter. Und die Bibel beschreibt unzählige Situationen, in denen anderen Göttern geopfert wurde und dies fundamental gegen die Werte JHWHs verstösst. Während es mit königlichen Göttern denkbar ist, die Armen zu unterdrücken, so ist das bei JHWH undenkbar. Keine andere Religion hat meines Wissens ein Königsgesetz. Also Verbote für den König. Normalerweise ist der König das Gesetz. Aber nicht im Judentum. Oder Kinderopfer sind auch nicht mit einem Glauben an JHWH vereinbar. Diese Unterschiedlichkeit wurde immer offensichtlicher und somit ein gemeinsames Pantheon undenkbar.

Aus christlicher Sicht ist Jesus die vollkommene Offenbarung dieses Gottes. Ein Gott entscheidet sich Mensch zu werden und kommt selbst als Knecht auf diese Welt und wird von dieser seiner Welt umgebracht. Er gibt dann diesem Gott-Menschen ein neues Leben und er darf mit Gott regieren. Dies ist eine starke Geschichte. Eine Geschichte der Hoffnung. Sowieso leben diese Religionen von der Hoffnung. Sie glauben und hoffen, dass es den Unterdrückten mal besser gehen wird; dass sie Gerechtigkeit bekommen werden. Es ist für mich kaum in Worte zu fassen, was das für eine Bedeutung hat, dass diese Version eines Gottes jetzt weltweit die dominierende ist. Es ist ein Statement für die Rechte der Unterdrückten. Es ist ein Hinweis, dass Nächstenliebe auf die Dauer triumphiert.

Der Fall des Monotheismus

In entwickelten Ländern nimmt die Religiosität stark ab. Wir halten es nicht mehr für gut und richtig, in dieser Denkweise zu operieren. Doch warum ist das der Fall? Es scheint eine Konsequenz der Industrialisierung zu sein. Mit ihr nahmen wir das Schicksal in unseren eigenen Händen und vertrauten nicht mehr auf Gott. Wir errangen uns neue Fähigkeiten und ersetzten dadurch unser Gottvertrauen. Ohne das aufklärerische Denken und die damit verbundene Industrialisierung wäre Atheismus kaum denkbar. Menschheitsgeschichtlich gesehen, ist der Atheismus dadurch ein neues Phänomen und es kann nicht ohne weiters prognostiziert werden, dass er eine dominierende Denkweise wird.

Ich sehe zwei denkbare Wege für die Menschheit. Entweder der Atheismus ist eine Gegenreaktion gegen religiöse Naivität. Und dann würde er gegen eine reife Religiosität an Kraft und Überzeugungskraft verlieren. Oder er entwickelt sich selbst in eine religiöse Kraft. Dies halte ich für wahrscheinlicher. Aber beleuchten wir hier beide Gedanken.

Zumindest in meinem Umfeld ist das der Hauptgrund für existierenden Atheismus. Zweifelnde halten die Gläubigen für naiv und können die Geschichten nicht mehr glauben. Daher entwickeln sie eine Überzeugung, dass Gott nicht existiert und nur eine Erfindung der Menschen ist. Dies empfinde ich selbst als äusserst bedauerlich. Da ich selbst, wie hier wohl offensichtlich ist, eine vernünftige Form des Glaubens präsentiere. So gibt es Formen einer jeden Religion, die von solchen Gedanken nicht zurückschrecken und sich dieser Problematik bewusst sind und ihr intellektuell redlich begegnen. Ich halte daher diese Form des Atheismus für eine rebellische Kraft in der Gegenwart naiver Religionen. Diese Personen würden sich wahrscheinlich nicht als Atheisten beschreiben, ohne naiv Glaubende. Sie würden die Gottesfrage für gänzlich uninteressant befinden und sich ‹wichtigeren› Problemen zuwenden. Dies wären nicht mehr strikt Atheisten, denn sie identifizieren sich nicht mehr über den Nicht-Glauben, sondern über etwas anderes. Dies ist zu einem grossen Teil in Europa passiert. Die präsenten Atheisten wirken hauptsächlich in den USA, da dort eine andere Art der Frömmigkeit vorherrscht. Eine Frömmigkeit, die mehr Rebellion auslöst als die europäische. Dies ist eine starke Vereinfachung des Tatbestands. In meinem Leben stimmt es jedoch. Die Atheisten, die ich kenne, sind alle mit stark, negativen religiösen Erlebnissen konfrontiert worden in ihrer Kindheit. Dies kann ich nicht auf alle Menschen extrapolieren, aber es scheint trotzdem eine signifikante Komponente in der Produktion von Atheisten zu sein. Was nachvollziehbar ist. Warum sollte man sich sonst so aktiv gegen etwas einsetzen? Das ist wie Menschen, die aktiv gegen Verschwörungstheoretiker argumentieren. Der einzige Grund dies über eine lange Zeit zu tun ist, weil man dadurch im Internet Bekanntheit erlangen kann, aber persönlich würde man einfach mit der Zeit geschult werden, was die Denkfehler sind und sie schneller entlarven und danach seine Zeit für Wichtigeres einsetzen. Und genau gleich beim modernen Atheisten. Er würde die religiösen widerlegen und nachdem er keine neuen Argumente fände, würde er sich interessanteren Fragen zuwenden.

Ein nachhaltiger Atheismus oder auch ein nachhaltiger Non-Theismus (also Personen, die mit der Gottesfrage nichts mehr anfangen können) muss das Gute der Religionen für sich neu entdecken. Sagen wir, Religion ist eine Ansammlung von psychologischen und soziologischen Effekten. Dann müssen die nützlichen Effekte auch erschlossen werden. So haben Religiöse das Potenzial unermessliches Leid auszuhalten durch die Hoffnung und den Glauben, dass Gott sie stärkt und ein besseres Leben nach dem Tod hat (vereinfacht gesagt). Solange keine solche Krise kommt, ist das für die Non-Theisten nicht nötig, aber wenn es kommt, haben es die reifen Gläubigen einfacher. So auch eine alltagsnahe Einstellung wie: «Ich danke jeden Tag für das Essen, das ich habe.» oder «Ich lasse mich bewusst auch in Dingen herausfordern, die Gott für mich bereithält, auch wenn es nicht meine Komfortzone ist.» aber auch das regelmässige Zuhören einer Predigt, die Inspiration für das eigene Leben liefern kann. Oder das ehrenamtliche Engagement, das völlig normal ist. Oder die Bereitschaft, einen wesentlichen Teil des Einkommens zu spenden. Und ich könnte hier noch weiter aufzählen. In der Religion sind Lehren ritualisiert und gehören zum normalen Denken und zu den normalen Taten. Non-Theisten haben kaum Rituale und wenn dann keine, die sie über Generationen erhalten. Um eine ähnliche Stabilität wie Glaubende zu erreichen, ist es unumgänglich diese Ritualisierung einzuführen. Rituale sind aber nicht auf dem Fundament der Logik, sondern dem der Gewohnheit aufgebaut. Und ich sehe da Herausforderungen für ein wissenschaftliches Denken sich diese Ressource zu erschliessen. Schaffen es aber die Non-Theisten sich diese religiösen Eigenschaften anzueignen. Also haben sie Gewohnheiten, die nicht in jeder Generation geändert werden dürfen/können. Dann folgt daraus die Frage: Inwiefern sich diese Form von einer normalen Religion unterscheidet? Dies wird sich wohl in der Zukunft zeigen.

Es kann leider auch etwas Schlechteres passieren als das obige Beschriebene. Ich gehe stark davon aus, wenn es eine echte Krise gibt, in der der Staat nicht mehr funktioniert und die Menschen grosse Unsicherheit haben (eine wesentlich grössere Krise als die Corona-Pandemie), dann werden wir wohl in primitivere Formen des Glaubens zurückfallen. Die grossen Fragen werden kleiner und die Errungenschaften der Philosophie geraten in den Hintergrund. Dies ist aus unserer evolutionären Perspektive völlig normal und logisch. Der Richter änderte sich stark und dadurch sind andere Eigenschaften nützlich. Vielleicht hat der Non-Theismus es bis dahin geschafft eine starke Form zu finden und hat auch eine regressive(42) Form. Eine Form, in die sie zurückfallen kann in Zeiten der Bedrängnis. Dass die Religion diese hat, ist wohl allen klar, da diese Form ja gerade für viele der Grund ist, warum sie aus der Glaubensgemeinschaft ausgestiegen sind. Denn eine regressive und naive Form des Glaubens, schafft es vielleicht nicht einen Gelehrten zu überzeugen, aber es hat die Kraft den Gläubigen entgegen jeder Vernunft zu stärken. Allgemein sind all die Vorteile, die entgegen jeder Vernunft sind für den Vernünftigen nur schwer erreichbar. Eine regressive Form des Atheismus ist aus meiner Sicht der Kommunismus oder ein Nationalsozialismus. Sie sind geprägt von wissenschaftlicher Sprache, ohne jedoch deren Standard zu erfüllen. Und wie vernichtend diese Formen sind haben wir im letzten Jahrhundert gesehen. Ich sage nicht das der deutsche Nationalsozialismus ein atheistisches Unterfangen war aber in der Regression zieht man sich auf seine Gruppe zurück. Diese Gruppe kann über Ideen ausgezeichnet sein wie beim Kommunismus oder über die Herkunft wie beim Nationalsozialismus. So oder so leiden die Menschen ausserhalb dieser Gruppe darunter.

Religionskritik

Es gilt aber auch die Schattenseiten der religiösen Denkweise zu bedenken. Aus der evolutionären Sicht hat sie sich bewährt und es gibt aus dieser Sicht kaum eine Möglichkeit eine religiöse Denkweise vollständig zurückzuweisen, die sich über Jahrtausende als stabil erwiesen hat. Dies ist auch der Grund für die positive Grundhaltung in diesem Buch. Doch wo die Stärken der atheistischen oder zumindest des non-theistischen Denkweise liegen, liegen wohl auch die Schwächen der religiösen. Eine gottlose Welt muss sich selbst helfen und das aufklärerische Denken hat, das auch ermöglicht. Es hat nicht nur technologischen Fortschritt gebracht, sondern auch die Möglichkeit, die Zukunft vorauszusagen. Diese Möglichkeit ist wohl die grosse Stärke und auch das grosse Argument, warum es sich gegen religiöse durchsetzen kann. Wie man jedoch entscheidet, was richtig ist, gegeben man kennt die Zukunft, bleibt dann aber die Herausforderung.

Die Religion muss wohl ein positives Verhältnis zu Wissenschaft und Technologie bekommen, um nicht abgehängt zu werden. Gute Werte und stabile Verhältnisse sind wenig wert, wenn die Macht der nicht religiösen unermesslich wird. Dieses positive Verhältnis, also ein sich einbringendes Verhältnis, fordert jedoch die Religion heraus. Denn es werden Dinge infrage gestellt, die vielleicht genau die Grundlage der Stabilität war. So ist es denkbar, sich aktiv und positiv mit Wissenschaft zu befassen, die Religiosität vermindert. Dieses Dilemma ist nicht trivial. Mein Buch ist ein Beispiel dafür. Und wenn eine Religion sich so stark an den Erkenntnissen der Natur orientiert, dann ist es auch nicht mehr klar, inwiefern sie sich von einer Naturwissenschaft unterscheidet. Doch sehe ich keine Alternative. Die Annäherung von Wissenschaft und Religion ist unumgänglich, wenn wir es evolutionär betrachten und beide Seiten werden Dinge aufgeben müssen, die sie für heilig halten. Doch so ist es an einer neuen Generation von Denkern diesen neuen Weg zu beschreiten.

Zusammenfassungen

Wir haben gesehen, dass ganz unterschiedliche Religionen und Glaubensgemeinschaften aus der evolutionären Sicht legitimiert sind. Auch bieten sie eine Sprache und ein Denken, um den tiefen Wahrheiten und Bedürfnissen unseres Wesens zu begegnen. Sie macht es einfach, Geschichten zu erzählen über das, was im göttlichen Bereich passiert. Während der Rationalismus am Gehirn und der statistischen Psychologie festhängt. Die Religionen bieten auch eine regressive Form. Also eine naive und simple Form auf die man zurückfallen kann bei grosser Bedrängnis. Alle diese Vorteile sind weder absichtlich erfunden worden, noch sind sie alle den Gläubigen bewusst. Sie haben sich ergeben; vermehrten und verfestigten sich nicht über den Verstand; sondern über dauerhaftere und kraftvollere Mechanismen wie Rituale, Dogmen und Tradition. Die Religion hat aber, gerade weil sie stark ist in den irrationalen Disziplinen, die Schwäche in den rationalen. Denn viele wichtige Lektionen sind nicht durch den Verstand zu legitimieren oder zumindest noch nicht(43). Dadurch wird der Rationalist den Gläubigen technologisch überlegen sein in der nahen Zukunft, doch ob er die Instrumente hat diese Macht zu stabilisieren wird sich wohl erst zeigen. Und wenn der optimistische Fall nicht eintrifft, wird es Millionen Tote geben.

Prognose

Wir haben aufgezeigt, dass sich Wissenschaft beziehungsweise der Non-Theismus und die Gläubigen annähern müssen, um dem Druck der Existenz standzuhalten. Dies ist jedoch die optimistische Sicht. Es gibt jedoch noch andere mögliche Pfade für die Menschheit. Beide Linien bestehen auf ihrem Weg und die Unterschiede werden immer extremer. Die Religiösen werden technologisch abgehängt, ähnlich wie die Amische. Dies ist jedoch nur ein schöner Weg solange Toleranz der dominierenden Schicht vorhanden ist. Endet diese Toleranz aufgrund unterschiedlicher Werte oder anderen Gründen, dann wird es für die Religiösen fatal enden. Auch wäre in einer solchen Welt das Risiko auf ein Wiederaufkommen von der Autokratie gross. Die Non-Theisten hätten kein solides Fundament für Werte und so liessen sich Autokratien einfacher legitimieren. Dies könnte immenses Leid für grosse Schichten der Weltbevölkerung verursachen.

Ein anderes Risiko ist das Auftreten einer grossen Katastrophe, bevor die Annäherung ausreichend geschehen ist. Dies würde nämlich bedeuten, dass beide Formen in eine regressive Form zurückfallen. Wobei bei Religiösen dies Werte von vor 200 Jahren bedeuten würde, wäre bei den Non-Theisten das Fehlen einer solchen Form fatal und mit einer Katze zu vergleichen, die sich bedrängt fühlt. Mit dem einzigen Unterschied, dass diese Katze Atomwaffen besitzt. Daher ist es imperativ, den Dialog und die Annäherung beider Denkrichtungen fortzutreiben. Sind wir an einer existierenden Menschheit interessiert, führt kein Weg darum herum.

Musterhafte Lektionen

Nebst dem, dass unsere neue Brille der Muster für mich persönlich ein philosophischer Paradigmenwechsel war, stellt sich auch raus, dass sie klare und auch praktische Implikationen hat. Ein Grossteil ‹gesunder Menschenverstand› Erkenntnisse können mithilfe dieses Denkens theoretisch sauber und redlich erschossen werden. Ich nehme hier noch Zeit, solche Lektionen aufzuzeigen. Sie verdeutlichen den Nutzen all dieser Überlegungen.

Gesellschaftlicher Nutzen

Religiöse & kulturelle Toleranz

Eine der grössten Herausforderungen in diesem Jahrhundert und der paar Jahrhunderte danach wird das Zusammenleben in einer globalisierten Welt sein. Denn wir verbinden uns mit Handel, soziale Medien und dem Internet im Allgemeinen. Aber die Werte sind nicht ausgehandelt. Sie sind nicht ausgearbeitet. Wir verbinden uns trotzdem. Aber jetzt gibt es ein Menschenrechtsgerichtshof, der aber von einigen nicht akzeptiert wird. Wir haben Probleme, die Werte zu fixieren. In den Medien hört man dann oft die Lösung für das Problem: «Toleranz». Um das philosophisch redlich zu behandeln, müssen wir erst aus der rein logischen und analytischen Sicht Toleranz betrachten.

Toleranz ist als Erstes ein nicht wohldefinierter Begriff. Es ist nicht klar, was als ‹tolerant› gilt und was als ‹unterlassene Hilfeleistung›. Wir können offensichtlich nicht alles tolerieren. Es gibt umgangssprachlich Sätze, die versuchen, die Grenzen der Toleranz abzustecken: «Die Freiheit des anderen geht so weit, wie es die Freiheit anderer nicht einschränkt.» Dieser Satz ist aber Unsinn; egal auf welcher Ebene man ihn analysiert. Denn meine Existenz beraubt dich der Freiheit, genau dazustehen, wo ich jetzt stehe. Mein Besitz einer Wohnung schränkt deine Freiheit ein, genau diese Wohnung zu besitzen. Und wenn wir beide dasselbe Haus haben wollen, gibt es einen Wettkampf. Wer bietet mehr. Wer kennt den Eigentümer besser und so! Also wenn viele Interesse an einem Haus haben, dann kann es am Ende nur jemand haben und es muss ein Auswahlverfahren bemüht werden. Dass andere interessiert sind an demselben Haus wie ich, schränkt mich ein, indem es ein schwierigeres Auswahlverfahren gibt, als wenn sie nicht interessiert wären. Und so weiter. Das Problem ist, dass man eine Grenze ziehen muss, bis wohin die Einschränkungen tolerierbar sind. Und diese Grenze ist arbiträr und keineswegs offensichtlich. Sozialistische Personen sehen das oben beschriebene Problem mit dem finanziellen Auswahlverfahren schon als eine zu starke Einschränkung; andere hingegen überhaupt nicht.

Doch wenn die Definition von «Toleranz» auf wackligen Beinen steht. Was machen wir? Wir sollten analysieren, wie wir uns am besten verhalten, um als Gesellschaft zu bestehen. Und dies könnte unangenehme Dinge implizieren. Vielleicht die obligatorische und systematische Integration von Ausländern (und nur eine eingeschränkte Toleranz gegenüber ihren Bräuchen), Verbote von gewissen religiösen Praktiken, Schutz von Armen und so weiter. Was genau der richtige Weg ist, ist nicht eindeutig und auch stark vom aktuellen Zeitgeist und der ökonomischen Kapazität einer Gesellschaft abhängig. Auch die Kompromissbereitschaft der Menschen ist massgebend. Und viel mehr.

Ich bin mir bewusst, dass dies keine Lösung für das Kultur- bzw. Religions-Problem ist. Aber ich bin überzeugt, dass diese Ansicht pragmatischer ist, als mit Toleranz zu argumentieren. Und es wird ja nicht neutral mit Toleranz argumentiert, sondern moralisierend. Denn bei den mir bekannten Argumenten hat es immer etwas mit Moral zu tun. Die einen sind unmoralisch, weil sie im eigenen Umfeld andere Kulturen und Religionen ablehnen und die anderen sind unmoralisch, weil sie unser Wertefundament auflösen. Doch ist die moralische Argumentation fast immer unehrlich. Personen ohne sachliche Argumente appellieren oft an die Moral. Leider versteht die Moral kein Appell. Vor allem, wenn der Befehlende aus der Sicht des Empfängers als unmoralisch angesehen wird. Wenn mir jemand sagt: Du sollst dies oder jenes wichtig erachten und es sei unethisch es nicht zu tun, dann fühle ich mich dir fremd, wenn ich die Punkte nicht sowieso schon mit dir teile. Und wenn ich sie mit dir teile, warum appellierst du denn?

Ich gehe aber noch einen Schritt weiter bei der Toleranz. Denn unsere Ansicht der Muster erlaubt es, Berührungsängste zu minimieren. Denn andere Kulturen und Religionen sind ja nichts weiter als Muster. Und wir können mit Sicherheit das eine oder andere für uns übernehmen und daraus lernen. Ich glaube, dies würde eine wahre Wertschätzung anderer Kulturen und Religionen verursachen. Denn wer etwas Wichtiges vom anderen gelernt hat, der ist auch wieder offen vom anderen zu lernen und mit ihm zu sprechen.

Positiver Einstellung zu den Traditionen

Aufgewachsen in einem traditionell christlichen Umfeld, hatte ich immer einen starken Bezug zur Tradition. Nicht unbedingt Dorfrituale und so weiter. Aber doch bezüglich Werten und Umgangsarten. Und es geschah, dass ich, ebenso wie die Argumente für Toleranz, die Tradition für überholt und behindernd empfand. Die, welche an der Tradition festhielten, waren immer auch diejenigen, die eine Weiterentwicklung verhinderten. Erst in meinen frühen bis mittleren Zwanzigerjahren erkannte ich, was diese Personen (erfolglos) versuchten. Sie wollten das bewährte schützen. Weil sie es für wertvoll erachteten. Doch damit Traditionen weiterbestehen können, müssen sie von jeder Generation neu erschossen werden. Werden sie das nicht, wird die neue Generation das Alte als mühsam und für den Nutzen unverhältnismässig aufwändig erachten. Dieses neu erschliessen, ist jedoch weder das, was die alte Generation will, noch das, was die Neue sucht. Aber es wäre der Weg, wie wir Werte und Kultur stabilisieren können in einer modernen Welt. Es gibt kaum Alternativen (vielleicht gar keine).

Eine Tradition neu erschliessen bedeutet, dass der junge Mensch in der Tradition einen Wert findet. Dieser Wert ist wahrscheinlich ein andere als der Wert, den sie für die ältere Generation hatte. So war das Lesen in der Bibel für eine Generation vor mir der Ort, an dem man sich selbst hinterfragte und reflektierte: Wie sollte ich eigentlich leben? Für mich ist es aber hauptsächlich eine Schrift, in der steht, wie Menschen mit dem Muster ‹Gott› umgehen. Und über diesen Zugang finde ich dann auch die Werte meiner Vorfahren. Müsste ich aber die Bibel lesen, um mich zu reflektieren, dann hätte ich die Bibel ignoriert, da sie mühselig zu lesen ist und mir andere Quellen nützlicher erscheinen. Für mich war es faszinierender zu sehen, dass über Jahrtausende Gottesbegegnungen ein identitätsstiftendes Ereignis war. Die nächste Generation nach mir muss sich dann wieder einen neuen Zugang erarbeiten. Wenn jedoch die Tradition reich an Bedeutung und voller vergrabener Schätze ist, dann wird sie es auch schaffen. An uns ist es aber Personen auf den Wert der Traditionen hinzuweisen, die wir als gut erachten. Und wir destabilisieren, wenn wir im Namen der Wissenschaft (oder was auch immer der Antrieb ist) die Traditionen nicht mehr aktiv leben. Denn eine Tradition ist kraftlos, wenn sie nur ‹gewusst› wird. Sie muss gelebt werden.

Persönlicher Nutzen

Pragmatisch

Ich versuchte schon immer pragmatisch zu handeln. Sei es in Freundschaften, im Beruf oder in der persönlichen Entwicklung. Ich fragte mich immer, was ist das Problem und wie löse ich es. Wenn ich Angst habe, vor Menschen zu sprechen, dann übte ich es. Wenn ich interessiert war an einer Frau, dann investierte ich. Wenn ich akademischen Erfolg haben wollte, dann opferte ich für dieses Ziel. Ich hielt es mit solchen Dingen immer amoralisch. Also abseits von Moral. Doch genug von mir.

Eine analytische und amoralische Sicht ist zwar nicht das Optimum, aber doch beständiger als zu viel Moralin(44), wie wir es heute haben. Die Betrachtung der Stabilität unabhängig davon, ob etwas gut oder schlecht ist, löste dann in mir eine Wertschätzung gegenüber Anschauungen aus, die ich für unmoralisch und naiv befand. Es relativiert vieles. Aber es ist auch gut für Propheten. Propheten, die sehen, dass die Welt nicht mehr in Ordnung ist. Sie sollten argumentieren (denn das macht man heute so), dass die Gesellschaft zerfällt. Und sie sollten nicht auf den Strassen schreien.

Stoizismus lässt sich gut verbinden mit unserer Ansicht. Stoiker gelten als gefühlskalt, doch sind sie der Überzeugung, dass Dinge ausserhalb des eigenen Einflusses nicht ihr Problem sind. Und sich auf das zu fokussieren, ist auch meine Botschaft. Es ist bestenfalls schädlich über Dinge zu jammern, die vielleicht sogar gut sind, man aber nur nicht verstanden hat. Dinge, auf die man einen Einfluss hat, sind oft auch Dinge, die man versteht (jedenfalls eher als die grossen Zusammenhänge der Welt).

Anders gesagt: Eine pragmatische Weltsicht ist stabiler und überdauert eine nicht-pragmatische in jeder Hinsicht. Wenn die eigene Moral und Weltanschauung die einfachen Lösungen verkompliziert und unzugänglich macht, wird sie in Zukunft einen schweren Stand haben.

Offen für Veränderung

Damit Muster die Zeit überdauern, müssen sie sich anpassen. Denn der Richter ändert sich ja bekannterweise. Und dass jeder Mensch und jede Idee Muster sind, muss sich jeder Mensch und jede Idee verändern. Wir haben eine Brille bekommen, durch welche es offensichtlich ist, dass Stillstand den Untergang einläutet. Es hilft aber auch, der Veränderung ein rational argumentierbares Limit zu setzen. Zu starke Veränderungen schwächen die Voraussehbarkeit und es ist genau diese, die uns mächtig macht. Es bedarf also der Abschätzung. Aber mit genug Fingerspitzengefühl erlaubt es uns gewisse Ideen neu zu denken. Alte Gedankengebäude zu sanieren und etwas Neues für die nächste Generation zu bauen.

Philosophischer Nutzen

Es ist an dieser Stelle wohl offensichtlich, dass wir eine neue Sicht auf die Dinge bekommen haben, dass die Stellung der Logik etwas angegriffen wurde, dass Wahrheit auch relativiert wurde. Und ich plädiere für eine Philosophie, die diesen Fakten Rechnung trägt. Es ist eine wahre Philosophie (Liebe zur Weisheit und nicht zur Wahrheit). Gerade die Philosophie leidet wie wohl keine andere Wissenschaft von der Instabilität der Logik. Denn die Philosophie argumentiert für Axiome und baut ganze Wolkenkratzer auf diesen Annahmen und doch bleibt sie stecken. Denn die Annahmen oder auch die Begriffsdefinitionen sind bis heute nicht geklärt. Was ist ‹Gott›. Was ist ‹Existenz›. Was ist ‹Sprache›. Was ist ‹Wahrheit›. Die Philosophie beschäftigt sich gerne mit diesen Fragen. Behandelt die gesamte Geschichte, was über diese Fragen schon gesagt wurde, aber macht doch nur spärlichen Fortschritt.

Es ist von mir anmassend zu sagen, dass mein Framework eine Lösung für diese Probleme sein soll. Und dessen bin ich mir ja auch bewusst. Aber die Geschichte der Philosophie legt doch gerne eine Münze in meine Waagschale. Denn die ganze westliche (Logik zentrierte) Philosophie ist nicht stabil. Die einzige Richtung, die wahrhaft inspiriert hat, ist der Existenzialismus, der gut begründet ist, aber in unserer evolutionären Sicht impotent. Wer nämlich beginnt, die Welt zu verleugnen, der wird sich kaum optimal an die Welt anpassen, um zu überstehen.

Ethik Analyse

Wie schon zuvor beschrieben, müssen Ethiken gewisse Grundformen haben. Sie müssen gewissen Regeln gehorchen oder sonst werden sie nicht Realität und bleiben daher irrelevant. Und der evolutionäre Prozess ist fähig, äusserst ausgefeilte System hervorzubringen. Ich verweise hier auch auf die besprochene Meta-Ethik. Jedoch sind diese Überlegungen dort keineswegs vollständig und abgeschlossen. Es schränkt jedoch den Raum möglicher Ethiken stark ein. Wenn sie sich nicht halten kann, dann wird sie auch nicht bestehen. Ich will hier nicht die Diskussion wiederaufnehmen, aber den Nutzen auf die Theorie legen. Meine Meta-Ethik ist nur mein Ansatz, wie man aus diesen Prinzipien zu etwas konkreten kommt.

Ich werde hier ein paar Ethiken analysieren und auch kritisieren, die mir in Vorlesungen und Bücher begegnet sind. Die meisten gibt es dann in einigen Variationen, doch werden sie unter demselben Begriff zusammengefasst. Ich habe weder Lust noch das Recht, die Zeit der Leser zu verschwenden, indem ich alle Variationen bespreche. Ich glaube aber, dass die Argumentation weitergedacht und auf andere Varianten angewendet werden kann.

Hedonismus

Dieser ist im Verruf. Ich kenne kaum jemand, der sich öffentlich zum Hedonismus bekennt. Es ist die Überzeugung, sein eigenes Vergnügen zu optimieren. Dies gilt dann als egoistisch und ist darum gesellschaftlich geächtet. Aus philosophischer Sicht ist es jedoch eine vertretbare Haltung. Denn in der Philosophie ist das Fundament der Werte nicht klar. Es ist nicht klar, was das zugrundeliegende Prinzip des ‹Guten-Handeln› ist. Und was liegt nicht näher als: «Gut ist, was mir guttut.» Und es ist auch ein legitimer Start. Ich sehe nur nicht, wie man bei einer solchen Ethik enden kann. Aus dem Hedonismus folgt direkt, dass ich will, dass die Menschen um mich herum auch zufrieden sind. Ansonsten dienen sie mir nicht zum Besten. Sie nerven oder nehmen mir Ressourcen weg, die ich will oder sonst etwas Unangenehmes machen. Hinzu kommt, dass wir mit Empathie ausgestattet sind und das Leid anderer zum Teil unser eigenes wird. So gibt es einige Populär-Philosophen, die sagen: «Ein wahrer Egoist kümmert sich um andere.» So wahr diese Aussage auch ist, so erzählt sie nicht die ganze Geschichte. Denn ein Hedonist oder auch ein Egoist schaut auf den eigenen Nutzen und wenn er Leid verursacht das ihn nicht kümmert, dann ist das auch okay für ihn. Er könnte sich weiterbilden und bemerken, dass er Leid verursacht und dadurch Gewissensbisse bekommen, aber für ihn ist es besser, er täte das nicht. Dann bleibt er zufrieden. Ein Hedonist kann also die eigenen Sinne abstumpfen und so sein Ziel erreichen.

Aus unserer Perspektive der stabilen Muster erschliesst sich aber sofort das Problem eines solchen Hedonisten. Diese Form von Menschen können sich nicht gegen eine altruistische durchsetzen. Sie werden also selbst untergehen oder altruistisches Verhalten nachahmen und somit kaum noch Hedonisten sein. Der Hedonismus kann also aus unserer Sicht bestehen, aber nur, wenn er sich abschafft und dann kaum noch Hedonismus genannt werden kann. Egoisten sind also entweder eine Minderheit, die von den Gemeinnützigen profitieren oder ein zeitlich limitiertes Phänomen.

Utilitarismus

Utilitarismus ist ein schwieriges Wort. Wenn man Englisch kann, ist es jedoch einfacher, es sich zu merken. Utility bedeutet Nutzen. Die Utilitaristen sind also nach dem grösstmöglichen Nutzen aus. Es soll aber nicht mit dem Hedonismus verwechselt werden. Der Hedonismus sucht nach dem grössten Nutzen für sich selbst, während der Utilitarist eine Gruppe beschreibt. Da es viele Ausprägungen gibt, gehe ich hier beispielhaft auf eine Form ein. Der Utilitarist möchte den grösstmöglichen Nutzen für die Menschheit. Um jedoch das abschätzen zu können, muss er Nutzen messen können. Und dieses Rechnen ist oft das Herzstück des Utilitarismus.

Es gibt dann solche, die das Leid hohen Wert beimessen. Also sie versuchen das Leid zu verkleinern. Treibt man das ins Extreme, so endet das in Überzeugungen wie: «Es wäre besser, die Menschheit existierte nicht. Dann gäbe es kein Leid.» Diese Aussage ist mit unserer Ansicht schwachsinnig. In ihrem Framework jedoch nicht und ist so gesehen auch korrekt. Doch ist gerade in dem Beispiel klar, dass das kaum funktioniert. Die Evolution brächte neue «Menschen» hervor und produzierte neues Leid. Das Universum ist nicht einverstanden mit dieser Ansicht. Und ich glaube auch, dass sie nur in der Theorie ‹stimmt›. Wenn wir sie auf die existierenden Mechanismen dieser Welt anwenden, dann ist die Aussage «Es wäre besser, die Menschheit existierte nicht. Dann gäbe es kein Leid.» ebenso nutzlos wie: «Es wäre besser, wenn Tausend gleich gross wäre wie eine Million, denn dann wären mehr Menschen Millionäre.» Ja, das stimmt ja schon, hat nur nichts mit der Realität zu tun.

Das andere Extrem legt mehr Wert auf die Freude und will diese maximieren. Also anstatt, das Leid zu verhindern, wollen sie in einen Zustand vollkommenen Glücks kommen. Die Diskussion in diesem Extrem beginnt oft bei: «Wäre es dann nicht optimal, die gesamte Menschheit unter Drogen zu setzen?» Es gibt solche, die dieses bejahen würden. Wir können das jedoch nicht. Die Argumentation dafür ist genau dieselbe wie zuvor, also eine solche Welt ist nicht realistisch und die Evolution würde neue Wesen hervorbringen, die wieder keine Dauer-Freude haben.

Was jedoch einen Unterschied macht, ist, ob man verpasste Freude als etwas Schlechtes ansieht. Also wenn wir alle unter Drogen setzen und sie damit keine Kinder machen (oder diese nicht erfolgreich versorgen), dann stirbt die Menschheit aus und es gibt keine Freude mehr von da an. Wäre dies etwas Schlechtes? Gehen wir mal davon aus, dann wäre es in einem ersten Schritt vereinbar mit unserem System bzw. mit der Realität. Denn diese Personen würden auch die Freude der zukünftigen Generationen mit einrechnen. Und es wäre nie erwünscht für die Menschheit auszusterben. Das ist schon mal ein Fortschritt.

Was sie jedoch immer benötigen, ist eine Gewichtung von Freude und Leid. Also sind alle Menschen gleich viel wert? Wenn ja, dann folgte daraus, dass wir unsere Kinder vernachlässigen sollten, um mit dem damit gesparte Geld 100 Kinder in einem armen Land retten sollten. Die einen (wenn auch wenige) mögen sagen, das stimmt ja auch. Das Problem dabei ist, dass in der Berechnung die eigene Psychologie vernachlässigt wird. Wir (und unser Umfeld) halten das auf einer intuitiven Ebene für falsch. Und es ist schwierig, Dinge erfolgreich und nachhaltig zu machen, die sich gegen das eigene Gewissen stellen. Aus unserer Sicht ist das Problem: Dass es nur das Wohl eines Musters im Blick hat. Nämlich das der Menschheit. Es will dieses verbessern. Ignoriert jedoch die anderen. Die Familie, das Individuum, das Dorf oder das eigene Land. Es beinhaltet die nur in dem Sinne, dass die Menschheit aus den anderen Mustern besteht. Es will nicht, dass alle Familie zerstört werden, oder dass alle Dörfer untergehen. Einzelschicksale sind ihm aber gleichgültig. Aus unserer Sicht ist das schwierig, da wir nie eine Gewichtung aller Muster vornahmen und nur sahen, dass jedes um ihr Überleben kämpft. Und es sogar so ist, dass in uns die lokalen Muster mehr Durchsetzungskraft benötigen als die grossen. Also da das Muster von der lokalen Kirchgemeinde aus ca. 50 Personen besteht, muss sie, um zu überleben, in diesen 50 Personen bestehen bleiben. Das Muster der Nation ist jedoch nicht auf diese 50 Personen angewiesen. Was also der Utilitarismus verursacht, ist ein Umdrehen der natürlichen Gewichtung von Werten in uns Menschen. Wir denken zuerst klein und dann gross, der Utilitarist dreht das um. Und er argumentiert, dass dies einzig sinnvoll sei, da jeder Mensch gleich viel wert sei. Doch wie gesagt, ist es äusserst schwierig Werte zu etablieren, die entgegen dem natürlichen sind. Vielleicht geht es. Ich schliesse das nicht a priori aus, aber es ist soziologisch und psychologisch doch fraglich.

Tugend-Ethik

Jetzt kommen wir zum uncoolsten Vertreter der Ethiken. Die Tugendethik beschreibt eine Gruppe von Wertevorstellungen, die behaupten, es sei gut, tugendhaft zu sein. Sie halten das auch tendenziell für wichtiger als das Vermeiden von Leid. Nehmen wir also zwei beispielhafte Leben. Person A arbeitet hart an den eigenen Fähigkeiten und versucht tapfer, mutig, liebevoll und noch mehr zu werden. Sie setzt sich schwierigen Situationen aus, um diese zu fördern und geht auch darum durch Leid. Die Tapferkeit hilft ihr aber dabei. Schlussendlich stirbt die Person als sie sich mutig einer Gefahr stellte, ihr aber unterlegen war. Auf der anderen Seite ist da Person B. Sie ist weder tapfer noch mutig und auch nicht liebevoll. Sie ist jedoch reich und hat kein Leiden zu befürchten im eigenen Leben. Sie ist nicht besonders schlau und freut sich am eigenen Leben. Schlussendlich stirbt sie zufrieden und alt.

Der Tugend-Ethiker behauptet nun, Person A hatte das bessere Leben. Besser im Sinne von Moral. Bzw. würden alle wie Person A leben, dann wäre es eine gute Welt. Würden jedoch alle wie Person B leben, dann nicht. Ganz unabhängig von der Machbarkeit einer Welt voller Menschen wie Person B. Zufriedenheit von einem lasterhaften Menschen ohne Tugend ist wertlos.

Diese Ethik gilt heute als veraltet und wird noch kaum in einem Ethik-Gremium vertreten. Es geht dort mehr um Selbstbestimmung und ähnliches. Doch der Tugend-Ethiker würde auch gegen die Selbstbestimmung handeln, wenn es tugendhaft ist. Diese Ethik wurde früher oft vertreten und mit Aussagen wie: «Ich schlage dich nur, damit mal etwas aus dir wird.» kommen auch aus einem solchen Denken. Es war das Ziel, dass ein Kind ein tugendhafter Erwachsener wird. Ich vermute, dass die Popularität von Hedonismus und Utilitarismus als Gegenreaktion auf eine solche Gesellschaft zu verstehen ist. Also, dass viele genug hatten und lieber Person B wären als Person A. Und ich sehe auch ein, dass Missbrauch und Manipulation im Namen der Tugenden gemacht wurden. Es ist aber aus unserer Sicht der Stabilität nicht von der Hand zu weisen, dass eine Gesellschaft mit Person A stabiler ist. Und wenn die Umstände Tugend verlangen, sich diese Denkweise wieder etablieren wird. Unser alleiniger Fokus auf Leid und Glück von Menschen ist ein Wohlstandphänomen. Zwingt einen das Leben tapfer zu sein, dann wird dieser Wert wichtiger. Momentan ist es wichtiger glücklich zu sein als tapfer. Die Tugend-Ethik kann also kaum entkräftet werden von unseren Überlegungen bezüglich Muster. Es ist wahrscheinlicher, dass sie bald wieder kommen wird, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass dieser utopische Fokus auf Glück über Jahrhunderte stabil sein kann. Während die Tugend-Ethik über Jahrtausende stabil war.

Schleier des Nichtwissens

Dies ist keine Ethik, sondern ein Gedankenexperiment. Man stelle sich vor, wir sind vor unserer Geburt im Himmel und schauen herunter auf die Erde. Wir wissen, in den nächsten Monaten werden wir auf die Erde kommen, aber wir wissen nicht wo? Kommen wir als armer Bauernjunge in China auf die Welt? Oder als Sexsklavin in der Schweiz? Oder in der Mittelklasse in den USA? Das Experiment stellt jetzt die Frage, in welcher Welt würdest du am liebsten auf die Welt kommen? Bedenke, du weisst nicht, in welcher Position du auf die Welt kommen wirst.

Aus einem mir etwas schleierhaften Grund ist dies momentan ein äusserst populärer Gedanke. Er versucht, Grenzen aufzuheben. Menschen, die sagen: «Ausländer sind faul und darum arm.», sollen angeregt werden zu denken: Würde ich in ihren Schuhen stecken wollen? Ich verstehe jedoch nicht, was daran so interessant sein soll. Für mich ist es Utilitarismus und als Nutzen wird das persönliche Wohlempfinden genommen. Das ist weder neu noch revolutionär noch interessant aus meiner Sicht. Alle politischen Lager argumentieren doch, dass ihre Sicht genau das fördert. Während Linke aber glauben, dass Arme Unterstützung brauchen, so denken Liberale, dass das Problem bei der Person und nicht der Gesellschaft liegt. Also beim Schleier des Nichtwissens würde der Liberale eine Welt, in der er arm aber mit möglichst wenigen Einschränkungen auf die Welt kommt, derjenigen vorziehen, in der er reicher aber bevormundet ist und zu Steuern gezwungen wird. Und genau gleich der Linke. Er würde lieber arm in einem Land mit hohen Steuern und guten staatlichen Sozialwerken auf die Welt kommen als in einer freien ohne diese Werke. Für mich ist das nur ein Fancy Weg zu sagen: «Mach, was du für ethisch richtig hältst.»

Aber analysieren wir es mit unserer evolutionären Sicht. Ich halte mich doch in der heutigen Zeit für verpflichtet, dieses Gedankenexperiment zu betrachten. Das erste Problem ist, das erwähnte, dass unterschiedliche Personen unterschiedliche Welten als ‹gut› beschreiben würden. Und dies, weil sie andere Werte haben. Wenn aber die Werte einen solchen Einfluss haben, dann kann man kaum über eine Ethik oder Gesellschaft sprechen, die generell gut ist in Bezug auf den Schleier des Nichtwissens. Also gut, was ist es dann, wenn es keine Ethik impliziert? Vielleicht ein Werkzeug? Vermutlich. Man kann es als Werkzeug benutzen, um seine ethischen Statements weiterzudenken. Ist es ein Gedanke, der uns noch weiter begleiten wird? Ich weiss nicht. Ich erwarte nicht, denn er ist nicht neu. Empathie ist wesentlich älter. Der Gedanke: «Würdest du in seinen Schuhen stecken wollen?» ist auch älter. Jede Religion hat Aussagen wie: «Gehe in den Schuhen des anderen.» wovon genau das Sprichwort mit «In seinen Schuhen stecken.» kommt. Wenn uns also dieser Gedanke noch weiter erhalten bleibt, dann ist das mehr ein Zeugnis dafür, dass wir die Lehren unserer Vorfahren vergessen haben.

Metaphysik jenseits von Annahmen

Als ich mich auf die Reise machte, die dieses Buch verursachte, bemerkte ich schnell die Eleganz und Andersartigkeit dieser evolutionären Sichtweise gegenüber den mir bekannten Denkschulen wie dem Idealismus, Materialismus, Theismus, Atheismus, Panpsychismus und viele mehr. Sie alle haben dieselben Probleme. Sie argumentieren im Framework der Logik. Sie sind sich ihrer sprachlichen und evolutionären Bedingtheit nicht bewusst und tun so als sprächen sie über eine absolute Wahrheit. Das Problem dabei ist, dass sie gewisse Annahmen oder Axiome oder Dogmen einführen müssen, um die Kraft der Logik anwenden zu können. Diese Annahmen sind nicht offensichtlich. Und obwohl die Logik keine Widersprüche zulässt, so tummeln sich in der Metaphysik inkompatible Thesen. Und mein Vorschlag ist nicht über die Annahmen zu streiten, sondern über die grossen Fragen als Ideen zu denken und wie sich eine solche Idee weiterentwickeln lässt und wie sie bestehen kann. Dies ist eine Sicht, frei von Annahmen.

Mir ist klar, dass sich das Problem ein Schritt später einnistet. So werden die Theisten behaupten, Gott würde dafür sorgen, dass die Idee Gottes nicht vergessen geraten wird. Sie betrachten Gott also als ein Teil des Richters. Aber ich glaube doch, dass es wesentlich einfacher ist sich zu verständigen, mit einer solchen Herangehensweise. Und im vorherigen Beispiel kann man auch als nicht gläubige Person dies temporär akzeptieren, da die Idee von Gott sich selbst verbreitet. Und im Moment schaut ‹Gott›, also die Gesamtheit der Personen, die an Gott glauben (die eine Manifestation der Idee Gott bewirten), dass die Idee Gott nicht ausstirbt. Für die einen steht hinter der Idee ‹Gott› ein reales Ding und andere sehen die Idee in sich abgeschlossen und unabhängig von einem solchen Wesen.

Motivation

Der Fakt, dass dir etwas wichtig ist, ist kein Hinweis auf eine göttliche Wichtigkeit einer Sache. Wichtigkeit kommt aus Emotion und nicht Verstand. Der Verstand hat nur beschränkt Zugang auf deinen Antrieb. Dein Antrieb ist immer fundamentaler, biologischer, tierischer. Mit Argumenten gegen einen Antrieb angehen, ist daher wohl zum Scheitern verurteilt. Der Antrieb zu viel Alkohol zu trinken ist nicht gegründet im Verstand. Der Wert von Gerechtigkeit ist auch nicht auf dem Fundament des Ratios aufgebaut. Werte, Antriebe und andere Synonyme für den Menschen bewegende innere Kräfte sind immer emotional. Daher ist der einzige Weg diese Kräfte zu beeinflussen eine emotionale Verbindung zu der Person. In allgemeinen Worten gesprochen: Ein irrationaler Freund vermag mehr Veränderung bei mir auszulösen als ein rationaler Feind. Der Verstand kann selbst Emotionen auslösen. So wenn man sich selbst als dumm erkennt und merkt, dass die eigenen Überlegungen falsch sind. Aber nur das unangenehme Gefühl dieser Realisation bewegt. Ein falscher logischer Schluss an sich ist völlig wertfrei. Doch diese Einsicht ist auch ohne dieses Buch ersichtlich.

Das Leid

Nebst der Gottesfrage gibt es noch eine andere, die Menschen umgetrieben, inspirieren, aber auch zerbrochen hat. Die Frage nach dem Leid. Warum gibt es dieses? Wobei diese Frage in guten Zeiten die Gläubigen stärker beschäftigt und in schlechten Zeiten die nicht-Gläubigen. Also ist es für einen Christen schwierig zu verstehen, warum ein Virus Millionen Menschen umbringt, wenn diese Welt von einem guten und allmächtigen Gott geschaffen wurde. So ist es aber für einen nicht-Gläubigen oft schwieriger in der Situation, mit dem eigenen Leid umzugehen. Die Gläubigen haben mit dem Glauben eine Ressource für schwierige Zeiten und die nicht-Gläubigen eine Ressource für die Erklärung von Dingen. Aus evolutionärer Sicht ist ersteres besser. Doch befinden sich die Leser dieses Buches eher in friedlichen Zeiten, denn warum sonst läse man in der Freizeit ein solches Buch? So betrachten wir das Leid analytisch und nicht seelsorgerlich. Wobei unsere gewonnene Sicht oft vom Analytischen auf das Praktische schliessen lässt. Also wozu und warum gibt es Leid?

Da wir nichts anderes als ein Muster sind, existieren wir nur solange wir uns erfolgreich gegen unseren Richter durchsetzen. Oder wir unserem Richter entsprechen. Über uns hängt andauernd ein Damoklesschwert. Jederzeit könnte sich das Universum entscheiden, uns auszulöschen. Eine Hungersnot, eine Krankheit, ein Unwetter, eine psychische Krankheit. Wir sind nur so lebendig, wie wir uns gegen all das durchsetzen können. Und in genau diesem fürchterlichen Spiel hat das Leid eine wichtige Rolle. So gibt es im religiösen Vokabular Engel, also Boten Gottes, die eine Nachricht von Gott an die Menschen überbringen. Und genauso ist Leid einer der Engel des Universums, um uns eine Botschaft zu überbringen. Das Leid sagt: «Was jetzt gerade passiert, ist nicht gut. Das Universum findet das nicht gut.» Es ist nicht zwangsläufig eine Kritik an der leidenden Person. Das Universum sagt nicht: «Du hast etwas falsch gemacht und darum leidest du.» Sondern es sagt: «Diese Situation ist nicht gut.» Das Leid ist ein Vorbote des Urteils des Richters. So hat dieser Engel Stufen. Anstatt, dass wir durchs Leben gehen und auf einmal sterben, wenn wir etwas falsch gemacht haben, haben wir Vorboten. Wir haben unangenehme Empfindungen, die uns noch bevor wir sterben sagen, dass etwas nicht gut ist. Und das Leid spricht eine Sprache, die jeder versteht. Da braucht es keine Schule und keine Theorie. Es spricht für sich. Es ist aufdringlich und kann nicht ignoriert werden. Und wird es das dennoch, gibt es nicht auf. Denn die Botschaft des Leids will gehört werden. Das Leid will und muss gespürt werden, ansonsten hat es seinen Zweck verfehlt. Weil das Leid ein Vorbote vor dem Urteil des Universums ist, darf und muss es die schlimmsten möglichen Mittel zur Verfügung haben. Es muss ihm möglich sein, in uns die schlimmsten Gefühle auszulösen. Denn die Alternative ist zu sterben. Ist nicht zu existieren. Und genau das gilt es mit allen Mitteln zu verhindern. Um es in unseren bekannten Formulierungen auszudrücken: «Ein Muster, das nicht die Kraft des Leides gänzlich ausschöpft, hat eine kleinere Überlebenschance als eine diejenige, die es tut.» Und wie gesagt, das Leid hat Stufen, es ist nicht immer der Vorschlaghammer, der gebraucht wird.

Bauchgefühl

Ein unangenehmes Bauchgefühl ist aushaltbar. Es ist wohl nahe am prophetischen Geist. Also dem, was die Propheten bewegt hat, Menschen zu warnen vor einem kommenden Unglück. Es ist jedoch diffus und liegt nicht selten falsch. Doch wird es ernst genommen, kann grösseres Leid verhindert werden. Wird es aber ignoriert oder schlimmer noch, man stumpft sich ab, so hat das Leid dieses Mittel nicht mehr zur Verfügung und fährt das schwere Geschütz auf.

Leid

Irgendwann bekommen wir aus der Gnade des Universums noch eine Chance. Wir spüren Leid. Unsere Arbeitsstelle ist verloren, unsere Zukunft unsicher. Oder auch die Hand schmerzt, nachdem man sich geschnitten hat. Was auch immer das Leid ist, es sagt: «Schau: So darfst du nicht weitermachen. Das ist nicht gut.» Das Leid ist leider nicht differenziert. Es ignoriert, ob es deine Schuld ist. Dem Leid ist es, wie auch dem Universum, egal, ob du dich selbst geschnitten hast oder ob eine Person dich gerade ersticht. Die Botschaft ist dieselbe: «Das ist nicht gut.» Und es gibt nichts umzudeuten. Es ist nicht gut. Und dieses «Es ist nicht gut.» hat auch eine Wirkung. Wir wollen dem Leid ausweichen. Und diese Wirkung hält das Urteil des Universums nochmal für einen Moment zurück und wir dürfen weiterleben. Wenn wir es schaffen dem Leid zu entfliehen, heisst das, wir sterben nicht. Das Leid ist jedoch nicht perfekt. So können wir unvorhergesehen sterben bei einem Autounfall. Und der Mechanismus des Leides hat nie gegriffen und hat versagt, uns vor dieser Gefahr zu warnen.

Das Leid hat jedoch auch Grenzen. Die Einschätzung der Situation ändert sich. Wird das Leid zu gross, werden wir bewusstlos. Das bedeutet so viel wie: «Ich schätze, du hast jetzt keinen Einfluss mehr auf die Besserung der Situation, darum gehen wir jetzt in einen passiven Zustand und hoffen, dass wir das so überleben.» Diese Einschätzung ist leider nicht immer korrekt. So werden wir manchmal in Situationen bewusstlos, in denen es besser gewesen wäre wach zu bleiben und wir bleiben bewusst in Situationen, in denen man besser abwesend gewesen wäre. Die Mittel des Leides sind leider nicht perfekt und so entsteht wahrhaft unnötiges Leid. Aber daraus sollte nicht gefolgert werden, dass Leid an sich unnötig ist.

Trauer

Bei der Trauer handelt es sich um ein Leid, nachdem etwas Wichtiges von uns gegangen ist. Eine Möglichkeit, ein Freund oder ein Partner. Und der moderne Mensch neigt dazu zu behaupten: Es bringt nichts über Dingen zu trauern, die man nicht ändern kann. Für das Überleben und das Leben ist die Gegenwart und die Zukunft wichtig. Doch genau diese zwei Dinge beeinflusst die Trauer stark. Bei unserem eigenen Leben kann das Leid nach dem Tod nicht mehr sagen: «Das war jetzt wirklich schlimm. Das sollte nicht mehr passieren.» Aber bei Freunden kann das Leid das. Es trägt die Botschaft in unsere Herzen: «Das ist wahrhaft schlimm.» Und nur weil die Trauer so intensiv ist, verändert sie unseren Blick auf die Zukunft und unsere anderen Beziehungen, in denen wir sind. Die Trauer inspiriert. Nur die Beständigkeit des Todes unserer Geliebten durch die Trauer verändert die Welt. Die Trauer ist das Memento Mori der Evolution.

Das Böse

Jedes Wesen, das intuitiv oder intellektuell versteht, was Leid ist, und vor allem, wie es sich anfühlt für mein Gegenüber, ist imstande wahrhaft teuflische Dinge zu tun. Während Tiere meist wohl aus Lust und Freude andere Tiere quälen. Weil es die Katze selbst lustig dünkt, die Maus noch weiter zu jagen. So kannst du sicher noch mehr ausrichten. Du verstehst, was die Leidenden fühlen, und kannst dieses Wissen nutzen. Dieses Wissen ist der Ursprung des Bösen und nicht das Leid an sich. Dieses Wissen lässt dich als Polizisten Terroristen foltern. Lässt dich die Kommunisten in eine Zelle stecken und wenn sie nicht mehr können, quälst du sie weiter. Liess dich als Wache im Gulag Nonnen vergewaltigen, wieder und wieder. Und man bedenke, das Böse ist meist gerechtfertigt. Die Gefolterten haben es immer ‹verdient›. Sie würden grosses Leid über die Menschheit bringen. Mit den religiösen Lügen der Nonne. Mit der Gewalt der Terroristen oder der Not gebracht durch die Kommunisten. Das Böse ist gerechtfertigt. So ist es wohl eine unvermeidliche Folge von Leid und dem Wissen über Leid, dass wir Menschen das Abscheuliche tun und immer wieder tun werden. Und wir sollten dankbar sein für jeden Moment, in dem wir kein direktes körperliches Leid spüren oder verursachen. Denn die Umstände können sich schnell wenden und das Böse kommt zurück. Und dass niemand Leid mit Bösem verwechselt. Die Gier eines Milliardärs mit dem Sadismus eines Folterknechts. Wer diese zwei Dinge gleichsetzt, hat nicht verstanden, was das Böse ist. Bei der Gier in Extremform sind Leichen eine unangenehme Nebensächlichkeit. Beim Bösen das Ende der Folterfreude. Das Böse will nicht töten, denn der Tod beendet das Leiden. Und wer mit einer Rhetorik spricht als wären Sklavenhändler von Herzen böse, hat die Dramatik nicht verstanden, warum Menschen solche Dinge tun. Denn das meiste Leid, das wir erdulden müssen, ist zum Glück meist nur Leid und nicht Böse. Wir können froh sein, dass das Böse instabil ist und sich selbst zum Wanken bringt. Aus der Freude am Leid baut man kein Königreich. Wir sollten alle Gott danken, dass das der Fall ist.

Abschliessende Gedanken

Mir wird immer wieder gesagt, ich kommuniziere meine Gedanken zu kompakt und ich lasse Dinge, die mir als logisch erscheinen, weg. Ich hoffe, hier ist es etwas anders. Also ich glaube, ich bin noch immer kompakt, aber ich hoffe, dass die wichtigsten Dinge enthalten sind und man mit aufmerksamen Lesen und der gebührenden Zeit in der Lage ist, die Essenz der meinen Ideen zu erfassen. Ich selbst bin ein langsamer Leser und bin Autoren dankbar, die auf den Punkt kommen. Ich verstehe nicht, wie man zwei Seiten über denselben Gedanken sprechen kann. Ich halte die Zeit der Leser in Ehren und will sie um nichts in der Welt verschwenden. Jeder Absatz in diesem Buch hatte während dem Schreiben einen Titel und musste einer mindestens zehnfachen Überprüfung standhalten. War er nicht gut genug oder fehl am Platz, wurde er entfernt oder neu geschrieben. Ich werde den Platz und die Zeit hier am Schluss noch darauf verwenden, eine kurze Zusammenfassung zu liefern von dem, was wir hier erreicht haben.

Strategie

Die Einleitung versuchte den Text zu motivieren und somit den Lesern einen Grund zu geben das Buch nicht wegzulegen. Ich verwendete absichtlich eine mutige, wenn nicht sogar arrogante Sprache, um eine Wichtigkeit und Sicherheit zu implizieren. Bei den Überarbeitungen, die ich vornahm, änderte ich auch oft die mir so vertraute relativierende Formulierungen in eine mehr absolute, um absichtlich zu provozieren.

Da ich meinen Text als einen Teil der Metaphysik sehe, hielt ich es für wichtig den Hauptgruppen einzeln zu begegnen und keine Annahme über die Leser anzustellen. So argumentierte ich immer für Theisten und Atheisten. Dies hielt ich auch für wichtig, da dieses Buch wahrscheinlich zuerst von meinen Bekannten gelesen wird und es diese überzeugen sollte. Diese befinden sich in diesen zwei Kategorien. Ich kenne wenige religiös uninteressierte und unentschlossene. Es war ein bewusstes Ziel beide Gruppen zu echauffieren und anzuregen neu und anders zu denken.

Ich wollte immer logisch und sprachlich korrekt bleiben. Obwohl ich durch das ganze Buch die Logik hinterfrage, so ist es doch der einzige redliche Weg intellektuelle Menschen zu überzeugen. Denn erreiche ich das nicht, dann überlebt meine Idee nicht. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass gute Ideen auf unterschiedlichen Ebenen verteidigt werden können. So könnte ich diese Idee christlich religiös, logisch, evolutionär, sprachphilosophisch oder auch auf die Intuition bezogen, verteidigen. Ich versuchte alle Perspektiven einzubringen, doch waren mir Kompromisse in der Argumentation egal, solange sie nicht auf der logischen Ebene waren.

Da ich selbst Laie bin in der Thematik, verhielt ich mich so als ob ich da eine gewisse Narrenfreiheit hätte. Ich formulierte komplexe Zusammenhänge relativ einfach und absolut, obwohl ich es in vielen Bereichen besser wüsste. Dies war die vielleicht schwierigste Entscheidung von meiner Seite. Dies könnte ein einfacher Grund sein, warum dieses Buch nicht angenommen wird. Doch würde ich es anders umsetzen, wäre eine andere Hürde gross. Würde ich jeden Punkt differenziert ausformulieren, wäre das Buch 1000 Seiten lang und man würde den Zusammenhang verlieren. Ich habe viele Anläufe unternommen, es präziser zu formulieren und weniger Angriffsfläche zu exponieren. Aber um meine Gedanken so zu verstehen, wie ich sie denke, muss man ein halbes Informatikstudium und eine solide Philosophie, Psychologie und Soziologie Grundwissen aufweisen. Diese Ideen zu erklären, führte mehrfach zu Kapiteln, die meine Testleser nur verwirrte und nicht sahen, warum ich jetzt 10 Seiten lang über den Unterschied von Abzählbarkeit und Überabzählbarkeit sprach. Doch ist genau das, ein äusserst wichtiger Fakt für die Beschränktheit physikalischer Wesen. Wie schon erwähnt, hat mein Buch mehrere Hürden zu meistern. Es muss es wert sein, dass Bekannte es lesen, also darf es nicht zu schwierig formuliert sein, damit ich mehr potenzielle Leser habe. Aber danach sollte es, aus irgendeinem mir jetzt noch unklaren Grund, für ein philosophisch gebildeten Publikum interessant sein. Und da ich keine Referenz habe und kein Netzwerk in diesem Bereich, muss mein Text beides erreichen. Und da die Gedanken nicht Trivialphilosophie sind wie die eines Prechts, so ist das die grösste Herausforderung. Da ich kein Philosophiestudium habe, fehlt mir wie gesagt, das Netzwerk und das Buch ist vielleicht allein schon daher zum Scheitern verurteilt. Doch war es mir der Versuch wert. Was bliebe mir sonst übrig?

Das Medium Buch ist nicht gerade das, womit man Menschenmassen bewegen kann. Aber es ist das Präziseste. Ich kann nirgends meine Gedanken so klar kommunizieren wie hier. Und weil es etwas Neues ist, ist die Präzision zwingend notwendig. Ich bin jedoch bestrebt, mehrere Versionen dieses Buches zu erstellen. Eines, das mathematisch und logisch minutiös umgesetzt wurde. Eine, die auf einer intuitiven Eben und mit Geschichten arbeitet (hierzu fehlen mir jedoch die Fähigkeiten bis jetzt). Dann will ich interaktive Formen anbieten. Also wäre ich offen und auch geehrt, diese Ideen in einer Form zu debattieren. Ich plane auch einen Podcast, um diese Art zu denken an die Menschen zu bringen. So bin ich aber immer unabhängig von der Form von einem Vertrauensvorschuss der Konsumenten abhängig.

Zusammenfassung

Ich befürchte, dass zu diesem Zeitpunkt die Hauptgedanken dieses Buches schon wieder vergessen gegangen sind. Darum festige ich hier die Kernpunkte nochmals. Das Herzstück des ganzen sind die Gesetze über Muster und die Einsicht, dass alles wozu wir einen Zugang haben, Muster sind. Ob es nun der Tisch vor uns oder die abstrakte Idee ‹Gott›; alles sind Muster. Wir entdeckten Gesetze und Eigenschaften von Muster. So zum Beispiel, dass ein Muster immer einen Wirt hat und es nur so stabil ist wie sein Wirt. Dadurch vereinen sich die Ziele des Wirts und des Musters. Wir entdeckten, dass es keinen Stillstand geben kann und sich Muster immer wandeln müssen. Wir investierten etwas Zeit, diese neue Sicht wertzuschätzen und tauchten dann in die Implikationen ein. Was heisst das jetzt?

Wir behandelten den Wert der Wahrheit und realisierten, dass sie selbst nur ein Muster ist, das seinen Wirt befähigt, in der Welt klarzukommen und die Zukunft besser vorauszusagen. Wir entwickelten auch Einschränkungen für praktisch mögliche Ethiken. Wir sahen, dass jede Ethik sich, weil sie ein Muster ist, verändern muss. Dass Dinge, die einmal für akzeptabel galten, revidieren müssen. Wir haben auch Ideen bekommen, wie man persönlich seine Einstellung an diesem Prinzip messen kann und nicht in Utopien verfällt.

Als Nächstes nahmen wir uns unserer Limitierungen an. Wir bemerkten, dass, selbst wenn es eine absolute und gültige Wahrheit gibt, sie für uns unerreichbar bleibt und wir daher Vereinfachungen treffen müssen. Diese Vereinfachungen sind per Definition nicht immer korrekt. Als nächstes betrachteten wir unterschiedliche Vereinfachungen und bemerkten, dass sogar inkompatible Vereinfachungen in ein und demselben Menschen existieren können. Bei dieser Gelegenheit streiften wir die Thematik Glaube an Gott, welcher wir uns anschliessend noch expliziter widmeten. Dort sahen wir dann nämlich, dass unabhängig von der Existenz Gottes, das Wort ‹Gott› eine Idee ist und bliebt. Wir machten einen lächerlich kurzen Abriss der Geschichte der Idee ‹Gott›, mit einem ausschliesslichen Blick auf die westliche Entwicklung. Wir entdeckten dabei unterschiedliche nützliche Dinge beim Glauben an Gott und stellten die Frage, wie die nicht-Gläubigen dies kompensieren wollten.

Als Letztes wandten wir diese Ansicht auf praktische Dinge an. Auf Dinge wie Toleranz und Traditionen. Oder ganz persönlich auf die eigene Einstellung. Und zu guter Letzt noch einige Gedanken für die Philosophie selbst. Dieser letzte Abschnitt wollte ein Ausblick sein, was mit so einer Philosophie sonst noch erreicht und erschlossen werden kann.

Schlusswort

Ich hoffe, die erwähnten Punkte sind klar erläutert und haben sich trotz all der Hindernisse in den Kopf der Leser gemausert. Ich versuchte die Strategie offenzulegen und somit mehr Vertrauen zu gewinnen. Für mich selbst war diese neue Philosophie ein intellektueller und auch persönlicher Paradigmenwechsel. Ich hoffe, ich konnte einige Leser anfixen, damit sie meine Idee weiter integrieren in ihren Bereich: Sei es die Familie, Erziehung, Arbeitswelt, Politik oder was auch immer. Ich bin überzeugt, dass diese Art zu denken einen Mehrwert auf allen Ebenen bietet.

Verdankung: Die Inspirationen für diese Gedanken aufzuzählen, wäre müssig. Darum verdanke ich sie in Gruppen. Danke all den grossen Denker:innen und Abschreiber:innen, die mir ermöglichten, diese Gedanken zu verdauen. Danke all den Podcaster:innen, Professor:innen und Prediger:innen, die Gedanken eindampfen und Legasthenikern wie mir einen einfachen Einstieg in unterschiedlichste Bereiche liefern. Danke für die Freunde, die mutig genug waren meine Gedanken als lächerlich zu bezeichnen. Danke für meine Gemeinden, die Inspiration lieferten, auch wenn sie vielleicht nicht mit meinen Gedanken einverstanden sind. Danke für meine Frau, die der Schlüssel war, um Rationalität mit Emotionalität in meiner Theorie zu vereinen.

  1. Es sei denn, der Bezug wird in der Zukunft einmal wieder hergestellt.

  2. Dies ist also nicht eine Definition abhängig vom Beschreiber.

  3. Es gibt überabzählbar viele nicht-berechenbare Zahlen, während es nur abzählbar viele berechenbare Zahlen gibt.

  4. Für die Informatiker:innen und Philosoph:innen sei hier erwähnt: Diese Aussage stimmt nur, wenn ein Computer alle Zahlen berechnen kann, die auch ein Mensch berechnen kann. Materialist:innen sollten dem aber tendenziell zustimmen. Dies wäre für eine theoretische Arbeit jedoch ein Punkt, der mehr Aufmerksamkeit bekommen müsste.

  5. Meme ist eine Wortschöpfung von Dawkins aus den Wörtern ‹Gen› und ‹Memory›. Diese Bedeutung von Meme meint Ideen, die über Generationen weitergegeben werden und evolutionäres Verhalten manifestieren.

  6. Nach Parsons

  7. Diese ist weder 100 % korrekt noch 100 % aktuell. Es ist einfach aus meinem Verständnis heraus. Es geht, wie schon die ganze Zeit, darum, die richtigen Gedanken im Kopf des Lesers auszulösen und nicht korrekt zu sein.

  8. Zumindest zeitlich lokal relativ zum Richter. Da sich jedoch der Richter verändern kann, verändert sich die Information in eine unerwartete Richtung. Ob eine Information besser oder schlechter ist definiert sich über die Fähigkeit dem Richter zu entsprechen, daher gibt es per Definition nur Fortschritt

  9. In einer theoretischen Arbeit könnten diese 5 Punkte mathematisch präzise formuliert werden und die Konsequenzen daraus abgeleitet werden. In einer mathematischen Version wären Schleifen in der Entwicklung gut möglich. Daher wäre es interessant zu analysieren unter welchen Bedingungen diese entstehen können/werden.

  10. Chaos ist hier mathematisch genannt und beschreibt ontologische Grenzen des Menschen (aber auch von sonstigen Intelligenzen)

  11. Aber auch viel Theorien in der Physik wären falsch.

  12. Dies ist zumindest die populärste Deutung dieser Geschichte, obwohl ich sie anders deute. Für die Veranschaulichung in diesem Beispiel akzeptiere ich diese Deutung hier.

  13. Zitat aus «The Fault in Our Stars» von John Green

  14. Ich bin mir bewusst, dass jede erdenkliche Zwischenform auch existiert. Es gibt Nuancen. Beispielsweise die Überzeugung, dass absolute Wahrheit existiert aber nicht erkannt werden kann.

  15. Wir werden das bei der Gottesfrage ähnlich machen.

  16. Plädieren Personen also gegen den Relativismus und für die Wahrheit so plädieren sie einzig für die Idee der Wahrheit. Real existierende Mächte brauchen keinen Advokaten.

  17. Dazu kommt, dass ein allmächtiger Gott die Menschheit auch ohne dieses Leid retten kann.

  18. Absolute moralische Werte sind ein grosses Thema in der Philosophie, werden hier jedoch ignoriert.

  19. ‹Praktisch, absolut› soll meinen, wenn alle Ethiken diesen Wert haben müssen, dann sind sie rein pragmatisch gesehen ‹absolut›. Denn wenn eine Ethik diese nicht hätte, könnte sie nicht bestehen.

  20. Sie ist nur fast nicht dogmatisch: Die Annahme ist nämlich: «Sein ist besser als nicht sein.» Aber mehr auch nicht. Diese Annahme bedürfte in einer theoretischen Arbeit einer Rechtfertigung, die aber mit der Brille der Muster einfach gegeben werden könnte.

  21. Ich vertrete hier nicht eine materialistische Sicht. Das Gewissen kann auch etwas Geistliches sein. Es muss aber geistlich persistiert werden und das geistliche beeinflusst dann das Gehirn. Die genaue Wirkungsweise ist mir gleichgültig, solange es die 5 Punkte erfüllt.

  22. In einer klischeehaften Dorfethik wird nicht gegendert.

  23. Mir ist auch klar, dass dies eine sexistische Ethik ist. Es ist aber genau wichtig, dass wir bei dieser Analyse keinen Filter vorschieben und ein möglichst genereller Blick haben.

  24. Dies wirkt ausländerfeindlich. Dies ist jedoch ungerechtfertigt. Ich befürworte nicht, dass unsere Kultur der anderen überlegen ist, sondern nur, dass sie hier wichtiger ist und nicht zu schnelle Veränderungen überleben kann.

  25. Bibel: Matthäus 12,25

  26. ”Man kann nicht nicht beeinflussen.“ In Anlehnung an Paul Watzlawick.

  27. Somit ist meine Sicht offensichtlich im Konflikt mit Kants Kategorischem-Imperativ.

  28. Es ist mir klar, dass dies bestenfalls NP-vollständige Probleme sind. Für den Laien ist das aber gut genug. Und es gibt auch exponentielle Probleme.

  29. Dies ist die mathematische Form des Kindergartenspiels: «Immer einmal mehr als du!»

  30. Annahme: P ≠ NP

  31. Gemeint sind NP-Vollständige-, PSpace-Vollständige-, ExpTime-, ExpSpace-Probleme.

  32. Leider sind manchmal auch Approximationen und probabilistische Vorgänge NP-Vollständig (3-SAT z. B.)

  33. Der Satz: «Gott existiert» ist sowieso problematisch. Wir müssten erst Gott definieren und auch, was es bedeuten würde für so ein Ding zu existieren.

  34. Es gab auch historische Gründe gegen die Religion. Doch das kann ich nicht als religionsspezifische Kritik ansehen. Es müsste erst bewiesen werden, dass eine andere realistische Weltanschauung signifikant weniger Leid auf die Welt bringt.

  35. Dies ist kein Argument für den Idealismus, sondern eine sachliche Feststellung, dass egal was grundlegend ist, wir nur über psychische Zustände mit der Welt und uns selbst interagieren können.

  36. Man bemerke hier die Parallelen zum Neo-Imperialismus. Auch dieser sagt: «Du kannst deine Kultur und Religion haben, aber wenn du dich nicht kapitalistisch verhältst, gehst du unter.»

  37. Stichwort ‹Täuscher-Gott› von Descartes

  38. Den Sprung vom Stammesgott zum Gott des Volkes überspringe ich hier.

  39. Dieser Gedankengang ist von mir erfunden und dies wurde nicht so gemacht und gedacht in der Antike. Es bietet jedoch ein einfaches Bild, warum man einen Polytheismus nicht einfach vom Tisch wischen kann.

  40. Homer gilt als Autor der wichtigsten Texte der griechischen Mythologie und setzte den Standard für religiöse Geschichten in der Antike.

  41. Die Diskussion über diese Bedeutung wäre noch etwas länger, aber sei hier mal auf das runtergekürzt.

  42. Regression ist das zurückfallen in ein primitiveres Verhalten. Man kann es auch als kindlich beschreiben. Regression ist nicht wertendes zu verstehen.

  43. Ich hoffe jedoch hierzu meinen Beitrag, mit diesem Buch zu leisten.

  44. Eine kreative Wortschöpfung. Moralin ist die Substanz, aus der Moral besteht. Zu viel von ihr verdirbt das Leben.